Stagnation in Deutschland, Rezession in Frankreich: Europas größte Volkswirtschaften straucheln

Deutschland und Frankreich, die beiden größten Volkswirtschaften Europas, kämpfen mit stagnierendem Wachstum und politischen sowie wirtschaftlichen Herausforderungen. Beide Länder verlieren an Dynamik und drohen, 2025 ihre Rolle als Motor der Eurozone einzubüßen. Die Folgen könnten das gesamte europäische Wirtschaftssystem belasten.
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Olaf Scholz und Emmanuel Macron: Die Spitzen der beiden größten Volkswirtschaften Europas stehen vor gewaltigen Herausforderungen.Foto: LUDOVIC MARIN/AFP via Getty Images
Von 17. Januar 2025

Gut sechs Wochen vor der Wahl sind laut dem aktuellen „ARD-DeutschlandTrend“ zwei Themen den Deutschen wichtig. 37 Prozent der Befragten gaben an, dass derzeit Zuwanderung beziehungsweise Flucht einer der beiden wichtigsten politischen Themen in Deutschland sei, um die sich die Politik kümmern muss. Auf dem zweiten Platz folgt, mit 34 Prozent, das Thema Wirtschaft. Und um Letztere ist es auch in diesem Jahr nicht gut bestellt.

Lage schlechter eingeschätzt als vor einem Jahr

Zum Jahreswechsel befragt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) traditionell die Branchenverbände nach der aktuellen Lage, den Aussichten, nach den geplanten Investitionen und den Jobchancen. Das Ergebnis: 31 von 49 Wirtschaftsverbänden beschreiben die aktuelle Lage schlechter als noch vor einem Jahr. Nur vier Verbände rechnen mit einer Verbesserung in diesem Jahr. Die Gründe für den Pessimismus sind sehr vielfältig: Hohe Ausgaben für Energie, Arbeitskräfte und Materialien sowie eine übermäßige Bürokratie stellen eine erhebliche Belastung für Unternehmen dar und erschweren ihre Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene. Die unsicheren globalen Rahmenbedingungen bremsen den Export, während das politische Durcheinander Investitionen hemmt – wer keine klare Orientierung über den politischen Kurs der kommenden Jahre hat, zögert bei der Anschaffung neuer Maschinen, Technologien oder Fahrzeuge.

„Die deutsche Wirtschaft kommt auch 2025 nicht von Stelle“, kommentiert IW-Direktor Michael Hüther das Ergebnis der Befragung. „Besonders besorgniserregend ist die Vielzahl der Probleme, mit denen die Unternehmen konfrontiert sind.“ Frühere Krisen hatten oft direkte Auslöser, waren weniger raumgreifend und dadurch einfacher zu bewältigen – jetzt ist die Lage im Inland wie im Ausland ungewiss. „Die kommende Bundesregierung muss wieder eine nachhaltige wirtschaftliche Perspektive schaffen. Nur so finden wir wieder den Anschluss an Wettbewerber“, macht Hüther deutlich.

Angesichts der Situation geht das Institut der deutschen Wirtschaft in seiner Anfang Dezember veröffentlichten Konjunkturprognose davon aus, dass auch in diesem Jahr die Wirtschaft weiter stagniert und nur um 0,1 Prozent wächst. „Das ist schon lange keine konjunkturelle Verstimmung mehr, sondern eine schwerwiegende Strukturkrise“, sagt IW-Konjunkturchef Michael Grömling damals bei der Vorstellung der Daten.

Die Industriestaatengemeinschaft OECD schaut etwas optimistischer in das Jahr 2025 und geht in ihrem veröffentlichten Wirtschaftsausblick von einem Plus von 0,7 Prozent aus. Im Mai hatte die OECD bei ihrem damals veröffentlichten Wirtschaftsausblick noch ein Plus von 1,1 Prozent ausgegeben. Zum Vergleich: Die Euro-Zone insgesamt soll mit 1,3 Prozent nahezu doppelt so schnell wachsen, die USA mit 2,4 Prozent mehr als dreimal so schnell.

„2025 ist Deutschland das Schlusslicht unter den OECD-Ländern“, fasste Isabell Koske, die stellvertretende Direktorin der Abteilung für Länderstudien in der OECD-Wirtschaftsabteilung das Ergebnis des Wirtschaftsausblicks ihrer Organisation zusammen.

