Unternehmensverband: „Das Versprechen wurde gebrochen“ – Corona-Hilfe löst Klagewelle aus

Im Frühjahr 2020 versprach Olaf Scholz (SPD) Unternehmern eine schnelle und unbürokratische Hilfe. Für viele entpuppt sich diese einst gedachte Lösung als Bumerang.
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Der Antrag auf Corona-Soforthilfe erweist sich für viele Unternehmer inzwischen als finanzielle Herausforderung.Foto: Imagesines/iStock
Von 27. Oktober 2024

Sie sollten die Rettung in finanzieller Not während der Pandemie sein: die Corona-Soforthilfen. Doch inzwischen wird deutlich, dass die aus dem Hilfsprogramm stammenden Gelder vielen Unternehmern zum Verhängnis werden. Für sie wird ein politisches Versprechen zum Drahtseilakt.

Wie die „Tagesschau“ berichtete, soll jeder fünfte Selbstständige oder Kleinunternehmer die erhaltenen Corona-Soforthilfen ganz oder teilweise zurückzahlen.

In Mecklenburg-Vorpommern fordert das Land über 70 Prozent der ausgezahlten Corona-Soforthilfen zurück – rund 230 Millionen Euro. Eine Friseurmeisterin soll 10.000 Euro plus 8 Prozent Zinsen zurückerstatten, zahlbar innerhalb von 14 Tagen, schildert Pamela Buggenhagen, Geschäftsführerin vom Unternehmerverband Norddeutschland Mecklenburg-Schwerin, gegenüber dem „Nordkurier“.

Doch das Geld habe die Friseurin nicht. „Diese Frau steht jetzt vor einem riesigen Problem. Auch wenn sie es in Raten zurückzahlen darf, inklusive Zinsen im Übrigen, bleibt es viel Geld für sie – zu viel Geld“, so Buggenhagen. Und dazu komme noch das aus ihrer Sicht berechtigte Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.

Das Versprechen: Ein Zuschuss ohne Rückzahlung

Als im März 2020 im Zuge der Corona-Krise Geschäfte schließen mussten und viele Unternehmen plötzlich vor dem Aus standen, war die Not groß.

Um Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständigen unter die Arme zu greifen, versprach Olaf Scholz, damals noch in seiner Funktion als Bundesfinanzminister, eine „unbürokratische Soforthilfe“. Es handele sich um einen Zuschuss, nicht um einen Kredit, hieß es. „Es muss also nichts zurückgezahlt werden“, so Scholz am 27. März 2020.

Laut dem Bundeswirtschaftsministerium wurden vom Juni 2020 bis Juni 2022 über 63 Milliarden Euro an Corona-Wirtschaftshilfen gezahlt. Die Hilfe sollte vor allem laufende Betriebskosten wie Mieten, Kredite für Betriebsräume und Leasingraten abfedern. Voraussetzung für die Auszahlung war eine Existenzbedrohung. Damit die Auszahlung der Mittel zügig an Antragsteller erfolgen konnte, wurden die Hilfen zumeist aufgrund einer eingereichten Prognose der Unternehmer bewilligt.

Jetzt, viereinhalb Jahre später, zeigt sich das wahre Ausmaß der damaligen Förderung. Bis zum 30. September 2024 waren die Schlussabrechnungen für die Corona-Hilfen vorzulegen.

„Der Schutz aller Steuerzahler verlangt nun, dass der korrekte Bedarf der ausgezahlten Steuergelder nun auch nachgewiesen wird“, erklärte Sven Giegold, Staatssekretär des Ministeriums, im Juli. Denn: „Konzeptionell war von Beginn an ein nachträglicher Abgleich der Prognoseangaben mit der tatsächlich realisierten Geschäftsentwicklung in einer Schlussabrechnung vorgesehen“, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium weiter.

Doch nicht jeder, der Corona-Hilfen bezogen hat, war auf diese Rechnungslegung vorbereitet – auch aufgrund von Scholz’ Versprechen, dass nichts zurückgezahlt werden müsse.

