Opioid-Krise in den USA: Bundesstaaten klagen Pharma-Unternehmen an
Lange Zeit galt die Unternehmerdynastie Sackler aus New York City als Beispiel für eine Familie, die sich durch Fleiß und Geschick Wohlstand geschaffen hatte und dem amerikanischen Volk durch Mäzenatentum für die Kunst und vielerlei philanthropische Aktivitäten etwas davon zurückgaben.
Der 1920 geborene Raymond Sackler, der das hohe Alter von 97 Jahren erreichte, hatte zusammen mit seinem Bruder Mortimer 1952 das Pharmaunternehmen Purdue Pharma erworben und in weiterer Folge zu einem der weltweit führenden Konzerne auf diesem Gebiet ausgebaut. Der Konzern produzierte unter anderem das Schmerzmittel Oxycontin.
Präparate in vielen anderen Ländern vom Markt genommen
Dieses stellt ein Opioid auf der Basis des Wirkstoffes Oxycodon dar und gilt als hoch wirksam bei starken oder sehr starken Schmerzen. Allerdings sind auch die Nebenwirkungen stark, vor allem in Form einer schnellen und tiefgreifenden körperlichen Abhängigkeit und Suchtgefahr, weshalb das Medikament auch nur in Ausnahmefällen und für kurze Zeit zur Anwendung kommen sollte.
Exakt auf diesen Umstand soll Purdue Pharma jedoch in systematischer Weise nicht ausreichend hingewiesen haben. Die Folge war, dass Oxycontin zu den am weitesten verbreiteten und umsatzstärksten Medikamenten auf dem US-amerikanischen Schmerzmittelmarkt wurde – und es auch noch zu einer Zeit blieb, da in anderen Ländern entsprechende Präparate längst vom Markt genommen werden mussten.
Die Vielzahl der Medikamentenabhängigen und die schweren Folgen des Missbrauchs wurden zu entscheidenden Faktoren der sprichwörtlich gewordenen Opioid-Krise in den USA. Für diese müssen sich nun führende Persönlichkeiten der Sackler-Dynastie in den Bundesstaaten Connecticut und Massachusetts vor Gerichten verantworten. Dazu kommen hunderte privater Klagen vor US-amerikanischen Gerichten anderer Bundesstaaten.
Begünstigte wohltätiger Zuwendungen vonseiten der Sacklers wie das Metropolitan Museum of Art („The Met“), das Guggenheim Museum oder die Columbia-Universität gehen seither auf Distanz zu ihren langjährigen Mäzenen und prüfen, inwieweit es für sie noch als angemessen erscheint, wenn Ausstellungsräume, Trakte oder Stipendien weiterhin deren Namen tragen.
Betroffene selbst verantwortlich gemacht
Zu den Angeklagten gehören die amtierenden Vorstandsmitglieder Richard Sackler, Jonathan Sackler, Mortimer D.A. Sackler, Kathe Sackler, Ilene Sackler Lefcourt, Beverly Sackler, David Sackler und Theresa Sackler. Außerdem müssen sich die früheren CEOs John Stewart und Mark Timney für den Vorwurf verantworten, staatliche Gesetze zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb und Betrug übertreten zu haben.
Wie der „CT Mirror“ berichtet, unterscheiden sich jedoch die Beweisführungen in Connecticut und Massachusetts voneinander. Während in letztgenanntem Bundesstaat auch interner E-Mail-Verkehr zwischen Familienmitgliedern und Verantwortlichen im Unternehmen als Beweismittel zugelassen wurde, ist dies in Connecticut nicht der Fall. In den Mails soll beispielsweise Perdue-Präsident Richard Sackler dazu geraten haben, Menschen, die vom Opioid-Gebrauch süchtig geworden waren, selbst für ihre Situation verantwortlich zu machen.
Inhaltlich ist zwischen beiden Anklagen allerdings wenig Unterschied, erklärt auch der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates Connecticut, William Tong. Die Sackler-Familie sei in erhebliche Maße an der Gesundheitskrise mitschuldig, die Tag für Tag mehr als 100 Amerikaner das Leben koste.