Deutschland gleitet in die Rezession

Kein Plus für dieses Jahr prognostiziert hingegen das Handelsblatt Research Institute (HRI) in seiner Konjunkturprognose, die Anfang Januar veröffentlicht wurde. Das HRI geht vielmehr davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 0,1 Prozent schrumpfen wird. Nach einem Minus von 0,3 Prozent im Jahr 2023 und 0,2 Konjunkturrückgang im vergangenen Jahr, erlebe Deutschland in diesem Jahr den dritten Rückgang in Folge. In der bundesdeutschen Geschichte gab es einen solchen Rückgang noch nie.

Bisher waren 2002 und 2003 im Hinblick auf die Konjunktur die Jahre mit dem größten Rückgang. So erlebte Deutschland 2002 einen Wirtschaftsrückgang von real 0,2 Prozent im Hinblick auf das Vorjahr, 2003 schrumpfte die Wirtschaft dann noch einmal um 0,7 Prozent. Damit war die Wirtschaft damals erstmalig zwei Jahre hintereinander geschrumpft.

„Die deutsche Wirtschaft steckt in ihrer größten Krise der Nachkriegsgeschichte. Pandemie, Energiekrise und Inflation haben die Deutschen im Schnitt ärmer gemacht“, kommentiert Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup die Zahlen seines Instituts. Angesichts des auf bescheidene 0,5 Prozent gesunkenen Wachstumspotenzials sei keine baldige Besserung in Sicht, „da die Volkswirtschaft am Beginn eines kräftigen Alterungsschubs steht“.

Am kommenden Mittwoch wird das Statistische Bundesamt in Wiesbaden voraussichtlich die erste amtliche Schätzung über die Wirtschaftsentwicklung veröffentlichen. Die HRI-Ökonomen rechnen erst 2026 wieder mit einem leichten Wachstum von 0,9 Prozent.

Dass es Deutschlands Wirtschaft nicht gut geht, zeigt auch eine andere Zahl: Mitte Dezember veröffentlichte die Wirtschaftsauskunftsdatei Creditreform eine Schätzung über die Unternehmenspleiten 2024. „Die Insolvenzspirale dreht sich immer schneller“, so die Einschätzung der Creditreform. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg im Jahr 2024 auf 22.400 Fälle – der höchste Wert seit 2015 (23.180 Fälle). Im Vergleich zum Vorjahr erhöhten sich die Fallzahlen um 24,3 Prozent.

„Mit einiger Verzögerung schlagen die Krisen der vergangenen Jahre nun als Insolvenzen bei den Unternehmen durch. Der wirtschaftspolitische Stillstand und die rückläufige Innovationskraft haben den Wirtschaftsstandort Deutschland geschwächt“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. In diesem Jahr rechnet der Experte mit einem weiteren Anstieg der Insolvenzen, die dann seiner Ansicht nach „nahe an den Höchstwerten der Jahre 2009 und 2010 in Sichtweite kommen“. Damals waren es über 32.000 Unternehmen, die in die Insolvenz gehen mussten.

Gigantische Staatsverschuldung

Nicht nur um die deutsche Wirtschaft steht es schlecht. Schaut man auf Frankreich, dann nähert sich auch dieses Land einer Rezession an. Laut „Statista“ wird das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts für 2024 mit 1,1 Prozent prognostiziert. Damit läge Frankreich über dem Durchschnitt der anderen Länder in der Eurozone. Auch für das laufende Jahr rechnet die französische Regierung mit einem Wachstum von 1,1 Prozent.

Als die inzwischen zurückgetretene Regierung im Oktober ihren Haushaltsentwurf vorstellte, sprach der damalige Finanz- und Wirtschaftsminister Antoine Armand davon, dass die Fundamentaldaten „solide“ seien, wie die FAZ (hinter einer Bezahlschranke) damals schrieb. Nicht zuletzt sei die Arbeitslosenquote auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren und auch die Attraktivität des Standorts Frankreichs in den Jahren unter Präsident Emmanuel Macron habe sich deutlich verbessert.

Dann kam Armand allerdings auf die Kehrseite zu sprechen. „Unsere Staatsverschuldung ist gigantisch“, so der Finanzminister. Armand nannte es weiter „zynisch und fatal“, das „nicht zu sehen, nicht zu sagen und nicht zuzugeben“. Hauptziel des neuen Haushalts und des damit verbundenen Kurses sei es deshalb, das Defizit zu verringern und die Verschuldung einzudämmen. Auf der Regierungsseite spricht man mit Blick auf die Sanierungsvorhaben von einer „in dieser Größenordnung noch nie da gewesenen Anstrengung“.

