Kulinarisches Artensterben bei Wurst und Brot!

Verödungssgefährdet Arbeitsplätze in ländlichen Regionen
Titelbild
Kreativität im Fleischerladen: Ratzinger-Wurst in Marktl am Inn.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images
Von 20. Oktober 2005

Die kulinarische Vielfalt in Deutschland ist akut gefährdet. Statt der bisher weltweit einmaligen Auswahl bei Wurst oder Brot droht ein „kulinarisches Artensterben“. Davor haben der Deutsche Fleischer-Verband, der Bundesverband der Regionalbewegung und der Verbraucherzentrale Bundesverband gewarnt. Massenware vom Discounter, ein globaler Handel mit industriell produzierten Lebensmitteln und die Verdrängung von Handwerksbetrieben durch SB-Theken und Auf-Bäckereien seien die Merkmale einer zunehmenden Verarmung. „Auf dem Spiel steht nicht nur die Lebensqualität, sondern auch Arbeitsplätze und Wertschöpfung in den Regionen“, so die drei Verbände in einer gemeinsamen Erklärung.

Hintergrund der Initiative ist die zunehmende Verödung ländlicher Regionen. Einer erst kürzlich veröffentlichten Studie zufolge werden die Einkaufsmöglichkeiten auf dem Land immer spärlicher, die Infrastruktur für die tägliche Versorgung immer dünner. Gleichzeitig steigt die Wertschätzung der Verbraucher für regionale Produkte. In einer aktuellen Umfrage gaben mehr als sechzig Prozent der Verbraucher an, beim Einkauf künftig stärker auf regionale Produkte achten zu wollen. Und in einer Befragung zum Fleischeinkauf wird das Vertrauen zum Produzenten von mehr als 70 Prozent der Befragten als wichtiges Kriterium benannt.

„Regionale Erzeugung und Vermarktung müssen Hand in Hand gehen und für die Verbraucher erkennbar sein“, sagte Heiner Sindel, Erster Vorsitzender des Bundesverbandes für Regionalbewegung. „Der Schwarzwälder Schinken wird im Schwarzwald nur noch produziert. Die Zutaten kommen aber vom internationalen Markt, und die Vermarktung findet dort auch statt. Die bisherigen EU-Verordnungen unterstützen dieses System“, so Sindel weiter.

„Kleine und mittlere Handwerksbetriebe wie unsere Fleischer-Fachgeschäfte sind unverzichtbarer Bestandteil regionaler Wirtschaftssysteme“, so Manfred Rycken, Präsident des Deutschen Fleischer-Verbandes. „Mit ihrer handwerklichen Produktvielfalt erhalten sie die Vielfalt regionaler Spezialitäten. Kurze Transportwege bringen nicht nur mehr Frische und Qualität, so ist auch ein klarer Herkunftsnachweis sichergestellt. Und nicht zuletzt schafft der Fleischer Ausbildungs- und Arbeitsplätze in seiner Region.“

Edda Müller, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband, sieht Verbraucherpolitik als Teil regionaler Wirtschaftsförderung: „Es gibt viele gute Gründe, beim Einkaufen darauf zu achten, woher die Lebensmittel kommen“, so die Verbandschefin. „Für uns heißt gute Wirtschaftspolitik auch, die Nachfrage der Verbraucher nach regionalen Lebensmitteln zu fördern.“

Lebensmittel-Handwerk in der Krise

Fast jeder, der nach längerem Urlaub nach Deutschland zurückkehrt, freut sich auf das gute Brot hierzulande und die große Vielfalt an Wurst- und Fleischwaren. Zwar findet die kulinarische Vielfalt, die wir aus Frankreich oder Italien kennen, auch in Deutschland viel Anerkennung. Doch die eigene traditionelle Vielfalt bei Brot und Wurst ist gefährdet.

Während handwerklich hochwertig arbeitende, inhabergeführte Bäckereien oder Fleischereien reihenweise schließen, erleben die „Auf-Back-Ketten“ in Discounter-Filialen mit eingeflogenen Teiglingen aus Rumänien oder der Ukraine einen Boom. Die Zahl der Bäckereien ist im Zeitraum 1980 bis 2002 von rund 31.000 auf rund 18.000 gesunken. Auch Wurst und Fleisch gibt es in großer Auswahl immer seltener beim Fleischer, sondern in schmaler Standardpalette immer öfter beim Discounter.

Zugleich bleibt ein großes Potential bei der Vermarktung regional erzeugter Lebensmittel ungenutzt: Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens fünf bis zehn Prozent der Lebensmittel in der jeweiligen Region erzeugt und konsumiert werden können. Derzeit liegt dieser Anteil jedoch bei lediglich zwei Prozent.



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