Volkswirt zu Wirtschaft 2020: „Milde Rezession gefolgt von blutleerer Erholung“
Die Globalisierungsblase ist geplatzt, sagte Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, kürzlich in einem Gastbeitrag bei Focus. Durch den Handelskrieg USA-China seien die Menschen wach geworden. Sie hätten erkannt, dass die globalen Wirtschaftsketten bedroht sind. Krämer zieht Parallelen zur geplatzten Aktienblase in 2000. Er glaubt, dass der Konjunkturzyklus der geplatzten Globalisierungsblase wie damals verlaufen könnte.
Finanzkrise änderte die Denkweise der Menschen
Nach dem zweiten Weltkrieg begann der Globalisierungsboom. Unternehmen setzten auf Globalisierung – sie investierten im Ausland, indem sie entweder komplett im Ausland produzierten oder einzelne Produktionsschritte ausgliederten. Vor allem Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation beschleunigte die Globalisierung.
Der ausländische Wertschöpfungsanteil an deutschen Exporten stieg vom Jahr 1990 (mit 24 Prozent) bis zu Beginn der Finanzkrise auf 31 Prozent. Doch seit der Finanzkrise misstrauten viele Menschen der Marktwirtschaft und dem freien Handel und widersetzten sich der Globalisierung. Aber das wurde zu spät bemerkt.
Renaissance des Protektionismus führt zu Handelshemmnissen
Parallel setzten Staaten wie die USA zunehmend auf protektionistische Maßnahmen. Protektionismus meint, dass ein Staat Handelshemmnisse aufbaut, um inländische Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Krämers Ansicht nach sei dem Abbau von Handelshemmnissen nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil geworden.
Die Renaissance des Protektionismus setzte allerdings schon Jahre vor der Trumpschen Regierung ein. Ursache war, dass sich die Politiker zu wenig um die sogenannten „Verlierer der Globalisierung“, wie Arbeiter in der Industrie, gekümmert hatten, erklärt der Chefvolkswirt weiter.
Handelspolitische Unsicherheiten so hoch wie nie
Jetzt bedrohe der Protektionismus weltweite Produktionsketten. Es sei unklar, zu welcher „Welthandelsordnung“ es letztlich kommen werde. Sollten Investitionen nicht rentabel sein, führe das zu hohen Verlusten.
Die US-Zentralbank Fed habe bereits einen „handelspolitischen Unsicherheitsindex“ berechnet. Dazu durchforsteten die Fed-Banker die Zeitungen der letzten 60 Jahre auf protektionistische Maßnahmen. Dabei stellten sie fest: Das Ausmaß der handelspolitischen Unsicherheit sei hoch wie nie zuvor in den vergangenen 60 Jahren. US-Finanzvorstände sollen Investoren unter Bezugnahme auf statistische Analysen ähnliches gesagt haben.
Aber kein Einbruch der Wirtschaft wie bei Lehman-Pleite
Als erstes vom wirtschaftlichen Abschwung betroffen war China. Ursächlich war hier allerdings auch die viel zu hohe Überschuldung chinesischer Unternehmen, die die chinesische Regierung forderte zu beseitigen. Als Folge brachen die chinesischen Importe im Jahr 2018 ein. Das betraf gleichermaßen die exportlastige Wirtschaft Deutschlands. So schrumpfte die Industrie Deutschlands seit Mitte 2018. Dieser Sektor stecke eindeutig in einer Rezession. Auch deutschlandweit sei aller Voraussicht im dritten Quartal eine schwache Rezession angekommen.
Weiter betont Krämer, dass es dennoch zu keinem Zusammenbruch der Wirtschaft wie nach der Pleite der Lehman-Brothers gekommen ist. Bausektor und Dienstleistungssektor boomen. Insbesondere die Arbeitslosigkeit sei bisher nicht bedeutend gestiegen. Und das Bruttoinlandsprodukt des Euroraum gebe ebenfalls ein gutes Bild ab, da es noch nicht gesunken sei.
Erinnerungen an die geplatzte Aktienblase 2000
All das ähnelt der „sanften Rezession nach dem Platzen der Aktienblase am Anfang des Jahrtausends“, sagt Krämer.
Investoren setzten damals auf Expansion der digitalen Technologie und investierten und verschuldeten sich erheblich. Die Aktienkurse stiegen, bis es Anfang 2000 zum Börsenabsturz kam. Das setzte den „westlichen Volkswirtschaften“ erheblich zu. Zu einer wirklichen Rezession mit Auswirkungen auf die Bruttoinlandsprodukte von USA und Euroraum kam es aber nicht. Dies jedoch nur, weil die „westlichen Zentralbanken“ eine expansive Geldpolitik fuhren, betont Krämer. Das führte zu steigenden Immobilienpreisen und so zu einem Ankurbeln von Bauwirtschaft und Binnennachfrage.
„Quälend langsamer Aufschwung“ mit „beschäftigungsloser Aufwärtsbewegung“, so die Vermutung Krämers. Das entspreche der damaligen Situation von „milder Rezession gefolgt von blutleerer Erholung“.
Beiden Blasen – Aktienblase 2000 und Globalisierungsblase heute – würde jedenfalls mit dem gleichen „Machtmittel“, der expansiven Finanzpolitik, begegnet. Sowohl im Euroraum als auch in den USA werde eine lockere Geldpolitik mit steigenden Immobilienpreisen geführt. Auch dass es damals wie heute zu keiner richtigen Rezession kam, spreche für eine vergleichbare Situation.
Prognose: Moderates Wirtschaftswachstum und weitere EZB-Zinssenkungen
Für 2020 erwartet der Commerzbankchef ein Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent für Deutschland (um ungewöhnliche hohe Anzahl an Arbeitstagen bereinigte Quote) und 0,7 Prozent für den Euroraum.
Das Wachstum begründe sich durch geringere Abhängigkeit von der Autoindustrie. Damit dürfte eine weitere Zinssenkung der Europäischen Zentralbank von minus 0,5 Prozent auf 0,6 Prozent zu erwarten sein. Denn die EZB überschätze sich mit einem Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent. (bm)
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