Wachstum bleibt aus – Deutschlands Wirtschaft tritt auf der Stelle

Der schleichende Niedergang der deutschen Wirtschaft, so zeigen es Prognosen verschiedener Wirtschaftsinstitute, hält vorerst an. Dafür gibt es viele Gründe. Trotz der düsteren Aussichten hoffen Ökonomen auf die Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und setzen auf politische Maßnahmen zur Wiederbelebung.
Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal leicht geschrumpft (Archivfoto)
Für die deutsche Wirtschaft sehen die Wirtschaftsinstitute keinen Aufschwung in naher Zukunft.Foto: Sven Hoppe/dpa
Von 27. September 2024

Für das Jahr 2024 prognostizieren die Wirtschaftsinstitute in ihrer sogenannten Gemeinschaftsdiagnose einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 0,1 Prozent. In ihrem Frühjahrsgutachten hatten sie noch mit einem leichten Plus von 0,1 Prozent gerechnet. 

„Neben der konjunkturellen Schwäche belastet auch der strukturelle Wandel die deutsche Wirtschaft“, sagte Dr. Geraldine Dany-Knedlik, Leiterin des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung. „Dekarbonisierung, Digitalisierung, demographischer Wandel und wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China haben strukturelle Anpassungsprozesse ausgelöst, die die Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft dämpfen“, fügte die Wirtschaftsexpertin hinzu. 

Die deutsche Wirtschaft trete seit mehr als zwei Jahren auf der Stelle. Für das kommende Jahr rechnen die an der Diagnose beteiligten Institute mit einer langsamen Erholung mit Zuwächsen von 0,8 Prozent für das Jahr 2025 und 1,3 Prozent für 2026. An den „Trend von vor der Corona-Pandemie wird das Wirtschaftswachstum auf absehbare Zeit nicht mehr anknüpfen können.“

Die Gemeinschaftsdiagnose wird zweimal im Jahr im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erstellt. In dem nun vorgelegten Herbstgutachten haben verschiedene Institute zusammengewirkt:

  • das DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung),
  • das ifo Institut (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München)
  • in Kooperation mit WIFO (dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung),
  • das IfW Kiel (Institut für Weltwirtschaft in Kiel) und
  • das RWI (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung)
  • in Kooperation mit dem Institut für Höhere Studien Wien. 

Strukturprobleme haben Wirtschaft im Griff

In einer ersten Stellungnahme zum Herbstgutachten macht der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, deutlich, dass die Politik nun dringend gegensteuern muss. „Die strukturellen Standortprobleme haben die deutsche Wirtschaft fest im Griff“, so Adrian. 

Den DIHK-Präsidenten erreichten immer mehr „Hilferufe von Betrieben, die vor dem Aus stehen“. Weder eine besser laufende Weltwirtschaft noch sinkende Inflationsraten hätten bisher einen Wachstumsimpuls auslösen können, stellt der DIHK-Präsident fest. Die Unternehmen seien durch strukturelle Herausforderungen, insbesondere hohe Kosten für Energie, Löhne und Steuern, überbordende Bürokratie, lange Genehmigungsverfahren bei Investitionen sowie den Arbeitskräftemangel belastet. „Zwei Jahre in Folge Rezession, das gab es in Deutschland zuletzt vor mehr als 20 Jahren.“

Für „Klein-Klein“ sei die Lage zu ernst, so Adrian weiter. „So kann es nicht weitergehen. Entlastungen müssen endlich konkret in den Betrieben ankommen. Unser Land verliert derzeit international den Anschluss. Die Politik muss dringend gegensteuern.“

Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa hatte der DIHK-Präsident bereits vor Veröffentlichung der Gemeinschaftsdiagnose deutlich gemacht: „Die Stimmung in einer wachsenden Zahl von Unternehmen in allen Regionen unseres Landes ist dramatisch schlecht.“ Viele Unternehmen seien verärgert, verunsichert oder frustriert.

Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Bundesregierung als Basis für ihre neuen Projektionen im Oktober, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. 

