Es begann mit „Hygienevorschriften“ – Bewusst herbeigeführte Unwirtschaftlichkeit zwang Gaststätten in der DDR zum Verkauf
Eine Geschäftsbranche, die es durch den Corona-bedingten Lockdown schwer getroffen hat, ist die Tourismusbranche. Und mit ihr im Zusammenhang steht eine weitere Branche, die kurz vor dem Zusammenbruch stehen könnte, das Hotel- und Gastronomie-Gewerbe.
Bereits im April standen rund 70.000 Hotel- und Gastronomie-Betriebe in Deutschland vor der Insolvenz. Das berichtete der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA). Den gut 223.000 Betrieben der Branche sollten allein im April und Mai rund 11 Milliarden Euro Umsatz verloren gehen. Mit Blick auf das gesamte erste Halbjahr 2020 gingen die Erlöse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um nahezu 40 Prozent zurück. Die gesamte Branche geht laut einer Umfrage des Verbands von Umsatzverlusten in Höhe von 50 Prozent für das gesamte Jahr aus.
Zum Ende des Sommers konnten viele Gastronomen erst einmal aufatmen. Wer noch solvent war, konnte wieder öffnen, wenn auch unter strengsten Regeln – Abstand, Hygiene und Alltagsmasken.
Nichtsdestotrotz fürchten viele Unternehmer aus der Branche einen zweiten Lockdown, den wahrscheinlich nur die wenigsten überleben würden. Droht eine Pleitewelle in der Gastronomie? Und wenn ja, was kommt danach?
Forcierter Verkauf durch Verschärfung der Hygieneregeln und Festpreise
Bei meinen Recherchen über die Anfänge der DDR-Diktatur hatte ich das Glück, auf Nachfahren Betroffener der Enteignungswelle im Osten Deutschlands zu treffen. 1949 wurde die sozialistische DDR gegründet. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich alle größeren und kleineren Betriebe noch in privatem Eigentum. Wollte man das sozialistische Konzept des angeblichen Volkseigentums umsetzen, musste man also Wege finden, die Besitzer zu enteignen.
Die Familie meines Zeitzeugen war zu dieser Zeit im Besitz eines kleinen Landhotels mit einem gut gehenden Gaststättenbetrieb im Osterzgebirge. Er erklärt mir, in welch schleichendem Prozess die Enteignung des Privatbesitzes in der damaligen DDR stattfand.
„Man wurde nach 1949 nicht einfach enteignet“, erzählt der 76-Jährige, „was wahrscheinlich daran lag, dass die DDR gar nicht in der Lage gewesen wäre, sofort alles Privateigentum selbst zu verwalten. Dafür mussten erst die nötigen Strukturen aufgebaut werden“.
Somit kam es erst in den 1960er Jahren zu einer umfassenden Welle von Betriebsübernahmen, die nach seinen Angaben folgendermaßen ablief:
„Dem Gaststätten- und Hotelgewerbe wurden plötzlich neue und umfangreiche ‚Hygienevorschriften‘ gemacht, von denen man wusste, die Eigentümer könnten sich das finanziell überhaupt nicht leisten“, erzählt er. „Man bedenke, es gab in der DDR keinen freien Wettbewerb, wonach man die Preise seiner Waren so ausrichten konnte, dass ein finanzielles Überleben möglich ist. Alle Gaststätten mussten ihre Gerichte zu einem gleich niedrigen Preis anbieten, durch den ein Gewinn unmöglich wurde. Was eingenommen wurde, reichte nicht einmal, um die Betriebskosten zu decken.“
„Konsum“ und „HO“
Wie er weiter erklärt, mussten aus diesem Grund viele Privateigentümer im Gaststättengewerbe in den 50er und 60er Jahren an die staatlichen Handelsorganisationen „Konsum“ oder „HO“ (Handelsorganisation) verpachten. Ein Großteil aller Gaststätten wurde damit zu „Konsumgaststätten“ und „Kommissionsgaststätten“, die aber noch von den ursprünglichen Besitzern verwaltet wurden.
Im Laufe der 1960er Jahre sei man dann einen Schritt weitergegangen und habe die Besitzer im Gaststätten- und Hotelgewerbe regelrecht gezwungen, an die inzwischen staatlichen Großbetriebe (VEB) zu verkaufen. Die staatlichen Produktionsbetriebe brauchten eigene Hotels, wohin sie ihre Mitarbeiter organisiert in den Urlaub schicken konnten. So kaufte nicht der Staat selbst die Hotels und Gaststätten auf, dies geschah über die sogenannten „volkseigenen Betriebe“. Das war auch die Zeit, in der man die bereits erwähnten Hygienevorschriften flächendeckend erließ, die für die Besitzer finanziell nicht zu bewältigen waren. Das betraf beispielsweise den Umbau sanitärer Anlagen nach bestimmten Auflagen. Somit mussten die meisten Besitzer verkaufen.
Weiter erzählt er, dass das dafür erhaltene Geld dem ehemaligen Besitzer aber nicht zur freien Verfügung stand – wahrscheinlich um zu verhindern, dass man erneut versucht, Privateigentum anzuschaffen. Der sogenannte Verkaufsgewinn kam auf ein eigens dafür eingerichtetes „Sperrkonto“, von dem man jährlich nur 3.000 DDR-Mark abheben durfte. Andere Betroffene hätten laut meinem Zeitzeugen jedoch berichtet, dass das Geld für das Inventar sofort ausbezahlt wurde, und nur das Geld für die Immobilie und das Grundstück auf das Sperrkonto kamen. Unter Umständen wurde nicht jeder Fall gleich behandelt.
Die ehemaligen Besitzer behielt man in den meisten Fällen als leitende Angestellte bei, immerhin kannten sie ihr Geschäft am besten. Der Lohn entsprach jedoch dem üblichen Standard des Arbeiter- und Bauernstaates, zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel – oder mit anderen Worten: die Geschäfte leer, die Grenzen zu, wofür braucht man Geld?
Nach der Wende fiel alles an die Treuhand
Heute existiert das Gastro-Unternehmen nicht mehr. Nach der Wende fiel es an die Treuhand, die es zu einem horrenden Preis verkaufen wollte und im nicht vom Tourismus überrannten Osterzgebirge natürlich keinen Käufer fand. Somit war es dem Verfall preisgegeben. Es entwickelte sich über die Jahre zu einem unschönen Schandfleck in der Gemeinde und wurde vor wenigen Jahren abgerissen. Was als Erinnerung bleibt, ist ein Stückchen grüner Rasen auf Gemeindeboden und eine kleine Holztafel, die an vergangene Zeiten erinnert.
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