Abrechnungen „auf den letzten Drücker“

Viele Unternehmer hätten ihre Abrechnung bis „auf den letzten Drücker“ wegen fehlender Gelder und unterschiedlicher rechtlicher Bewertung hinausgezögert, schildert Buggenhagen. Andere hätten noch offene Fragen oder einfach die Hoffnung, „dass die Politik doch noch eine Lösung anbietet“.

Diese Menschen hätten zum Großteil vor allem einen Fehler begangen: „Sie haben den Versprechen der Politik geglaubt. Und diese Versprechen wurden gebrochen“, betont sie. Die Probleme, mit denen die Hilfeempfänger heute konfrontiert seien, seien jedoch nicht selbst verschuldet, sondern auf die damalige Lage und den angeordneten Lockdown zurückzuführen.

„Die jetzigen Rückzahlungsforderungen treffen in vielen Fällen offensichtlich die Falschen, und zwar ganz brutal“, erklärt Buggenhagen weiter. „Ich glaube, es trifft die, die ehrlich alles angegeben haben und jetzt Gelder zurückzahlen müssen, weil viele Posten im Nachhinein als nicht förderfähig bewertet werden.“

Keine Frage – wer Geld zu Unrecht erhalten habe, müsse es auch zurückzahlen. Wer bei den Geldern betrogen habe, würde jedoch wahrscheinlich zusehen, wie man aus der Sache herauskommt.

MV: 95 Prozent der Wirtschaft durch Kleinunternehmen

Buggenhagen warnt die Politik davor, Kleinunternehmern das Gefühl zu geben, dass man auf sie verzichten kann. Sie verwehrt sich dagegen, dass „Politiker erklären, Unternehmer würden halt immer jammern“. Das sei an Herablassung nicht mehr zu überbieten.

Denn zu über 95 Prozent sei die Wirtschaftsstruktur von Klein- und Kleinstunternehmen geprägt, die Mecklenburg-Vorpommern am Laufen halten. Statt diese zu würdigen, rolle man Großunternehmen wie Werften „den roten Teppich aus“.

Klagewelle rollt

Aus Unternehmerkreisen weiß die Geschäftsführerin des Unternehmensverbands Norddeutschland, dass eine Vielzahl der Betroffenen Widerspruch gegen die Rückzahlung bei den Behörden eingelegt hat. Zwar seien die meisten abgelehnt, aber nun werde der Klageweg beschritten.

Die Entscheidung, ob man klagt oder nicht, müsse jeder für sich selbst treffen. Fakt sei, dass solch ein Verfahren lange andauere und Geld koste. Realistisch betrachtet könnten sich viele auch keine Klage leisten.

Unternehmen kritisieren, dass das Land im Nachhinein seine Spielregeln geändert habe. Die im März 2020 noch großzügige Vergabe habe sich zu einer deutlich verschärften Rückforderungspraxis entwickelt, so der Greifswalder Verwaltungsrechtlicher Jost von Glasenapp, der mehrere Betroffene in Widerspruchs- und Klageverfahren vertritt. Statt punktuelle Liquiditätsengpässe zu betrachten, werde jetzt ein Gesamtzeitraum von drei Monaten für die Prüfung zugrunde gelegt.

Ein Großteil der in MV eingereichten Klagen wurde laut NDR bislang nicht verhandelt. Die abgeschlossenen Fälle wurden entweder abgewiesen, als erledigt erklärt oder zurückgezogen.

In anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen hingegen haben Gerichte bereits entschieden, dass die (Teil-)Rückforderung von Corona-Soforthilfe rechtswidrig war.

Wie die „Tagesschau“ im Juli 2024 berichtete, geht das Wirtschaftsministerium davon aus, dass rund 5 Milliarden Euro von etwa 13 Milliarden Euro an Corona-Soforthilfe bundesweit zu viel ausgezahlt wurden. 3,5 Milliarden Euro wurden bereits von rund 550.000 Unternehmen und Selbstständigen zurückbezahlt. Demnach sind rechnerisch noch 1,5 Milliarden Euro an Rückforderungen offen.

Abschließende Zahlen sollen jedoch erst Ende 2025 vorliegen.



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