Rekorderhöhung beim Mindestlohn: mehr Segen als Fluch?
Es war eines der großen Themen, mit dem die SPD in den Wahlkampf zog. „Jetzt 12 Euro Mindestlohn wählen“, warb der spätere Bundeskanzler auf großen Plakaten mit rotem Hintergrund, „Scholz packt das an.“ Die Grünen forderten die deutliche Erhöhung vor der Bundestagswahl als Teil des „sozial gerechten“ Klimaschutzes – „damit gerade Menschen mit niedrigem Einkommen nicht durch steigende Preise bei einzelnen Gütern im Klimaschutz überfordert werden.“
Der neue Mindestlohn von zwölf Euro ab Oktober ist die größte Gehaltserhöhung der deutschen Geschichte. Am 1. Juli steigt die gesetzliche Lohnuntergrenze zunächst von derzeit 9,82 auf 10,45 Euro an. Rund sieben Millionen Menschen profitieren laut Statistischem Bundesamt von dem Anstieg. Politisch ist die Anpassung so gut wie beschlossen – selbst die CDU als größte Oppositionspartei will sich nicht dagegen sperren. Für die deutschen Firmen bedeutet dies höhere Lohnkosten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände etwa rechnet mit zusätzlich 1,6 Milliarden Euro.
Eine aktuelle Analyse des Münchener Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag des Personaldienstleisters Randstad offenbart darüber hinaus: 44 Prozent der 630 befragten Personalchefs von Unternehmen müssen ihre Löhne nach oben anpassen. Die Hälfte der Betriebe zahlt hingegen schon heute mindestens 12 Euro. Befragt wurden rund 1.000 Personalverantwortliche aus Unternehmen unterschiedlicher Größen und Branchen.
„Enorme Lohnspirale nach oben“
Selbst viele Arbeitnehmer kommen nicht in den vollen Genuss der deutlichen Lohnerhöhung. Dies legt zumindest eine Studie der Informationsstelle für Mindestlohn im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung nahe. Danach haben zwar vier Millionen Menschen von der Einführung des Mindestlohns zum 1. Januar 2015 profitiert. Die Erhöhung habe allerdings nicht automatisch zu einer Erhöhung der Monatslöhne geführt, argumentieren die Wissenschaftler, weil Arbeitgeber in der Regel die Arbeitszeit verkürzen, wenn sie mehr pro Stunde zahlen müssen.
Die Folge: Gerade bei geringfügig Beschäftigten spiegelt der Anstieg ihres monatlichen Salärs nur knapp die Hälfte dessen wider, was sich durch den Anstieg der Mindestlöhne ohne Arbeitszeitverkürzung eigentlich ergeben müsste. Zugleich sehen die Studienautoren aber auch keine „statistisch signifikante“ Auswirkung des gesetzlichen Mindestlohns auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit.
Die Arbeitgeber beurteilen das naturgemäß anders: „Ein Mindestlohn von zwölf Euro würde in über 190 Tarifverträge eingreifen und über 570 tariflich ausgehandelte Lohngruppen überflüssig machen“, warnte Arbeitgeberpräsident Reiner Dulger schon Mitte Oktober. Eine solche Mindestlohngrenze würde „eine enorme Lohnspirale nach oben erzeugen und somit den Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte unheimlich erschweren“.
Steigende Löhne könnten die ohnehin bereits hohe Inflation weiter antreiben, zumal das Gesetz nicht nur die rund acht Millionen Beschäftigten tangiert, die momentan weniger als zwölf Euro verdienen. Nach oben gezogen werden nämlich auch alle darüber liegenden Gehaltsgruppen, da gelernte Fachkräfte ein höheres Gehalt als Ungelernte erwarten. Zudem verteuern höhere Lohnkosten die Produktion und werden auf die Kunden abgewälzt.
Verfassungsrechtlich problematischer Eingriff in die Tarifautonomie
Bei der Bundesbank hört sich dies in ihrem Monatsbericht so an: Die geplante „deutliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns“ könnte sich auf das Lohnwachstum und in der Folge auf den Preisanstieg auswirken. „Insgesamt dürfte die Anhebung den aufwärts gerichteten Lohndruck spürbar verstärken.“
Für Unmut unter den Arbeitgebern sorgte außerdem, dass eigentlich die Mindestlohnkommission aus Vertretern von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Ökonomen über die Entwicklung der gesetzlichen Lohnuntergrenze entscheidet.
Die Bundesregierung höhlte dieses Prinzip mit ihrem Eingriff aus. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände monierte zum Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), dass die angestrebte Anhebung des Mindestlohns tief in die Tarifautonomie in Deutschland eingreife. Ein solcher Eingriff in laufende Tarifverträge sei verfassungsrechtlich problematisch. Rund 200 laufende Tarifverträge werden durch den Mindestlohn tangiert und ausgehebelt, warnt der Arbeitgeberverband.
Lars Feld, bis 2021 Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, nennt im Gespräch mit der „Wirtschaftswoche“ eine weitere Gefahr: „Gleichwohl müssen wir darauf achten, dass wir nicht Fachkräftemangel und zugleich eine höhere strukturelle Arbeitslosigkeit bekommen, wenn bestimmte Tätigkeiten sich aufgrund eines zu hohen Mindestlohns nicht mehr rechnen.“ Dank der generellen Arbeitskräfteverknappung könnte der höhere Mindestlohn indes geringere Auswirkungen auf die Beschäftigung haben, so Feld.
Ähnlich sieht es die IG Metall. „Bereits bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 haben sich die Unkenrufe der Arbeitgeber nicht bewahrheitet“, hieß es bei der größten bundesdeutschen Einzelgewerkschaft. Dazu passt eine Studie des – gewerkschaftsnahen – Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, die die Inflation im Jahr 2023 durch die Mindestlohnanhebung nur kurzfristig und lediglich um 0,25 Prozentpunkte steigen sieht.
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