Mit Deutschkurs vom Hilfsarbeiter zum Meisterschüler

Firmen können formal geringqualifizierte Mitarbeiter damit unterstützen, Grundfertigkeiten im Lese- und Schreibbereich zu trainieren. Dafür gibt es Angebote. Eine Win-win-Situation für beide.
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Lese- und Schreibfertigkeiten werden für Tätigkeiten unterschiedlichen Niveaus gebraucht. (Symbolfoto)Foto: iStock
Epoch Times31. August 2023

Handwerklich waren die sechs Angestellten des Gartenlandschaftsbaubetriebs in Neuss schon immer geschickt. „Und viel Talent haben sie auch mitgebracht, sogar beim Thema Führung“, sagt ihr Chef Benjamin Küsters. Nur Sprache und Schreiben waren immer ein Problem. Besonders, wenn es ums Dokumentieren ging.

Damit sind die Mitarbeiter von Küsters nicht allein. 6,2 Millionen Menschen in Deutschland haben laut Leo-Studie der Universität Hamburg von 2018 Lese- und Schreibschwierigkeiten. Das heißt, sie können zwar Buchstaben, Wörter und einzelne Sätze erkennen, haben aber Mühe, längere Texte zu verstehen. 60 Prozent von ihnen gehen arbeiten, die Mehrheit (rund 58 Prozent) sind Männer.

Viele sind als ungelernte Hilfskräfte beschäftigt. So war das auch in Neuss. „Die sechs haben als Helfer auf der Baustelle angefangen“, sagt Küsters. Sie halfen mit, Gärten und Parks für Privatleute und Unternehmen anzulegen. Ein Iraner, ein Rumäne und vier Polen, die alle auch mit der deutschen Sprache zu kämpfen hatten. Irgendwann wurde Küsters auf das vom Bundesbildungsministerium geförderten Programm Alphagrund aufmerksam.

Lesen und Schreiben in den Arbeitsalltag integriert

Immer mehr Unternehmen sehen den Bedarf von Weiterbildungsangeboten für formal geringqualifizierte Mitarbeiter. Aus einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft geht hervor, dass viele Firmen ihre Beschäftigten auch wegen des zunehmenden Personalmangels flexibler einsetzen wollen. Dafür müssen sie ihre Mitarbeiter weiter qualifizieren.

„Wir versuchen, das Lesen und Schreiben ganz natürlich in den Arbeitsalltag der Teilnehmenden einzubauen“, sagt Bildungsreferentin Suzana Rieke, die Alphagrund-Kurse über das Bildungswerk der nordrhein-westfälischen Wirtschaft organisiert. Die Kurse werden aber nicht Lese- oder Rechtschreibkurs genannt, weil das die Teilnehmenden abschrecken könne. „Besser sind Titel wie ‚Wir verstehen uns! Deutsch am Arbeitsplatz'“, sagt Rieke.

Das Thema ist nämlich noch immer mit Tabus behaftet. „Das Modell, dass sich Beschäftigte proaktiv melden, funktioniert nicht“, stellt Rieke fest. „Eine sensible und wertschätzende Ansprache von Seiten der Vorgesetzten ist erfolgversprechender.“ Rieke und ihre Kollegen gehen deshalb aktiv auf Betriebe zu.

Positives Beispiel in Neuss

Auch das Seminar für Benjamin Küsters Mitarbeiter in Neuss hat Rieke mitorganisiert. In Gesprächen vorab entwickelten Betrieb und Weiterbildungstrainer einen passgenauen Seminarplan. „Es gibt kein Standardprogramm“, sagt Rieke. Müssen die Mitarbeiter auf der Baustelle Protokolle schreiben, werde das in den Seminaren geübt.

„Dazu kommt, dass alles digitaler wird. Wir nutzen beispielsweise eine Firmenapp hier im Betrieb“, erzählt Küsters. Zudem müssten seine Leute auch mal einen Rapportzettel ausfüllen oder ein Online-Berichtsheft führen.

„Wir haben den Grundbildungskurs 2019 angeboten“, sagt Küsters. Seine Mitarbeiter seien damals zwischen 20 und 30 Jahren alt gewesen. Die Seminare fanden außerhalb der Arbeitszeit am Samstag statt, wurden allerdings als Arbeitszeit bezahlt. Anders hätte das nicht funktioniert, sagt Küsters.

„Geringqualifizierte Menschen nehmen unterdurchschnittlich häufig an Weiterbildung teil. Und sie wird ihnen auch weniger angeboten“, stellt Anke Frey von Arbeit und Leben fest. Auch sie organisiert Grundbildungsseminare, über das Projekt Basiskom. „Das kann an der verrichteten Arbeit liegen. Diese Menschen arbeiten oft sehr körperlich und zu Randzeiten oder im Schichtdienst.“

Mitarbeiter mit Weiterbildung auf dem Weg zum Meister

Auch für die Betriebe können sich die Angebote lohnen. Bei finanziell unterstützten Projekten wie Alphagrund und Basiskom sind sie sogar kostenlos. „Ich wäre ja doof, wenn ich meine Mitarbeiter nicht fördern würde“, sagt Küsters. Auch wenn er den Teilnehmern der Seminare im Nachgang mehr Gehalt zahlen muss. „Ich kann den Leuten ja jetzt viel mehr Aufgaben übertragen. Das ist auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht absolut sinnvoll“.

Hinzu kommt eine gesteigerte Bindung an den Betrieb. Die IW-Studie zeigt, dass Betriebe mit Rekrutierungsproblemen überdurchschnittlich viele Weiterbildungsangebote für Geringqualifizierte anbieten. Über 80 Prozent der Unternehmen mit Personalproblemen organisieren die Seminare mit dem Ziel, Mitarbeiter ans Unternehmen zu binden.

Beim Gartenbetrieb in Neuss hat das geklappt. Die Mitarbeiter haben das Seminar erfolgreich abgeschlossen, einer leitet mittlerweile eine Baustelle des Betriebs, ein anderer hat erst eine Ausbildung gemacht und ist jetzt auf dem Weg zur Meisterprüfung.

Küsters sagt, er würde gerne noch weiteren seiner 130 Angestellten einen solchen Kurs anbieten. Das Problem: Über Alphagrund sei nur eine einmalige Teilnahme pro Unternehmen möglich.

(afp/red)



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