Unmut im Jobcenter: Neuer Brandbrief von Mitarbeitern macht die Runde

In einem anonymen Schreiben geben Mitarbeiter von Jobcentern ihrem Unbehagen Ausdruck. Vor allem die Umsetzung des Bürgergeldes erweise sich als Problem.
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JobcenterFoto: über dts Nachrichtenagentur
Von 21. Juni 2023

Ein anonymer Mitarbeiter des Jobcenters Dortmund hat einen sogenannten Brandbrief an dessen Leiter Marcus Weichert gerichtet. In diesem prangert er von ihm wahrgenommene Verschlechterungen des Arbeitsklimas und der Gesamtsituation an. In dem Schreiben werden Zweifel daran laut, dass der Systemwechsel von „Hartz IV“ zum Bürgergeld tatsächlich Probleme ausgelöst habe. Zudem sei der Umstieg schlecht vorbereitet gewesen und die Jobcenter-Mitarbeiter hätten Schwierigkeiten bei der Umsetzung.

Quantität vor Qualität in den Jobcentern

Der anonyme Brief prangert unter anderem eine unzureichende Personalplanung an. Die Zahl der Fälle, die ein einzelner Fallbetreuer zu bearbeiten habe, übersteige bei Weitem das Verhältnis, das gesetzlich als Orientierungswert gelte.

Das bleibe nicht ohne Auswirkungen auf Kontaktdichte und Betreuungsqualität. Für die Mitarbeiter selbst stiegen gleichzeitig Stress und Belastung. Gleichzeitig setze die Leitung des Jobcenters auf Quantität statt Qualität bei der Beratung. Häufig erschöpfe sich diese in einem Kontrollanruf beim Kunden und einem Vermerk „Kein neuer Sachstand“. Eine hohe Zahl an Zuweisungen erscheine vielfach bedeutsamer als deren angemessene Betreuung.

Unter vielen Mitarbeitern mache sich Resignation breit, heißt es in dem Schreiben. Es habe den Anschein, als habe sich gegenüber „Hartz IV“ lediglich der Name verändert. Selbst die Sanktionsautomatismen hätten sich vielfach prolongiert.

Brandbrief-Autorin von 2013 nimmt Stellung

Es fehle, so heißt es weiter in dem Schreiben, nicht nur an Personal. Es mangele zudem an kompetenten und motivierten Teamleitern und an einer angemessenen Partizipation aufseiten der Mitarbeiter. Der anonyme Autor fordert auch Verbesserung im Controlling, in der Kommunikation und im Zeitmanagement. Sollte sich nichts Grundlegendes ändern, würden immer mehr Mitarbeiter explizit oder innerlich kündigen.

Im Gespräch mit „table.media“ erklärt die Linken-Politikerin Inge Hannemann, sie könne das Anliegen des Schreibens nachvollziehen. Vor zehn Jahren hatte sie selbst als damalige Jobcenter-Mitarbeiterin einen ähnlichen Brandbrief verfasst. Sie diagnostiziert, dass es zwar in einigen Bereichen Verbesserungen gegeben habe, viele Probleme bestünden hingegen nach wie vor. Die Jobcenter, so Hannemann, hätten zu wenig Zeit gehabt, sich auf das Bürgergeld vorzubereiten. Schulungen seien zu spät oder in zu geringer Zahl erfolgt. Die politisch Verantwortlichen machten es sich weiter zu einfach:

Die Politik wird natürlich sagen: Wir hören ja zu und gehen in die Jobcenter. Das lasse ich nicht gelten, weil diese PR-Besuche vorbereitet sind. Da ist immer alles schön, wenn die Politiker da sind. Aber die Realität ist eine andere.“

Mehr Spielraum für eigenständige Jobcenter

Etwas besser sei nach Einschätzung Hannemanns die Situation in den sogenannten Optionskommunen. Mehr als 100 Städte und Landkreise gehörten dazu. Sie betreiben ihre Jobcenter in Eigenregie, während andere mit der Bundesagentur für Arbeit kooperieren. Die Optionskommunen profitierten dabei von mehr eigenem Spielraum und Gestaltungsmöglichkeiten.

Was die Sanktionen anbelangt, hätten Initiativen und Sozialverbände einiges bewirken können. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass es keine vollständigen Leistungskürzungen mehr geben dürfe. „Trotzdem ist jede Sanktion, eine zu viel und kürzt das Existenzminimum“, betont Hannemann.

Als positiv bewertet sie die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs sowie den sogenannten Kooperationsplan. Beides stärke die Möglichkeiten zu einer Integration in den Arbeitsmarkt, die dem Leistungsberechtigten gerecht werde. Die Regelung trete jedoch erst ab dem 1. Juli in Kraft, sodass sie sich in der Praxis noch bewähren müsse.

Verbesserungsbedarf gebe es demgegenüber bei der Kommunikation zwischen Jobcenter und Familienkasse. Derzeit komme es etwa zu Situationen, in denen Jobcenter Kindergeld vom Bürgergeld abzögen, ohne dass dieses überhaupt zur Auszahlung gekommen sei.



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