Recycling von Rotorblättern doch möglich? Ein Unternehmer und sein Ansatz

Ein Unternehmer aus Sachsen-Anhalt hat offenbar eine Lösung für das Recyclingproblem von Windkraftanlagen gefunden. Er will die Rotorblätter im industriellen Maßstab wiederverwerten. Im Interview verrät Holger Sasse das Prinzip dahinter – und fordert von der Windbranche ein Umdenken.
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Der Bauingenieur und Unternehmer Holger Sasse.Foto: NOVO-TECH/Collage: Epoch Times
Von 12. Juni 2024

In Deutschland stehen bereits über 30.000 Windkraftanlagen. Das bedeutet mindestens 90.000 Rotorblätter – Tendenz steigend. Ältere haben eine Länge von einigen Dutzend Metern, neuere über 100 Meter.

Es ist bekannt, dass diese Rotorblätter schwer zu recyceln sind. Hat die Windbranche im Eifer der Energiewende ein riesiges Entsorgungsproblem für künftige Generationen geschaffen?

„Ja, es gibt ein Entsorgungsproblem. Wir kümmern uns um die Lösung“, sagt der Bauingenieur und Unternehmer Holger Sasse. Im Jahr 2005 gründete er die Firma NOVO-TECH in Aschersleben in Sachsen-Anhalt. Der Holzwerkstoffhersteller produziert unter anderem Fassadenelemente und Terrassendielen.

Vor einigen Jahren machte sich der 66-jährige Geschäftsführer daran, eine Lösung für das Recyclingproblem von Rotorblättern zu finden. Im Gespräch mit der Epoch Times verrät er, was das Besondere an seinem Recyclingansatz ist.

Epoch Times: Herr Sasse, mit Ihrem Unternehmen wollen Sie das Recyclingproblem der Rotorblätter bei Windkraftanlagen lösen. Wie sind Sie darauf gekommen?

Holger Sasse: Richtig. Die Idee dafür entstand quasi auf dem Acker. Schon seit einigen Jahren lege ich den rund sechs Kilometer langen Weg zur Arbeit aus verschiedenen Gründen gerne zu Fuß zurück. Dabei fielen mir Windradflügel auf, die nach der Demontage einiger Windkraftanlagen auf dem Feld abgelegt worden waren und einfach liegen geblieben sind. Und das teilweise vier oder fünf Jahre lang.

Als ich herausfinden wollte, warum sie dort so lange lagen, erfuhr ich, dass sich dahinter ein größeres Recyclingproblem verbirgt. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes werden in Deutschland bis 2040 über 500.000 Tonnen an Rotorblättern anfallen, die keiner wirklich verwerten kann.

Kann ein Unternehmer das Recyclingproblem bei Windrädern lösen?

Glasfaserverstärkter Kunststoff aus alten Rotorblättern bei der Zerkleinerung. Foto: NOVO-TECH

Damals war die einzige Verwertungsmethode das Zerschreddern und die anschließende Verbrennung im Zementwerk. Übrigens: Dieses Verfahren wurde mit dem [Internationalen Umweltpreis] „Green Award“ ausgezeichnet, womit es als CO₂-neutrale stoffliche Verwertung gilt.

Dennoch stellen die vielen Rotorblätter ein riesiges Recyclingproblem dar, für das wir mit unserem Unternehmen einen Lösungsweg herausarbeiten wollten.

Woraus besteht ein Rotorblatt und welche Materialien davon recycelt Ihr Unternehmen?

Ein Bestandteil der Rotorblätter sind Carbonfasern, die noch schlimmer sind als Asbestfasern. Die trennen wir heraus. Alte wie auch neue Windradflügel haben einen Carbonfaseranteil von fünf bis zehn Prozent. Der Anteil ist so gering, weil dieses Material teuer ist. Das wird nur für die Haupttragstränge verwendet, die man gut herausschneiden kann.

Dafür haben wir eine Partnerfirma in Norwegen, die Firma WingBeam. Sie arbeitet die Carbonfasern in Kombination mit Produkten von uns in verschiedene Tragelemente oder freitragende Binder für den Hallenbau ein.

Wir selbst verwenden für unsere Produkte nur den glasfaserverstärkten Kunststoff (GFK), da dieser gesundheitlich deutlich weniger aggressiv ist. Er stellt mit rund 90 Prozent den Hauptbestandteil eines Rotorblattes dar. Somit ist ein umfassendes Recycling der Flügel bereits möglich.

Wie funktioniert Ihr Recyclingansatz?

