Teures Gas, wenig Essen: Briten fürchten leidvollen Winter
Höhere Gasrechnungen und weniger Lebensmittel: Hunderttausenden Verbrauchern in Großbritannien droht ein teurer, schwieriger Winter.
„Die Lichter werden nicht ausgehen“, zeigt sich Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng zwar zuversichtlich. Doch klar ist auch: Millionen Menschen werden die akute Energiekrise schon bald im Portemonnaie spüren. Einen „Winter des Leidens“ fürchtet die Zeitung „Daily Mail“. Schon warnen Kommentatoren vor einer Rückkehr in die 1970er Jahre mit Stromknappheit und Streiks. Kwarteng räumte ein, einigen Familien drohe bald die Wahl zwischen Heizen und Essen.
Essen: Die Alarmstimmung in der Branche ist groß. Die größte Handelskette Tesco warnt bereits vor Panikkäufen, die „weitaus schlimmer“ ausfallen könnten als zu Beginn der Corona-Pandemie. Die Lebensmittelversorgung des Landes stehe „auf Messers Schneide“, schrieb die Chefin des Bauernverbandes National Farmers‘ Union, Minette Batters, in einem Brief an Premierminister Boris Johnson, der von mehreren Lebensmittelverbänden unterzeichnet wurde. Die Branche steht ohnehin enorm unter Druck: Wegen strenger Einwanderungsregeln nach dem Brexit fehlen Lastwagenfahrer, die Versorgung ist nicht immer gewährleistet, landesweit bleiben Supermarktregale leer.
Kettenreaktion verschärft die Lage
Nun verstärken die gestiegenen Erdgaspreise die Lage noch – in einer Kettenreaktion, die die meisten Verbraucher staunen lässt. Im Mittelpunkt: Kohlenstoffdioxid (CO2). Lebensmittel- und Getränkehersteller benötigen das Gas, um Schlachtvieh zu betäuben und Verpackungen vakuumsicher zu versiegeln. Nun ist CO2 ein Nebenprodukt, das bei der Düngemittelherstellung anfällt. Weil aber einige Produzenten wegen der hohen Energiepreise ihre Fabriken stilllegten, fehlt das Gas jetzt. Fleischproduzenten fürchten einen enormen Rückstau, in dessen Folge sie Zehntausende Tiere keulen müssten. Die CO2-Preise könnten sich zudem vervielfachen – und Nahrungsmittel verteuern.
Heizen: Mindestens 1,5 Millionen Menschen haben plötzlich ihren Versorger verloren, weil mehrere kleine Energieunternehmen in die Knie gegangen sind. Sie hatten ihren Kunden äußerst günstige Verträge geboten, doch die Finanzierung selbst nicht abgesichert. Die steigenden Preise lassen diese Konstrukte nun zusammenbrechen. Die konservative Regierung, die von jeher auf Marktregulierung setzt, hat bereits deutlich gemacht, dass sie keine Kredite verteilen wird. Bei den neuen Anbietern sind die Energiekosten aber um gleich mehrere Hundert Pfund im Jahr höher. Das trifft insbesondere ärmere Menschen hart – denn die Regierung streicht ausgerechnet jetzt eine wegen der Pandemie eingeführte Sozialleistung.
Johnson betont locker
Bisher gibt sich Premierminister Johnson, der einst als Brexit-Wortführer noch deutlich niedrigere Energiepreise nach dem EU-Austritt angekündigt hatte, betont locker. Es handle sich um ein globales Problem – die Industrie erhole sich derzeit nun einmal von den Folgen der Corona-Pandemie: „Es ist, als ob am Ende einer TV-Sendung jeder den Wasserkocher anstellt“, sagte Johnson jüngst.
Doch mittlerweile muss die Regierung einräumen, dass die Kosten nicht so bald wieder sinken dürften. Vielmehr stellt sie sich auf einen weiteren, monatelangen Preisanstieg ein – das Worst-Case-Szenario, wie Wirtschaftsstaatssekretär Paul Scully beim Sender Sky News sagte. Das wiederum könnte dazu führen, dass die Inflation, die zuletzt bereits von 2 auf 3,2 Prozent geschossen war, noch weiter steige, so der Industrieverband CBI. Einer aktuellen Umfrage des Marktforschers GfK zufolge sank das Vertrauen der Verbraucher im September deutlich.
Eingedenk der Gefahren hat die Regierung doch eingegriffen und dem wichtigsten CO2-Hersteller mit Steuergeld unter die Arme gegriffen. Die Industrie atmet auf – und bleibt doch skeptisch. „Dieser Kredit ist nur für drei Wochen vorgesehen“, sagte Richard Walker von der Supermarktkette Iceland. „Was passiert danach und was beim nächsten Gaspreisanstieg?“ Ein breiterer, vielfältigerer und nachhaltigerer Energiemix sei notwendig, betonte Walker. Bisher setzt Großbritannien fast zur Hälfte auf Gas. Doch die Speicher sind deutlich leerer als in der EU, zudem sind weniger Lagerstätten vorhanden, und seit dem Brexit fehlt die Absicherung durch den europäischen Energiemarkt. (dpa/oz)
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