Verlängerter Teil-Lockdown bremst heimische Wirtschaft weiter aus
Bei einem verlängerten Teil-Lockdown in der Corona-Krise droht der deutschen Wirtschaft aus Sicht von Ökonomen ein neuer Rückschlag.
Für das Schlussquartal rechnen sie dann wieder mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung, aber weniger stark als im Frühjahr. Schon jetzt sorgen die seit Anfang November geltenden Einschränkungen nach Darstellung etwa des Einzelhandels und der Gastrobranche für herbe Verluste. Im Fall längerer Restriktionen fordern betroffene Unternehmen auch eine Ausweitung der Hilfen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) berät an diesem Mittwoch mit den Ministerpräsidenten der Länder über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie. Dabei zeichnet sich eine Verlängerung des Teil-Lockdowns ab, der seit Anfang November gilt und zunächst bis Monatsende befristet war. Vorgeschlagen wird eine Verlängerung bis zum 20. Dezember. Die staatlichen Hilfen für betroffene Betriebe könnten dann entsprechend verlängert werden, hieß es.
DIW-Präsident Fratzscher: „Müssen Wirtschaft schützen“
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) betonte, die Eindämmung der Pandemie müsse auch mit Blick auf die Wirtschaft weiter höchste Priorität haben. Das größte Risiko für die wirtschaftliche Erholung sei eine lang anhaltende Infektionswelle, die noch mehr Unsicherheit für Unternehmen, Solo-Selbstständige und Verbraucher mit sich bringe:
Kurzfristig muss konsequent gehandelt werden, um mittelfristig die Wirtschaft zu schützen.“
Je länger die Politik notwendige Maßnahmen hinauszögere, desto schwieriger werde es, die Infektionswelle zu stoppen, und desto größer wäre der wirtschaftliche Schaden, meint er Fratzscher.
Wirtschaftsinstitut plädiert für Verlängerung der Novemberhilfen
Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) plädierte dafür, bei längeren Einschränkungen auch die Novemberhilfen zu verlängern. „Grundsätzlich sind – wie der Ersatz von 75 Prozent der vorjährigen Monatsumsatzes – Lösungen gewählt worden, die allenfalls kurzfristig zu begründen sind und funktionieren.“
Für Ökonomen der „Deutsche Bank Research“ sollten die Hilfen weiterhin „strikt an den Punkten Notwendigkeit, Zielgenauigkeit und Angemessenheit ausgerichtet werden, da die fiskalischen Ressourcen endlich sind und der Staat keine Vollkaskoversicherung sein kann“.
Rückgang des BIP bei Verlängerung des Teil-Lockdowns möglich
Sollte der Teil-Lockdown verlängert werden, steigt aus Sicht von Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, die Wahrscheinlichkeit eines leichten Rückgangs des deutschen Bruttoinlandsproduktes im 4. Quartal. „Der dürfte im Vergleich zum Einbruch von März und April sehr milde ausfallen“, sagte Schmieding der Deutschen Presse-Agentur. Schulen und Geschäfte seien nicht geschlossen, das Verarbeitende Gewerbe laufe gut, die Auftragsbücher seien voller als üblich. Sobald die Restriktionen gelockert werden, werde die Wirtschaft den möglichen Rücksetzer wieder aufholen.
Nach Meinung von Carsten Brzeski von der ING Bank ist ein erneuter Rückgang der Wirtschaftsleistung unvermeidbar. Dienstleistungen schwächelten ja schon seit September. Der Lockdown habe diesen Trend verschlimmert. Die fehlende Perspektive, wie lange Maßnahmen dauern, werde das Verbraucher- und Unternehmensvertrauen belasten. Einzige positive Unbekannte aktuelle seien die Industrie und Exporte, die stark ins vierte Quartal gegangen seien.
„Wirtschaftsweisen“ auf längeren Lockdown bereits eingestellt
Auf einen längeren Lockdown haben sich auch die „Wirtschaftsweisen“ in ihrem Gutachten von Anfang November bereits eingestellt. „Der Sachverständigenrat hat in seiner Prognose bereits den Lockdown light vom November berücksichtigt, und zudem angenommen, dass sich Einschränkungen über den Winter hinziehen werden“, sagte der Chef des Beratergremiums, Lars Feld, dem „Handelsblatt“.
Sein Eindruck sei, dass Bund und Länder am Grundansatz festhielten: Weiterarbeiten, aber in der Freizeit die Kontakte einschränken. „Das ist ein starker Schutz für die deutsche Wirtschaft, wie sich jetzt im November zeigt, etwa bei Unternehmensumfragen wie dem Einkaufsmanagerindex.“
Die Stimmung der Einkaufsmanager im Euroraum hat sich im November deutlich eingetrübt. Der stark beachtete Einkaufsmanagerindex vom britischen Institut IHS Markit fiel um 4,9 Punkte auf 45,1 Zähler. Der Stimmungsindikator liegt deutlich unter der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Von den Beschränkungen des öffentlichen Lebens sind vor allem Dienstleistungen betroffen. In Industriebetrieben hat sich die Stimmung hingegen nur leicht eingetrübt. Die Stimmungsdaten lassen nach wie vor Wachstum im verarbeitenden Gewerbe erwarten.
„Viele Händler nicht mehr zu retten“
Nach einer Umfrage des Einzelhandelsverbandes HDE lag die Kundenzahl in Stadtzentren auch in der dritten Novemberwoche um 40 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Die Umsätze hätten um knapp ein Drittel unter dem Vorjahreswert gelegen. „Wenn die Politik jetzt nicht zeitnah mit Hilfsprogrammen eingreift, dann überschreiten wir zeitnah den Kipppunkt, ab dem viele Händler nicht mehr zu retten sein werden“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Er forderte von der Politik, die Novemberhilfen auch für Einzelhändler zu öffnen. Außerdem müssten die Überbrückungshilfen angepasst werden.
Hotels, Restaurants und Fitnessstudios in Bredouille
Wenn die Politik eine weitere Schließung von Hotels und Restaurants beschließe, müsse es auch eine Zusage zu weiteren Hilfen geben, hieß es in der Gastronomiebranche. „Aus der Novemberhilfe muss eine Winterhilfe werden“, sagte Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga-Bundesverbands, der „Rheinischen Post“ (Montag). Auch die Fitnessbranche beklagt eine mangelnde Perspektive und warnt vor Insolvenzen, sollten Studios nicht bald wieder öffnen dürfen.
Im Frühjahr war die deutsche Wirtschaft mit dem ersten großen Lockdown um 9,8 Prozent eingebrochen. Mit einem unerwartet kräftigen Wachstum im dritten Quartal von 8,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal hatte Europa größte Volkswirtschaft dann einen Teil des coronabedingten Einbruchs wettgemacht. (dpa)
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