Turbulenzen, Bank Runs und die russische Zentralbank
In den westlichen Staaten ist nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine allerorten von einer politischen „Zeitenwende“ die Rede. Zu einer Zeitenwende dürfte es angesichts der Sanktionsausweitung gegenüber der Russischen Föderation durch die USA und die EU auch an den Finanzmärkten kommen.
Deutlich wachsender Druck der USA und anderer NATO-Länder auf die deutsche Regierung hat letzten Endes mit dazu beigetragen, die Anzahl der aus dem internationalen SWIFT-System auszuschließenden Banken Russlands von anfangs zwei auf bis zu rund siebzig Prozent anwachsen zu lassen.
Was passiert in Deutschland, wenn die russische Zentralbank fällt?
Sollte die russische Notenbank sich nicht dazu in der Lage sehen, den Marktkräften unter den gegebenen Umständen standzuhalten, so würde dies auch massive Rückkopplungseffekte und negative Auswirkungen auf Deutschland mit sich bringen. Leonhard Birnbaum, Vorstand des Energieversorgers Eon, warnte bereits in der letzten Woche vor den Folgen eines möglichen Gaslieferstopps aus Russland.
In einem solchen Fall müssten Produktionsbetriebe in Deutschland vom Netz genommen werden, während es mit Blick auf den nächsten Winter ganze Industriezweige sein könnten, die von einer solchen Entwicklung ereilt zu werden drohen. Angemerkt sei, dass es hierzu auch dann kommen könnte, falls die russische Notenbank fallen sollte, da ab diesem Zeitpunkt keine Zahlungen für russisches Erdgas mehr geleistet werden könnten – und die russischen Exporte an Deutschland eingestellt werden müssten.
Russlands Notenbank erweitert den akzeptierten Sicherheitenkatalog
Die russische Zentralbank erklärte, ihre eigene Liste zur Einreichung von Banksicherheiten gegen eine Vergabe von frischen Krediten (Lombard-Katalog) erweitern zu wollen. Resultat ist, dass heimische Kreditgeber fortan auch Wertpapiere von minderer Qualität gegen eine Darlehensvergabe bei der russischen Notenbank hinterlegen können.
Hiermit verbundenes Ziel ist es, die Liquiditätsversorgung im heimischen Bankensystem auf maximale Weise aufrechtzuerhalten, Refinanzierungsoperationen sowie einen geregelten Kapitalfluss zu ermöglichen und ein potenzielles Einfrieren der Kreditmärkte zu verhindern.
Gleichzeitig gab sich die russische Zentralbank trotz des SWIFT-Boykotts von weiten Teilen des heimischen Bankensystems davon überzeugt, dass die Institution über eine ausreichende Anzahl an Instrumenten verfüge, um die Finanzstabilität Russlands im Allgemeinen und die Funktionsfähigkeit des heimischen Bankensystems im Besonderen zu jedem Zeitpunkt zu gewährleisten.
Insbesondere jenen aus dem SWIFT-System ausgeschlossen Geschäftsbanken wolle die Zentralbank fortan gezielt unter die Arme greifen. Nichtsdestotrotz, und wie kaum anders zu erwarten, bildeten sich am Sonntag schon einmal lange Schlangen vor den Bankautomaten russischer Geschäftsbanken in einzelnen Städten des Landes. Besorgte Bürger – wie zuvor bereits auch in der Ukraine zu beobachten – wollten zumindest einen Teil ihrer Ersparnisse angesichts der unsicheren Lage von den eigenen Konten abheben.
