Europas CEOs schlagen Alarm: „Industrial Deal“ von EU gefordert

Die Konzernchefs fürchten den Rückfall im Wettbewerb mit den USA und China. Mehr als 70 Unternehmen in Europa drängen deshalb die EU-Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten mit einer gemeinsamen Erklärung dazu, einen „Industrial Deal“ aufzulegen, der den heimischen Standort stärkt. Bedrohte Standorte und Wettbewerbsfähigkeit werden kritisiert.
Titelbild
Das MPET-Containerterminal im Antwerpener Hafen. Antwerpen ist ein Symbol für den Kampf Europas um die Wettbewerbsfähigkeit.Foto: Dirk Waem/Belga Mag/AFP über Getty Images
Von 21. Februar 2024

Am vergangenen Dienstag verabschiedeten mehr als 70 Unternehmen in Europa eine Deklaration, in der sie einen „Industrial Deal“ von der EU-Kommission und den Regierungen der Mitgliedstaaten einfordern. Sie möchten die EU damit drängen, den heimischen Standort schnell und wirksam zu stärken. Zuerst berichtete das „Handelsblatt“ (hinter der Bezahlschranke) über diese Deklaration, die der Zeitung vorab exklusiv vorlag.

Standorte in Europa sind bedroht

Die Initiative wird von der belgischen EU-Ratspräsidentschaft unterstützt, die diese offenbar auch initiiert hat. Am Dienstag traf sich Ministerpräsident Alexander de Croo mit zahlreichen Konzernchefs und Topmanagern aus Europa am BASF-Standort in Antwerpen. 

BASF-Konzernchef Martin Brudermüller startete das Treffen gleich mit einer Warnung, die nicht deutlicher hätte ausfallen können: „Die Nachfrage ist rückläufig, die Investitionen auf dem Kontinent stagnieren, die Produktion ist deutlich zurückgegangen und Standorte sind bedroht.“

Infolgedessen benötige Europa an der Schwelle zum Beginn einer neuen Legislaturperiode in der EU einen „industriellen Deal“ als Kern einer strategischen Agenda – ein Programm, um die Klimawende zu schaffen und zugleich die industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die nun beschlossene „Antwerpener Erklärung“ umfasst zehn Punkte, die sich die Industrie von der europäischen Politik wünscht. Insgesamt 73 Unterschriften standen am Ende unter der Erklärung. Das gemeinsame Ziel: „Wir müssen die Industrie in Europa halten, denn sie wird die Klimalösungen liefern, die Europa braucht.“

Zeitpunkt und Ort sind ein Signal

Neben BASF-Chef Brudermüller, der zugleich Präsident des europäischen Chemieverbands CEFIC ist, gehören auch andere Chemie-Chefs, die Vorstandsvorsitzenden von Industrieunternehmen aus ganz Europa, von Zement- und Stahlfirmen, von Papierherstellern und Ölkonzernen dazu. Die Konzernchefs hoffen nun, dass sich auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Initiative anschließt.

Unter diesem Aspekt ist der Zeitpunkt des Treffens kein Zufall: Am Montag hatte die CDU Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit vorgeschlagen. Das Signal der Konzernchefs ist daher nicht zu überhören: Die Wettbewerbsfähigkeit der EU wird in von der Leyens zweiter Amtsperiode weit oben auf der Agenda stehen müssen. 

(v.l.) Jan Remeysen, CEO von BASF Antwerpen, Premierminister Alexander De Croo, Martin Brudermüller, CEO von BASF, Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und Ilham Kadri, CEO des Exekutivausschusses von Solvay in Antwerpen am 20. Februar 2024. Foto: Dirk Waem/Belga Mag/AFP über Getty Images

Mit Antwerpen als Ort des Zusammentreffens der Industrie haben die Konzernchefs ein weiteres Signal in Richtung EU-Führung und den nationalen Regierungschefs gesendet. Nirgendwo ist der Kampf Europas um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit stärker zu spüren als in den Großhäfen Antwerpen und Rotterdam. Dort werden die Chemikalien hergestellt, die in vielen Produkten, wie beispielsweise in Windturbinen oder elektronischen Geräten, zum Einsatz kommen. 

