Samuel Furfari: „Wir erleben die organisierte Zerstörung der Wettbewerbsfähigkeit Europas“
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Die französische Kernenergie steckt in einer Krise. Samuel Furfari sieht im Ausstieg aus dem Green Deal die einzige Lösung – für den früheren EU-Beamten zerstört das deutsche Öko-Dogma die französische Wirtschaft.
Furfari ist Professor für Energiegeopolitik und Autor des Buches „Energie, Staatslügen. Die organisierte Zerstörung der Wettbewerbsfähigkeit der EU“ (L‘artilleur, 2024).
Von 1982 bis 2018 war Furfari als leitender Beamter in der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission tätig, wo er sich mit Energietechnologie und -politik befasste. Er lehrte von 2003 bis 2021 an der Freien Universität Brüssel.
Im Gespräch mit der Epoch Times analysiert er die Ursachen für die Zerstörung des französischen Atomsektors.
„Deutschland stellt sich seit Langem gegen die französische Atomindustrie, teilweise aus historischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen“, haben Sie in der Zeitung „Le Figaro“ analysiert. Könnten Sie etwas zu den historischen Gründen sagen?
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland sehr friedlich geworden. Seitdem hat es diese Position beibehalten. Viele Deutsche verwechseln jedoch immer noch Atombomben mit Atomkraftwerken. Das haben ihnen die Atomkraftgegner eingetrichtert.
Es gibt aber noch einen anderen, weniger bekannten Grund für die Ablehnung der Kernenergie auf der anderen Seite des Rheins: Während des Kalten Krieges lag die Sowjetunion bei der Entwicklung dieser Energieform hinter den westlichen Ländern zurück. So versuchte man von Ostdeutschland aus, die Atomenergie zu sabotieren. Dies war damals leicht, da die DDR voller sowjetischer Spione war, sodass es keine Sprachbarriere gab. Die UdSSR indoktrinierte also die deutsche Bevölkerung und diese entwickelte eine irrationale Angst vor Atomwaffen.
Dann gab es 1986 die Explosion im Kernkraftwerk von Tschernobyl, welche die Vermischungen der Ideen untermauerte. Und vor allem der Tsunami in Fukushima – der eine Wasserstoffexplosion (und keine nukleare Explosion) auslöste – schwemmte die saubere und billige Energie weg.
In der Zwischenzeit hatte Frankreich seine Atomindustrie erheblich ausgebaut, was ihm anschließend sehr billigen Strom bescherte. Als Deutschland sah, dass seine französischen Nachbarn dank dieser Energie viele Vorteile genossen, begann es, Schritte zu unternehmen, um den weiteren Ausbau der Kernenergie zu verhindern.
Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass auch die aufeinanderfolgenden französischen Regierungen eine wichtige Rolle bei der Sabotage des Sektors gespielt haben. Um eine Mehrheit zu bekommen, verbündete sich die Sozialistische Partei unter François Hollande 2012 mit den Grünen und zerstörte die französische Atomindustrie. Eine Politik, die von Emmanuel Macron ab 2017 fortgesetzt wurde. Heute zahlen wir für die Folgen.
Kann man sagen, dass die Schwächung der französischen Atomkraft eine Möglichkeit für Berlin ist, seine Herrschaft über Europa zu festigen?
Natürlich ist das so! Deutschland ist im Übrigen seit Jahren die führende Macht in Europa, sei es wirtschaftlich, technologisch oder demografisch. Es dominiert die EU. Die Kabinettschefs der Kommissionspräsidenten waren oft Deutsche.
Es ist kein deutscher Präsident notwendig, um die Kommission mit einem deutschen Kabinettschef zu dominieren. Diese sabotierten die Kernenergie innerhalb der Generaldirektion für Energie.
Persönlichkeiten wie Frans Timmermans, der ehemalige erste geschäftsführende Vizepräsident der Kommission, unterstützen diese Zerstörung der Kernenergie. Er wollte diese Energie sogar aus der europäischen Taxonomie ausschließen! Erst als sich elf Länder gegen diese Maßnahme aussprachen, gab er sie auf.
Mit welchen Mitteln hat Berlin die französische Atomindustrie geschwächt? Ein Bericht der École de guerre économique (deutsch: Schule für Wirtschaftskrieg; abgekürzt EGE) vom Juni 2023 wies auf die „schädlichen Folgen des Handelns der deutschen politischen Stiftungen“ hin. Was halten Sie davon?
Deutschland hat die französische Atomkraft durch Lobbyarbeit geschwächt. Diese Praxis ist an sich legitim. Es ist völlig normal, dass Industrieunternehmen oder Organisationen ihre Interessen innerhalb der Institutionen vertreten.
Außerdem: Wenn man mächtig ist und die anderen träge sind, hat man bessere Chancen, den anderen seinen Willen aufzuzwingen; so geschehen zwischen Deutschland und Frankreich in der Atomfrage.
Aber abgesehen von der Stärke der Deutschen haben auch die Naivität und der Mangel an Strategie der Franzosen die Atomindustrie geschädigt.