Ich wollte die Rotorblätter nicht einfach nur recyceln. Stattdessen sollte daraus soweit möglich nach dem sogenannten Cradle-to-Cradle-Prinzip ein neues Produkt entstehen. Dabei muss in der Herstellung unter anderem auf die Auswahl der Materialien geachtet werden, die für den Menschen nicht schädlich sein dürfen. Bei diesem Prinzip sind zurzeit circa 340 Stoffe aufgelistet, die mindestens unter Verdacht stehen, den Menschen zu schädigen. Diese dürfen dann nicht verwendet werden.

Somit mussten wir zunächst herausfinden, welche Produkte überhaupt in den ausgedienten Rotorblättern verarbeitet sind. Die sind vielleicht 20 bis 25 Jahre alt, also ist die Produktion noch nicht allzu lange her. Wir fragten die Unternehmen in der Hoffnung, die Zertifikate für die Ursprungsmaterialien der Flügel zu bekommen. Leider waren diese Anfragen alle erfolglos. Die Unternehmen hatten dazu keine Dokumentationen. Die wissen nicht, was damals für eine Harzart in den Flügeln verbaut worden ist oder welche Stützelemente da genau drin sind.

Deshalb haben wir im Jahr 2019 Proben der Rotorblätter genommen und im Labor selbst untersucht, was da konkret für Materialien drin sind. Anschließend haben wir uns gefragt, was man aus den verwertbaren Materialien machen kann. Daraufhin entstand noch im selben Jahr ein Patent, das Anfang dieses Jahres erteilt wurde.

Mit diesem Patent haben wir angemeldet, dass man Holzfasern, polymere Zusatzstoffe und Zwei-Komponenten-Harz zusammenmischen und daraus neue Produkte herstellen kann. Das bedeutet, dass beispielsweise unsere Terrassendielen zu 30 Prozent aus alten Windradflügeln bestehen. Diese sollen dann wirklich kreislauffähig werden.

Kann ein Unternehmer das Recyclingproblem bei Windrädern lösen?

NOVO-TECH stellt Terrassendielen her, in denen Überreste alter Windradflügel eingearbeitet werden. Foto: NOVO-TECH

Sie haben das Cradle-to-Cradle-Prinzip erwähnt. Können Sie das kurz erläutern?

Das Cradle-to-Cradle-Prinzip geht über einfaches Recycling weit hinaus. Dabei sollen die hergestellten Produkte keinen geradlinigen Lebensprozess haben, der auf der Müllhalde endet. Stattdessen gehen sie in einen Kreislauf. Wenn ein Cradle-to-Cradle-Produkt abgenutzt ist, ist es bereits ein verwertbarer Rohstoff für Neues. Ich finde Cradle-to-Cradle (von der Wiege zur Wiege) wunderbar, weil es rein wissenschaftsbasiert ist – und dem gesunden Menschenverstand folgt.

Dieses Verfahren hat insgesamt fünf Paragrafen. Paragraf 1 beschreibt die Materialgesundheit, also – wie bereits angedeutet – wie sich ein Material auf die Gesundheit des Menschen auswirkt.

Beim zweiten Paragraf geht es um die Kreislauffähigkeit und -wirtschaft. Paragraf 3 bei Cradle-to-Cradle bezieht sich auf alles mit „grüner“ Energie. Ich sage bewusst grüne Energie, weil ich den Begriff „erneuerbare“ Energie unkorrekt finde. Nach dem Energieerhaltungssatz können wir Energie nicht erneuern.

Der vierte Paragraf beinhaltet einen vernünftigen Umgang mit Trinkwasser. Der fünfte und letzte Paragraf berücksichtigt die soziale Kompetenz, die in der Auswahl der Lieferketten beginnt und dem Umgang mit den eigenen Mitarbeitern endet.

Stellen Sie sich vor, wenn alle Menschen diese fünf Paragrafen ordentlich einhalten würden, hätten wir morgen schon eine bessere Welt. Eine Cradle-to-Cradle-Produktion wäre gesünder, rohstoffsparend und man muss sich nicht über möglicherweise schlecht bezahlte Mitarbeiter in der Produktionskette Sorgen machen.

Kann ein Unternehmer das Recyclingproblem bei Windrädern lösen?

Cradle-to-Cradle soll künftig keinerlei Müll mehr erzeugen. Foto: bsd studio/iStock

Kann Cradle-to-Cradle auch bei Rotorblättern angewendet werden?

Ja, selbstverständlich. Das muss es sogar. Beim Design der Rotorblätter hat bisher niemand daran gedacht, was am Ende daraus werden soll. Bisher kam es nur auf die Form, die Windschlüpfrigkeit und die Energieausbeute an. Hier braucht es ein Bewusstsein für die Kreislaufwirtschaft.

