Rettung vor Staatspleiten: Beratung der Finanzminister zum Eurorettungsschirm

Schon vor einem Jahr war die Reform des Eurorettungsschirms ESM so gut wie fertig. Dann stellte sich Italien quer. Jetzt sei man "recht optimistisch", heißt es vor der Sitzung der Eurogruppe.
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Die Eurozone nimmt erneut Anlauf, sich gemeinsam besser gegen künftige Finanzkrisen zu wappnen.Foto: picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa/dpa
Epoch Times30. November 2020

Die Eurozone nimmt erneut Anlauf, sich gemeinsam besser gegen künftige Finanzkrisen zu wappnen. Nach jahrelangem Streit könnten die Finanzminister der 19 Eurostaaten und der übrigen EU-Länder am Montag (30. November) endgültig die Reform des Eurorettungsschirms ESM billigen.

Damit wäre auch der Weg frei für die rasche Einführung eines letzten Sicherheitsnetzes für die Abwicklung von Pleitebanken.

Die Details sind technisch, aber die politische Bedeutung ist klar: Mitten in der Corona-Krise soll ein Signal kommen, dass die Staaten des Währungsgebiets zusammenhalten.

Worum geht es bei der ESM-Reform?

Hauptaufgabe des 2012 nach der Wirtschafts- und Finanzkrise gegründeten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist und bleibt, im Krisenfall Eurostaaten mit Krediten gegen Reformauflagen vor der Staatspleite zu retten. Der ESM hat 705 Milliarden Euro Stammkapital, von denen die 19 Eurostaaten 80,5 Milliarden eingezahlt und für den Rest Garantien abgegeben haben.

Deutschland ist mit 21,7 Milliarden Euro eingezahltem und 168,3 Milliarden Euro abrufbarem Kapital dabei. Auf dieser Basis kann sich der ESM zu sehr günstigen Konditionen Geld am Kapitalmarkt leihen und dies als Kredite weiterreichen.

Ziel der Reform sind vor allem zwei Punkte: Der ESM soll im Krisenfall leichter „vorsorgliche Kreditlinien“ (sogenannte PCCL) für wirtschaftlich gesunde Staaten öffnen können. Und der ESM soll die Funktion einer gemeinsamen „Letztsicherung“ (Backstop) für den 2014 gegründeten Bankenabwicklungsfonds SRF übernehmen.

Was ist der gemeinsame Backstop?

Der Backstop ist quasi eine staatlich garantierte Rückversicherung bei der Abwicklung von Pleitebanken. Finanziert werden soll diese eigentlich durch den Abwicklungsfonds SRF, den die Banken selbst derzeit aufbauen und letztlich mit mehr als 55 Milliarden Euro bestücken sollen. Bisher sind es rund 47 Milliarden.

Reicht das Geld nicht, kann der ESM dem Abwicklungsfonds künftig Geld leihen, das dieser zurückzahlen muss. In letzter Konsequenz stehen für diesen Backstop die Anteilseigner des ESM gerade – also die 19 Eurostaaten und ihre Steuerzahler.

Wo ist das Problem?

Die ESM-Reform wurde schon 2018 in Grundzügen vereinbart und sollte eigentlich im Dezember 2019 unter Dach und Fach gebracht werden. Doch Italien stellte sich quer. Der ESM ist dort innenpolitisch ein heikles Thema. Vor allem die rechte Lega punktet mit Kritik an den Sparprogrammen, die der ESM im Gegenzug für Rettungskredite verlangt.

Konkret erhob die italienische Regierung vor einem Jahr Bedenken gegen einen Teilaspekt der ESM-Reform: die Gläubigerbeteiligung als Voraussetzung für ESM-Hilfen. Vorgesehen ist ein Instrument namens „single limb collective action clauses“. Dieses soll es leichter machen, einen Schuldenschnitt oder eine Laufzeitverlängerung von Staatsanleihen zu beschließen. Kritiker im hoch verschuldeten Italien befürchten, dass diese Neuerung Kredite am Kapitalmarkt teurer machen könnte, weil sich Investoren das Risiko bezahlen lassen würden.

Vonseiten Italiens hieß es direkt nach der Sitzung im April 2020: Die von Rom kritisierten Bedingungen für ESM-Kredite seien „vom Tisch“. Gleichzeitig blieben „europäische Bonds auf dem Tisch“.

Was will Deutschland?

Deutschland trägt die ESM-Reform mit, hat aber einen anderen wunden Punkt: die Verminderung von Risiken – vor allem faule Kredite – in Bank-Bilanzen, bevor der gemeinsame Backstop eingeführt wird.

Dieser soll „spätestens 2024“ starten, kann aber vorgezogen werden, sobald die ESM-Reform steht und Bank-Risiken heruntergefahren sind. Die jüngste Bestandsaufnahme bescheinigt tatsächlich einen Abbau der Risiken, wie ein Vertreter der Eurogruppe vorige Woche sagte. Deutschland möchte die Zusicherung, dass dies weitergeht.

Vor der Sitzung der EU-Finanzminister im April 2020 sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel sich wegen der gesamtschuldnerischen Haftung nochmals gegen die Corona-Bonds aus.

Doch nicht nur die Haftung könnte so manchem Staat unwohl sein. Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel sagte am 7. April, also noch vor der Einigung in der letzten Sitzung der Finanzminister, gegenüber der „Süddeutschen“, dass „gemeinschaftliche Anleihen (…) auch eine gemeinsame Kontrolle der Haushalte voraussetzen. Dazu habe ich nichts gehört, dass die Staaten dazu bereit sind“, sagt Waigel.

Hans-Werner Sinn: Schuldensozialisierung führt zu Hass und Streit

Auch Hans-Werner Sinn äußerte sich im April kritisch: Corona-Bonds „in erster Linie [außerdem] nicht Italien, sondern die französischen Banken, die besonders viele italienische Staatspapiere halten“, stützen. Dies sagt er in einem am 5.4. veröffentlichten Interview mit „The European“.

„Auf Dauer führen sie unweigerlich zu einer Verschuldungslawine, die nichts als Hass und Streit übrig lassen wird wie einst die Vergemeinschaftung der Schulden durch Alexander Hamilton in den USA [ab 1835]“, fügte Sinn hinzu.

Sinn verweist dabei auf die Masseninsolvenzen der US-Einzelstaaten infolge der „Schuldensozialisierung“. (dpa/ks)



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