Ende Februar hatte die russische Zentralbank aufgrund des Rubel-Kollapses bekanntgegeben, den eigenen Leitzins auf 20 Prozent anzuheben – und damit vom vorherigen Niveau aus mehr als zu verdoppeln. Einerseits soll Sparern und Anlegern auf diese Weise ein Anreiz geboten werden, um im System zu verbleiben. Andererseits soll die heimische Inflation in Schach gehalten werden. Ausländische Investoren sahen sich zudem ab Montag vorerst nicht mehr dazu in der Lage, an den russischen Börsen zu handeln. Der Handel am russischen Aktienmarkt wurde temporär eingestellt und Auslandsinvestoren sahen ihre Gelder im Land arretiert, was bedeutet, dass sich deren Anlagen fürs Erste nicht mehr aus dem Land abziehen lassen.
SWIFT zeigt Bereitschaft zur Umsetzung von politischen Anweisungen
Die aktuelle Situation scheint sowohl in Russland als auch in der Ukraine einem Bank Run recht nahezukommen. In einer offiziellen Erklärung der SWIFT-Betreibergesellschaft hieß es, nach Absprache mit den EU-Behörden den hieraus resultierenden Anweisungen Folge leisten zu wollen.
Angemerkt sei, dass der ehemalige Premierminister Russlands, Dmitry Medwedew, bereits im Jahr 2019 den Westen davor gewarnt hatte, dass eine Abkopplung von russischen Banken aus dem SWIFT-System durch den Kreml als Kriegserklärung betrachtet würde.
Hingewiesen sei ferner darauf, dass Russland in den vergangenen Jahren an einem eigenen Informations- und Kommunikationsnetzwerk gearbeitet hatte, das laut Staatsführung auch schon seit einiger Zeit voll funktionsfähig sein soll – und sich zukünftig mit dem CIPS-System Chinas fusionieren ließe.
Credit Suisse Group warnt vor massiven Turbulenzen
Aktuell seien mindestens 300 Milliarden US-Dollar in Form von russischen Währungsreserven im Ausland veranlagt, berichtete der Sender „Bloomberg“ unter Bezugnahme auf die Credit Suisse Group.
Sollten diese Währungsreserven eingefroren oder durch die Moskauer Regierung plötzlich abgezogen werden, sieht der hochrenommierte Finanz- und Bondmarktstratege Zoltan Pozsar von der Credit Suisse Group enorme Verwerfungen und Gefahren auf die internationalen Finanz- und Geldmärkte zukommen.
Poszar erklärte hierzu, dass es zu einer enormen Ausweitung der Zinsdifferenzen in bestimmten Segmenten der Finanzmärkte kommen könnte, falls sich die internationalen Kapitalströme ganz plötzlich umkehren sollten. Hiervon könnten allen voran die Fixings am Libor- und US-Dollar-Zinsmarkt betroffen sein. Die Finanzüberschüsse Russlands sind nicht nur gewaltig, sondern es geht ferner auch darum, an welchen Orten sich der Löwenanteil dieser Überschüsse veranlagt sieht.
Die Finanzschatzkiste Russlands sieht sich prall gefüllt
Zoltan Poszar schätzt, dass Russland insgesamt über fast eine Billion US-Dollar in Form von liquiden Vermögenswerten verfügt, von denen ein Großteil – trotz des fast vollumfänglichen Abverkaufs von US-Staatsanleihen – auf US-Dollar-Basis gehalten werden. Seine Schätzung basiert auf Daten der russischen Zentralbank und anderen Finanzmarktdaten.
Dass die russische Notenbank höchst selbst Ziel der Sanktionen des Westens geworden ist, verschärft die allgemein angespannte Lage, weil es der Institution hierdurch erschwert oder gar unmöglich gemacht werden könnte, auf einen Teil ihrer veranlagten Währungsreserven zuzugreifen oder Zugriff auf diese Reserven zu haben.
Um Russland an einer Umgehung der durch die USA und die EU verhängten Sanktionen zu hindern, forderte EZB-Präsidentin Lagarde am Sonntag dazu auf, die Kryptowährungsmärkte sofort einer vollumfänglichen Regulierung zu unterziehen.