Optimismus aus dem November aufgebraucht

Nicht nur die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsinstitute schreibt der Bundesregierung ins Stammbuch, dass die Wirtschaft in Deutschland erhebliche strukturelle Probleme hat. 

Schon in der vergangenen Woche veröffentlichte das Leibnitz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW) seinen sogenannten ZEW-Indikator. Der ZEW-Indikator für Konjunkturerwartungen ist ein monatlicher Frühindikator, der die Einschätzungen von Finanzexperten zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland in den nächsten sechs Monaten misst. Dieser basiert auf einer Umfrage unter etwa 350 Analysten und spiegelt deren Prognosen zu Konjunktur, Inflation und Finanzmärkten wider. 

So verschlechterten sich die ZEW-Konjunkturerwartung in der Umfrage vom September 2024 erneut deutlich. Der aktuelle Wert des Indikators liegt bei plus 3,6 Punkten und damit 15,6 Punkte niedriger als im Vormonat. „Der seit November 2023 verzeichnete Optimismus bei den Konjunkturerwartungen ist somit nahezu vollständig aufgebraucht“, heißt es in der Pressemitteilung des Instituts. Zudem verschlechtere sich die Beurteilung der aktuellen wirtschaftlichen Lage erneut. Der entsprechende Lageindikator für Deutschland sinkt um 7,2 Punkte auf minus 84,5 Punkte und erreicht damit den niedrigsten Stand seit Mai 2020.

„Die Hoffnung auf eine baldige Besserung der wirtschaftlichen Lage schwindet zusehends“, kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach die Ergebnisse. Die Anzahl der Optimisten und Pessimisten halte sich mittlerweile die Waage. „Obwohl die sinkenden Konjunkturerwartungen für den Euroraum auf einen insgesamt gestiegenen Pessimismus hindeuten, ist der Rückgang der Erwartungen für Deutschland deutlich höher“, so Wambach. 

Was sich seit 2022 in der deutschen Wirtschaft abspielt, hat es in den letzten zwei Dekaden so noch nicht gegeben. In der bislang längsten Schwächephase um die Jahrtausendwende schrumpfte die Volkswirtschaft lediglich in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Insgesamt 16 Quartale lang stagnierte die Wirtschaft, bevor sie schließlich im Jahr 2005 in einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung mündete.

Institut sagt drei Minus-Jahre voraus

Dieser Aufschwung ist allerdings, entgegen der Prognose der Gemeinschaftsdiagnose für die kommenden zwei Jahre, nicht unbedingt vorgezeichnet. Anders als die heute veröffentlichte Prognose hat gerade er das Handelsblatt Research Institute (HRI) seine Konjunkturerwartungen gesenkt. Anders als die Prognose der Wirtschaftsinstitute geht das HRI davon aus, dass die Wirtschaftsleistung nach dem Rückgang im Jahr 2023 auch im laufenden Jahr sowie 2025 jeweils um 0,3 Prozent sinken werde. Es könnte also bis zum Aufschwung noch eine Weile dauern. Das wäre in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes neu: Drei Minus-Jahre in Folge hat es bisher noch nicht gegeben.

Was würde die lange Phase der Rezession für Deutschland bedeuten?

„Ein erneuter Rückgang der wirtschaftlichen Gesamtleistung würde zwangsläufig auch zu weniger Steuereinnahmen als bislang erwartet führen“, beschreibt Handelsblatt-Chefökonom die Folgen des Abwärtstrends. „Selbst wenn die Regierung vor der Bundestagswahl mit einem Konjunkturprogramm beim Wähler punkten wollte, fehlte ihr schlichtweg das Geld dazu“, so Rürup weiter. 

Weiter verweist der ehemalige Wirtschaftsweise darauf, dass die Schuldenbremse, an der vor allem Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) festhalten möchte, keine zusätzliche Kreditaufnahme im kommenden Jahr zulasse. Der Bundeshaushalt 2025 sei „ohnehin auf Kante genäht“, so Rürup weiter. Eine Initialzündung für einen Aufschwung sei laut dem emeritierten Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Darmstadt nicht mehr zu erwarten.