Sie sprechen von Naivität. Der Begriff „deutsch-französisches Paar“ wurde von mehreren Staatschefs in den Vordergrund gestellt. Ist er ein Zeichen für ihre Leichtgläubigkeit?
Genau so ist es. Ich glaube übrigens nicht, dass die Deutschen den ganzen Tag damit prahlen, dass sie mit den Franzosen ein „Paar“ bilden.
Aber es ist sicher, dass Deutschland Frankreich im Energiebereich dominiert. Es ist das Land, das die Politik diktiert, die umgesetzt werden soll. Die Deutschen sind die Urheber des Begriffs Energiewende, der einen schnellen Wandel bezeichnet. Wir haben den Begriff jedoch mit einem milderen übersetzt: „transition énergétique“. Die Deutschen haben das Konzept dem Rest Europas aufgezwungen, ich bin mir dessen sicher.
In einem am 14. Januar veröffentlichten Bericht über den Europäischen Druckwasserreaktor (EPR), der kurz vorher in Flamanville ans Netz gegangen ist, wies der Rechnungshof insbesondere auf die „zu vielen Mehrkosten, Verzögerungen und Ungewissheiten“ hin. Die Wiederbelebung der französischen Atomkraft läuft also stockend?
Dies ist die Folge der politischen Entscheidungen von François Hollande, die Anzahl der Atomreaktoren zu reduzieren. In dem Moment, in dem Sie behaupten, dass die Kernkraft der Vergangenheit angehört und die Zukunft in erneuerbaren Energien liegt, verlieren Sie kompetente Arbeitskräfte. Junge Menschen versuchen nicht mehr, sich auf die Kernenergie zu spezialisieren, sondern wenden sich anderen Studiengängen zu. Das ist der Ursprung der Sabotage.
Der Wiederaufbau des Sektors wird daher einige Zeit in Anspruch nehmen. Und für Frankreich wird die Herausforderung des Wiederaufbaus umso schwieriger, als andere Nationen wie Kanada, China, Russland und Korea ihre Atomindustrie kontinuierlich weiterentwickelt haben.
Sie sind im Übrigen glaubwürdige Akteure. Wenn die Franzosen heute ihre Kraftwerke ins Ausland verkaufen wollen, werden sie nicht mehr ernst genommen. Das ist in Polen, der Ukraine und Kroatien passiert. Frankreich hat seine Glaubwürdigkeit erheblich verloren.
In einer Zeit, in der Donald Trumps Amerika massiv fossile Energieträger produzieren will und das kommunistische China seine Atomindustrie erheblich ausbaut – welche Politik müssen Europa und Frankreich verfolgen, um nicht abgehängt zu werden?
Der Ausstieg aus dem Green Deal ist die einzige Lösung. Es darf auf keinen Fall damit begonnen werden, diesen oder jenen Artikel zu ändern oder seine Umsetzung zu verzögern. Der gesamte Pakt muss abgelehnt werden. Das deutsche Öko-Dogma zerstört gerade unsere Wirtschaft.
Darum geht es übrigens auch in meinem letzten Buch: Wir erleben die organisierte Zerstörung der Wettbewerbsfähigkeit der EU. Ich stelle fest, dass Mario Draghi im September einen Bericht veröffentlicht hat, in dem er einräumt, dass Europa seine Wettbewerbsfähigkeit verloren hat – was ich vorausgesagt hatte.
Innerhalb der EU-Institutionen wird allmählich offener gesprochen. Vergangene Woche war ich eingeladen, an einer Debatte in Brüssel teilzunehmen. Es waren ein Beamter der Kommission, ein grüner Lobbyist, ein Schweizer Industrieller, der Gas und erneuerbare Energien verkauft, und ich selbst anwesend.
Am Ende der Konferenz kamen einige Leute auf mich zu, um mir zu danken, dass ich bestimmte Themen angesprochen habe. Viel zu lange gab es eine regelrechte Omertà, die verhindert, dass die Wahrheit gesagt wird.
Und dann gibt es ein Ereignis, das auf den 3. Februar zurückgeht. Die neue belgische Mitte-rechts-Regierung setzt stark auf die Wiederbelebung der Kernenergie. Sie behält 4-GW-Reaktoren bei, die geschlossen werden sollten. Hinzu kommen langfristig 4 GW an neuen Reaktoren, ein SMR der Generation IV zu Demonstrationszwecken und vor allem die Forderung, dass die EU Artikel 1 des Euratom-Vertrags wieder ernst nimmt.
Dieser verpflichtet die Europäische Kommission, diese Energie zur „Hebung des Lebensstandards in den Mitgliedstaaten“ zu entwickeln. Man kann sagen, dass Belgien vom Atomium zu Euratom zum Leuchtturm der europäischen nuklearen Renaissance wird.
Glücklicherweise sind Lügen nicht von Dauer und wieder einmal sehe ich, dass die freie Meinungsäußerung zunimmt. Es wurde auch Zeit! Zu viele Industriezweige wurden geopfert. Hinzu kommt der jüngste „Greengate“-Skandal. Es ist doch unglaublich, dass die Europäische Kommission grüne NGOs finanziert hat, die den Green Deal verteidigen sollten.
Der Artikel erschien zuerst in der französischen Epoch Times.
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