Purdue weist alle Vorwürfe zurück. Die Produkte des Unternehmens seien sicher und man habe sogar Programme gegen Medikamentensucht selbst initiiert. In einer Erklärung heißt es:
Wir glauben, kein Hersteller von Pharmazeutika hat mehr dazu beigetragen, gegen Opioid-Sucht vorzugehen als Purdue.“
„Desinformation, um Gewinn zu machen“
In der Anklage vor dem Obergericht in Hartford heißt es hingegen, die Angeklagten hätten „Patienten und Ärzte desinformiert, um mehr und mehr Menschen von den gefährlichen Präparaten Purdues abhängig zu machen“ und außerdem „Ärzte irregeführt und auf diese Weise dazu veranlasst, Patienten mehr und höhere Dosen zu verschreiben“.
Purdue habe Ärzte dazu veranlasst, ihren Patienten den längeren Gebrauch eigener Präparate zu erlauben und gleichzeitig „Falschdarstellungen verbreitet, um Patienten von sichereren Alternativen fernzuhalten“. Selbst als die Angeklagten schon wussten, dass Menschen abhängig waren und starben, hätten sie diese und ihre Ärzte als „Zielgruppe“ betrachtet, um mehr Präparate zu verkaufen. Als Tatzeitraum wird 2007 bis 2018 angegeben.
Auch in 36 weiteren Bundesstaaten arbeiten die Anklagebehörden an Anklagen gegen Purdue, wobei die meisten bislang allerdings nur gegen das Unternehmen als solches vorgehen, nicht gegen die Sacklers persönlich in ihren führenden Funktionen. Zudem wollen mehr als 1500 Städte und Kommunen gegen Purdue, aber auch gegen andere Opioid-Hersteller, Verteiler, Apotheken und sogar Ärzte vorgehen, die mitverantwortlich sein sollen für die weit verbreitete Sucht nach Schmerzmitteln in den USA.
Connecticut und Massachusetts führen mittlerweile auch eine von bislang 41 Bundesstaaten unterstützte Untersuchung an, die auch andere Pharmaunternehmen wie Endo International, Janssen Pharmaceuticals, Teva Pharmaceutical Industries and Allergan sowie deren Vertriebspartner wie AmerisourceBergen, Cardinal Health und McKesson ins Visier nimmt.
Vergleich mit Tabakindustrie 1998 als Vorbild?
Purdue-Sprecher Robert Josephson spricht von einem „Teilakt des Versuches, Purdue zum Sündenbock für die gesamte Opioid-Krise in den USA zu stempeln, und die öffentliche Meinung anstelle des Justizsystems darüber befinden zu lassen“. Der Anklage sei es zu keiner Zeit gelungen, eine geschlossene Kette der Kausalität und Adäquanz herzustellen zwischen dem Gebaren des Unternehmens und den Folgen, die man ihm zurechnen wolle.
Man versuche, so Josephson, Purdue, seine Vorstände, Beschäftigten und Leiter öffentlich zu Schurken zu stempeln, indem man ein paar willkürlich herausgenommene Dokumente aus zehn Millionen aus dem Kontext nehme und gleichzeitig die Bemühungen des Unternehmens zum Vorgehen gegen die Opioid-Krise ignoriere. Bereits 2007 hat Purdue eingeräumt, dass die Firma die Gefahren des Schmerzmittels falsch dargestellt habe, und freiwillig 630 Millionen US-Dollar Strafe gezahlt. Die Familie Sackler soll von dieser Strategie allerdings nichts gewusst haben, betonte man damals.
Der Anklage zufolge hätte die Opioid-Krise allein im Jahr 2016 in Connecticut einen Schaden von mehr als 10,3 Milliarden US-Dollar verursacht. Dazu zählen unter anderem 493 Millionen US-Dollar an zusätzlichen Kosten für das Gesundheitswesen und 144 Millionen für die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, die damit in Verbindung stünden.
Experten rechnen nun mit einer Entwicklung wie 1998 im Zusammenhang mit den Tabakunternehmen, als diese im Wege einer Vereinbarung 250 Milliarden US-Dollar für Präventions- und Heilbehandlungsprogramme zu bezahlen bereit waren. Zugleich wurden weitreichende Restriktionen für Tabakwerbung eingeführt.
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