Mit über 3,2 Billionen Euro hat Frankreichs Schuldenstand inzwischen 110 Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten. Dabei dürften es in der EU eigentlich nicht mehr als 60 Prozent sein. Zum Vergleich: Deutschland hatte Ende des dritten Quartals eine Staatsverschuldung von 2,48 Billionen Euro. Im Hinblick auf die Wirtschaftsleistung sind das 63 Prozent.

Bis 2026, so eine Prognose von „Statista“ wächst die Staatsverschuldung Frankreichs in Relation zum BIP auf 117,1 Prozent. In seiner Regierungserklärung vor der Nationalversammlung am vergangenen Dienstag machte Frankreichs Premierminister François Bayrou deutlich:

Die Ratingagentur Moody’s hat im Dezember die Kreditwürdigkeit der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU herabgestuft. Sie hält es für ‚sehr unwahrscheinlich‘, dass die neue Regierung das Haushaltsdefizit, das 2024 auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angestiegen ist, dauerhaft senken kann.“

Beide Länder verfügen im Moment auch noch über eine andere Gemeinsamkeit: Weder Frankreich noch Deutschland haben einen ordentlich vom Parlament verabschiedeten Haushalt für dieses Jahr. Der neue Finanzminister Eric Lombard arbeitet derzeit am Haushaltsentwurf für 2025. In der vergangenen Woche nannte er ein Sparziel von 50 Milliarden Euro – zehn Milliarden Euro weniger als von der vorherigen Regierung geplant.

Land bereits in einer „leichten Rezession“

Zu den politischen Problemen kommen allerdings auch wirtschaftliche Probleme dazu, wie das „Handelsblatt“ jüngst schrieb. Frankreich, einst ein attraktiver Wirtschaftsstandort mit starken Wachstumszahlen und führend bei ausländischen Investitionen in Europa, nähert sich einer Rezession. Der Chef des Unternehmerverbands Medef, Patrick Martin, sieht das Land bereits in einer „leichten Rezession“. Als Hauptgrund nennt er politische Instabilität und einen Mangel an Fokus auf die fragile Wirtschaft und den internationalen Wettbewerb.

Das offizielle Wachstumsziel von 1,1 Prozent für 2025 wird von Experten, darunter dem Medef und die Unternehmensberatung EY, als unrealistisch angesehen. Eine Umfrage von EY, auf die sich das „Handelsblatt“ bezieht, zeigt, dass 50 Prozent der befragten ausländischen Unternehmen die Attraktivität Frankreichs seit der Parlamentsauflösung im Juni 2024 negativ bewerten und Investitionspläne reduzieren. Der französische Leitindex CAC 40 schloss 2024 mit einem Minus von 2,2 Prozent, während andere Länder zweistellige Zuwächse verzeichneten.

Auch Präsident Macrons Ziel der „Reindustrialisierung“ steht unter Druck. Während zwischen 2017 und 2023 rund 130.000 Industriearbeitsplätze geschaffen wurden, gibt es nun vermehrt Ankündigungen von Unternehmen, Stellen abzubauen. So sprachen Autozulieferer, Chemieunternehmen sowie Firmen aus der Luft- und Raumfahrtbranche von einem geplanten Jobabbau. Die Gewerkschaft CGT erwartet, dass 150.000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten.

Für 2025 prognostiziert Bruno Cavalier, Chefökonom der Bank Oddo BHF, ein Nullwachstum. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU zeigt laut Konjunkturumfragen deutliche Anzeichen einer beginnenden Rezession.

Die wirtschaftlichen Herausforderungen in Deutschland und Frankreich verdeutlichen, dass Europas größte Volkswirtschaften 2025 nicht die gewohnte Wachstumsdynamik entfalten werden. Statt als Motor Europas zu dienen, kämpfen beide Länder mit stagnierender Wirtschaft, politischer Unsicherheit und strukturellen Problemen. Dies könnte weitreichende Folgen für die gesamte Eurozone haben und zeigt, wie dringend stabile wirtschaftspolitische Konzepte und Reformen erforderlich sind, um die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft Europas langfristig zu sichern.



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