Harter Wettbewerb mit China

Die europäischen Unternehmen stehen in einem harten Wettbewerb mit der chinesischen Konkurrenz und müssen gleichzeitig mit wesentlich härteren Umweltvorschriften kämpfen. So steht die Industrie unter Druck, den CO₂-Ausstoß zu verringern. Momentan übersteigen ihre jährlichen Emissionen die von Brüssel vorgegebenen Werte. Daher benötigt die chemische Industrie Zertifikate, die sie im Rahmen des Emissionshandels der EU vorhalten müssen. Eine bestimmte Menge an Emissionsrechten erhalten sie bisher kostenlos. Trotzdem befürchten die Chemiekonzerne aber, dass zur Erreichung der verschärften Umweltziele der EU Zertifikate künftig in geringerer Zahl und seltener kostenlos abgegeben werden. Das erhöht die Produktionskosten. China und die USA kennen eine solche Emissionsregelung bisher nicht. 

Schon im Oktober 2022 kündigte beispielsweise BASF an, seine Aktivitäten in Europa dauerhaft zu reduzieren. Begründet wurde die Entscheidung damals mit den steigenden Energiekosten und Bedenken hinsichtlich der Regulierung durch die Emissionsregelung in Europa. Im April wird BASF-Konzernchef Martin Brudermüller von Markus Kamieth abgelöst. Kamieth war bisher für das Asiengeschäft des Konzerns verantwortlich.

Direkte Zuständigkeit für das Industrieprogramm

Die nun in der “Antwerpener Erklärung” verfassten Forderungen der europäischen Industrie sind nicht unbedingt neu. Mit der Unterschrift so vieler Konzernchefs entwickeln die Forderungen aber eine Wucht in Richtung europäische Politik. Nach ihren Vorstellungen soll der Industrie-Deal in der kommenden Legislatur einen zentralen Platz im Arbeitsplan einnehmen. Am liebsten würde man sehen, dass es eine direkte Zuständigkeit unterhalb der Präsidentin geben würde. Das war in den vergangenen Jahren beispielsweise beim Klimaschutzprogramm der EU so, dem sogenannten „Green-Deal“. Dieses wird im Moment von einem dafür zuständigen Kommissions-Vizepräsidenten verantwortet.

Die Industrie drängt darauf, dass der neue Kommissar zunächst ein Deregulierungsprogramm einführt. In einer Erklärung heißt es, dass ein Aktionsplan für die Industrie bestehende Vorschriften weniger widersprüchlich und komplex gestalten und Berichtspflichten abschaffen sollte. Europa soll zudem zu einem „global wettbewerbsfähigen Energielieferanten“ werden. Dazu bedarf es einer echten EU-Energiestrategie mit konkreten Maßnahmen wie der Förderung grenzüberschreitender Elektrizität, dem Ausbau der Wasserstoffnetze und Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern.

Ein zentraler Bestandteil der Erklärung ist die Forderung nach einer verstärkten grünen Industriepolitik. Ein EU-Fonds für saubere Technologien soll eingerichtet werden, ebenso wie ein vereinfachter Rahmen für staatliche Beihilfen. Die Industrie verlangt dabei staatliche Unterstützung über die Investitionskosten hinaus. Inspiriert vom amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) der Regierung von US-Präsident Joe Biden sollte auch die Deckung der operativen Kosten möglich sein. Dies würde bedeuten, dass nicht nur der Bau einer Wasserstoffherstellungsanlage gefördert wird, sondern auch die tatsächliche Produktion.

Mehr auf Unternehmertum setzen

Weiter wird in der Erklärung gefordert, die EU solle sich insgesamt mit der Gesetzgebung zurückhalten. Sie solle Anreize schaffen, aber ansonsten mehr auf das Unternehmertum setzen. „Vermeiden Sie, dass auf die politischen Ziele des Green Deals präskriptive und detaillierte Durchführungsbestimmungen folgen“, fordern die Konzernchefs. „Bleiben Sie nah an der industriellen Realität.“

Erste Experten haben sich allerdings schon skeptisch zur Wunschliste aus der Wirtschaft positioniert. „Grüne Industriepolitik würde eine echte europäische Finanzierung voraussetzen“, sagt der Ökonom Nils Redeker, Vizedirektor des Berliner Thinktanks Delors Centre laut der „Süddeutschen Zeitung“. Da müsste Ursula von der Leyen viel politisches Kapital hineingeben.“ Denn auf neue EU-Fördertöpfe haben viele Mitgliedstaaten keine Lust. Die große Frage sei, ob die Kommissionschefin es schaffe, ein Gesamtpaket zu schnüren, das den Grünen Deal weiterentwickele – „oder ob das Pendel jetzt zurückschwingt.“



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