Das bringt einen weiteren Vorteil mit sich: Da wir mit unserem Ansatz den Kohlenstoff [C] in den Rotorblättern nicht zu Kohlenstoffdioxid [CO₂] verbrennen, was wie beschrieben als CO₂-neutral gilt, sondern tatsächlich wiederverwerten, sind wir damit entsprechend CO₂-positiv.

Derzeit verarbeitet Ihr Unternehmen rund 1.000 Tonnen Rotorblätter pro Jahr, was etwa 35 Windrädern entspricht. Angesichts der riesigen Menge an Windkraftanlagen ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Sehen Sie hier künftig eine relevante Steigerung? 

Ja, das kann sehr viel mehr werden, weil unser Prozess wirtschaftlich gut aufgestellt ist. Bei einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft sind die Produkte preislich und qualitativ auf Augenhöhe mit Linearprodukten [Cradle-to-Grave]. Noch erfolgreicher ist die Kreislaufwirtschaft, wenn die Produkte bei gleicher Qualität sogar günstiger sind. Das wird bei unserem Produktdesign in die Wege geleitet – das ist unser Ziel.

Bei unseren megawood-Produkten ist der Prozess der Rückholung und Aufarbeitung preiswerter als der Neuwarenpreis. Dadurch entsteht in Zukunft ein Preisvorteil, den wir dann auch an unsere Kunden weitergeben können. Derzeit ist alles, was noch mit herkömmlichem Recycling zu tun hat, 20 bis 30 Prozent teurer.

Wie viel werden Ihre Glasfaser-Recyclingprodukte im Vergleich zu herkömmlichen Produkten kosten?

Unsere Terrassenfliesen als Harzart sind auf demselben Preis- und Qualitätsniveau wie unsere reine Holzart. Das Ziel muss sein, die noch günstiger zu machen. Erst so können wir durch die dadurch erzielte höhere Nachfrage mehr Masse davon produzieren. Dann können wir automatisch mehr Rotorblätter recyclen – 2.000, 5.000, 20.000 Tonnen Rotorblätter pro Jahr oder noch mehr. Dann sind wir schon bei dem, was in Deutschland anfällt.

Steigt die Nachfrage nach Glasfasern weiter, muss man europäisch denken – da fallen pro Jahr 80.000 Tonnen Rotorblätter an. Mit den richtigen Anwendungen kann man dieses Rotorblattrecycling noch rasanter ausweiten. Ich denke da an GFK-Bahnschwellen für die Deutsche Bahn. Anwendung und Bedarf gibt es massig.

In den USA wurden viele Windradflügel wegen des Recyclingproblems mit Erde zugeschüttet, quasi unter den Teppich gekehrt. Wie bewerten Sie das?

Das ist zumindest besser, als sie zu verbrennen. So entsteht immerhin Wohnraum für Tiere. Und wenn jemandem etwas Vernünftiges damit einfällt, kann man sie ja wieder ausgraben. Aber eine wirklich gute Lösung ist das nicht.

Damit wurde Geld gespart, da das Verbuddeln nur rund 250 Euro für eine Tonne gekostet hat, während der Preis für die Verbrennung bei 500 Euro liegt. Nur darum geht es. Man sollte stattdessen die Möglichkeiten nutzen, die es gibt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Windenergiebranche?

Noch sind längst nicht alle Probleme gelöst. Wir müssen die Windanlagenhersteller von ihrer Verantwortung überzeugen, dass ihre Produkte nach Nutzung in einen stofflichen Kreislauf übergehen können. Die Branche muss das Bewusstsein und das Verständnis dafür entwickeln.

Seitdem wir unser Konzept in die Welt getragen haben, fragen uns die Hersteller, wie viel sie für ihre alten Rotorblätter bekommen. Wir teilen diesen dann mit, dass sie bei uns sogar etwas zuzahlen müssen, da eine wirklich technische Verarbeitung mehr Geld kostet als eine schlichte Verbrennung. Das sind schon mal 1.000 bis 1.500 Euro pro Tonne, die wir verlangen. Erst so werden unsere Produkte wettbewerbsfähig. Viele Hersteller sind da noch eher zurückhaltend.

Aber dann geht das Material in einen stofflichen Kreislauf über und wird zum dauerhaften CO₂-Depot. Wenn die Unternehmen es mit ihren grünen Gedanken wirklich ernst meinen, müssen sie dieses Geld in die Hand nehmen. Schließlich haben diese Unternehmen genug damit verdient. Die erwähnten Kosten entsprechen rund einer Woche Laufzeit eines Windrades, dann ist dieses Geld bereits drin.

Das ist unser Appell an die Windparkbetreiber.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Maurice Forgeng.



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