Die HRI-Analyse prognostiziert weiter, dass das reale Wirtschaftswachstum Deutschlands im nächsten Jahr leicht unter dem Niveau von vor der Krise im Jahr 2019 liegen werde. Das Land wird somit auf sechs Jahre an Wachstum verzichten müssen, was hauptsächlich auf die industrielle Krise zurückzuführen ist. Aktuell entspricht die Produktion in der Industrie, kalender- und saisonbereinigt, dem Stand des Frühjahrs 2010. Aufgrund stetig fallender Auftragseingänge nimmt der Auftragsbestand kontinuierlich ab.

Globale Zeichen nicht günstig

Frühere Schwächephasen der deutschen Wirtschaft hatten meist damit geendet, dass irgendwann die Auslandsnachfrage anzog. Für den früheren Exportweltmeister Deutschland spielte Verkauf von Waren im Ausland schon immer eine wichtige Rolle. Steigende Exporte führten dann über höhere Investitionen, Gewinne und Löhne auch zu steigenden Einkommen im Inland. 

Der globale Handel erlebt derzeit eine Stagnation, teilweise bedingt durch einen weltweit zunehmenden Protektionismus. Ebenso trägt das strategische Abkoppeln von China in Bezug auf wichtige Güter dazu bei. Zudem verzeichnen die Hauptwirtschaftspartner Deutschlands innerhalb der Eurozone nur schwaches Wachstum.

In China führt eine Deflation dazu, dass das staatlich gesetzte Wachstumsziel von fünf Prozent voraussichtlich verfehlt wird, und auch die Wirtschaft der USA zeigt eine deutliche Abkühlung. Schon im Juli wies der globale Finanzdienstleister „Fidelity International“ genau auf diesen Umstand hin.

Die Zinskurve in den USA stehe „seit zwei Jahren Kopf“, schreiben die Analysten und weisen auf eine Inversion der Zinskurve hin.

Eine Inversion der Zinskurve tritt auf, wenn die Zinsen für kurzfristige Anleihen höher sind als für langfristige. Das kann als Anzeichen dafür gesehen werden, dass Anleger in der Zukunft mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten rechnen, da sie kurzfristig größere Risiken erwarten. Historisch gesehen wird eine solche Inversion oft als Vorzeichen einer bevorstehenden Rezession betrachtet. Obwohl die Inversion als verlässlicher Indikator für eine Rezession gilt, wächst die Wirtschaft weiter. 

Die jüngsten Konjunkturdaten, darauf weist Fidelity International in dem Beitrag hin, lassen jedoch ein Ende des Aufschwungs befürchten. Selbst wenn die US-Wirtschaft in diesem Jahr sanft landen sollte, könnte im kommenden Jahr noch ein Einbruch folgen – und dem Indikator recht geben.

Es wird erwartet, dass die USA, unabhängig vom Ergebnis der Präsidentschaftswahlen im November, ihre Strategie der Autarkie fortsetzen werden, indem Importe zunehmend durch inländische Produktion ersetzt werden sollen. Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HRI) sagt voraus, dass die deutschen Exporte in den Jahren 2024 und 2025 stagnieren werden, ohne bedeutende Wachstumsimpulse durch den Außenhandel.

Gegenwärtige Stimmung „übertrieben düster“

„Die deutsche Wirtschaft sieht sich bisher unerreichten Herausforderungen gegenübergestellt: Deglobalisierung, Dekarbonisierung und demografische Veränderungen fordern ihren Tribut“, bewertet Handelsblatt-Chefökonom Rürup. 

Dennoch hat sich die Volkswirtschaft Deutschlands in den letzten fast 80 Jahren als bemerkenswert anpassungsfähig und widerstandsfähig erwiesen, indem sie mehrere strukturelle Brüche erfolgreich überwunden hat. Die gegenwärtige Stimmung erscheint ihm „übertrieben düster“.

Die vielen mittelständischen Hidden Champions zeigen, dass Innovation und Erfolg auch weiterhin erreichbar sind. „Es bleibt zu hoffen, dass die nächste Bundesregierung den Mut und die Stärke besitzt, die Wiederbelebung der deutschen Volkswirtschaft als Kernstück ihrer Politik zu positionieren.“



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