Ein Blick nach Kanada
Wie dem auch sei, abschließend bleibt zu erwähnen, dass die internationalen Finanzmärkte in den vergangenen Wochen bereits durch ähnlich schwerwiegende Ereignisse in Kanada erschüttert wurden. Dort hatte die Minderheitsregierung von Premierminister Justin Trudeau einen nationalen Notstand angesichts von wochenlang sehr friedlich verlaufenden Protesten unter Truckern, Farmern und anderen Bereichen des Transitgewerbes ausgerufen.
Das Zentrum der Hauptstadt Ottawa sah sich mehr als drei Wochen lang durch Lkw und andere Fahrzeuge blockiert. Auf dem Höhepunkt der Proteste wurden auch acht Grenzübergänge zu den USA mittels Lkw und Pick-up-Fahrzeugen blockiert und der bilaterale Handel zwischen beiden Nationen auf diese Weise teilweise recht deutlich beeinträchtigt.
Vertrauen in den Bankenstandort Kanada sieht sich schwer beschädigt
Ansätze zum Beginn eines Bank Runs ließen sich daraufhin auch in Kanada beobachten, da die Regierung ausgewählten Protestteilnehmern und Spendengebern der Bewegung im Zuge des über das Land verhängten Notstands plötzlich die Bankkonten einfror. Diese Willkürmaßnahme hat sich äußerst negativ auf das Renommee und das allgemeine Vertrauen in den Bankenplatz Kanada unter Auslandsinvestoren und heimischen Sparern ausgewirkt.
Den nationalen Notstand in der vergangenen Woche – sehr wahrscheinlich auf Druck des Senats und im Oberhaus fehlenden Stimmenmehrheit – aufhebend, ist es inzwischen auch zu Aufhebungen von Kontensperrungen unter kanadischen Staatsbürgern gekommen.
Ein Blick noch in die USA. Spätestens ab dieser Woche stellt sich die Frage, auf welche Weise die Federal Reserve Bank auf die absehbaren Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten reagieren wird.
Bis vor Kurzem hatte Fed-Chef Jerome Powell wiederholt auf eine „temporäre Natur“ der heimischen Inflationsentwicklung verwiesen, wovon allerdings keine Rede mehr sein kann. Vielmehr zeugten zuletzt von der Inflationsfront eingegangene Daten davon, dass sich die allgemeine Preisteuerung in den USA – entgegen den vorherigen Erwartungen – weiter beschleunigt.
Federal Reserve Bank sitzt in selbst gebastelter Mausefalle
Ob es angesichts einer vermeintlich auf dem Weg in eine Rezession befindlichen US-Wirtschaft samt den aktuellen Geschehnissen um die Russische Föderation jedoch möglich sein wird, den Leitzins der Federal Reserve Bank auf Sicht um sieben- bis achtmal zu erhöhen, bleibt nicht nur abzuwarten, sondern unter den gegebenen Umständen auch eher zu bezweifeln.
Eine vornehmlich durch akute Störungen der globalen Lieferketten verursachte Preisteuerung, die mit Bergen an elektronisch neu erzeugten Geldes auf der ganzen Welt zusammengefallen ist, lässt eher darauf schließen, dass Zentralbanken wie die Fed und die EZB schon bald noch mehr Geld werden erzeugen müssen, um etwaige Turbulenzen und möglicherweise auch eine neue globale Finanzmarktkrise zu adressieren.
Wie sich eine solche Aussicht auf die Inflation auswirken wird, bleibt abzuwarten, da im Fall eines Finanzcrashs auch durchaus erst einmal wieder ein deflationärer Schock eintreten und die Oberhand gewinnen könnte. Eine daraufhin erneut einsetzende Geldflut unter den großen Notenbanken – allen voran der Fed – bringt stets die Gefahr mit sich, Inflation irgendwann in eine Hyperinflation zu verwandeln.
Der Artikel erschien zuerst in unserer Wochenzeitung Ausgabe 34 am 5. März 2022
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