„Next Generation EU“: Nettozahler Deutschland darf an Corona-Fonds teilnehmen
Die deutsche Beteiligung am 750 Milliarden Euro schweren Corona-Aufbaufonds unter dem Titel „Next Generation EU“ ist rechtens. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mitgeteilt. Wie der „Spiegel“ berichtet, haben die Richter damit zwei zugelassene Verfassungsbeschwerden gegen das Konstrukt abgewiesen.
Diese waren auf einen Rückzug Deutschlands oder eine vollständige Beendigung des Programms gerichtet. Der Bundesrechnungshof hatte Risiken für den Bundeshaushalt des Nettozahlers Deutschland befürchtet.
EU-Kommission nimmt gemeinsame Schulden auf
Die Höchstrichter hatten im April 2021 eine deutsche Beteiligung an dem Programm im Eilverfahren ermöglicht. Allerdings stellten sie einen möglichen Verfassungsverstoß in den Raum. Diesen verneinten sie jedoch nun im Hauptverfahren. Geklagt hatten unter anderem Ex-AfD-Gründer Bernd Lucke, mehrere CDU-Abgeordnete, die AfD-Bundestagsfraktion und der Unternehmer Heinrich Weiss. Von fünf Klagen hatte Karlsruhe zwei zur Verhandlung zugelassen.
Ziel des Programms ist es, den EU-Mitgliedstaaten eine Regeneration von den Schäden durch die Corona-Pandemie zu ermöglichen. Um den 750-Milliarden-Euro-Topf zu finanzieren, nimmt die EU-Kommission als solche Schulden auf. Diese sollen bis Ende 2058 beglichen sein. Einen Teil stellt der Fonds betroffenen Ländern in Form von Zuschüssen zur Verfügung, einen Teil als Darlehen.
Ein Großteil der Mittel wird an Italien und Spanien als besonders stark von der Pandemie betroffene Länder fließen. Die Finanzierung soll es ermöglichen, den Wiederaufbau mit der Errichtung einer Infrastruktur zu verbinden, die den EU-Klimazielen gerecht wird. Entsprechend soll das Geld in Wasserstoffforschung, Elektromobilität oder die Digitalisierung der Bildung fließen.
Bundesrechnungshof befürchtet: Beispiel könnte Schule machen
Für Deutschland ergibt sich aus der Konstruktion des Fonds ein nicht unerhebliches Ungleichgewicht, befürchtete unter anderem der Bundesrechnungshof.
Das Land wird selbst etwa 26 Milliarden Euro aus dem Topf erhalten. Demgegenüber steuert es als Nettozahler jedoch selbst 65 Milliarden Euro bei. Dies bedeute eine „Zäsur in der europäischen Finanzarchitektur“, hieß es vonseiten des Bundesrechnungshofs.
Die Kläger sprachen von einem unkalkulierbaren Schuldenrisiko, das Deutschland über Jahrzehnte hinweg eingehe. Vor allem sei dies dann zu befürchten, wenn andere Staaten sich nicht mehr in der Lage sehen sollten, ihren Rückzahlungsverpflichtungen hinterherzukommen. Zudem habe das Programm keine Grundlage in den EU-Verträgen.
Die Bundesregierung hält die finanziellen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Fonds jedoch für verkraftbar. Die jährlichen Mehrausgaben für den Bundeshaushalt würden sich auf drei bis vier Milliarden beschränken. Die gemeinsame Initiative sei vor dem Hintergrund des Corona-Lockdown-Frühlings 2020 erforderlich gewesen.
Auch der Bundesrechnungshof bestätigt diese Einschätzung. Allerdings befürchten seine Experten, dass es nicht bei dieser einen Ausnahme bleiben könnte. Das Risiko einer Aufweichung der EU-Fiskalregeln bleibe im Raum.
EU hält Begriff „Nettozahler“ für obsolet
Seit 2020 veröffentlicht die EU keine Angaben mehr darüber, wer zu welchem Anteil Nettozahler innerhalb der Staatengemeinschaft ist. Im Brüssel sieht man den Begriff als weitgehend obsolet an. Unter anderem heißt es, dass sich gerade bei großen Infrastrukturprojekten Kosten und Nutzen der Einzelstaaten nicht mehr trennen ließen.
Ex-Haushaltskommissar Günther Oettinger erklärte bereits 2018 die Debatte um Nettozahler und Nettoempfänger für „zunehmend sinnentleert“. Allenfalls in Bereichen wie Agrarmitteln oder Kohäsion lasse sich daraus eine Aussage über mögliche Gleichgewichte und Ungleichgewichte treffen.
Aber bei grenzüberschreitender Infrastruktur, gemeinsamem Grenzschutz, Forschung und Entwicklungshilfe ist die Nettozahlerbetrachtung schlicht Blödsinn.“
Auch EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn meint, die Debatte um Nettozahler und Nettoempfänger werde „der Komplexität des EU-Budgets nicht gerecht“.
21,4 Mrd. Euro: Brexit hat Last für Deutschland weiter erhöht
Wie der „Business Insider“ berichtet, hat sich jedoch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) der Thematik angenommen. Auf Grundlage der alten Berechnungsmethode der EU-Kommission kamen sie zu dem Ergebnis, dass Deutschland weiterhin mit Abstand größter Nettozahler in der EU sei. Dies habe sich seit dem Brexit sogar verstärkt, da mit Großbritannien ebenfalls ein bedeutender Nettozahler wegfalle.
Aufgrund der dadurch bedingten Neuordnung der Finanzströme sei der deutsche Nettobeitrag von 2020 auf 2021 sogar deutlich um 5,9 Milliarden Euro gestiegen. Mit 21,4 Milliarden Euro sei der deutsche Nettobetrag sogar doppelt so hoch wie der von Frankreich. Dieses ist mit 10,9 Mrd. Euro auf Platz 2 auf der Liste der Nettozahler. Insgesamt seien im Jahr 2021 zehn Staaten Nettozahler gewesen, 17 waren Nettoempfänger.
Den nominell höchsten Nettobetrag habe Polen mit 12,9 Milliarden Euro erhalten – vor Griechenland (4,7 Mrd.) und Ungarn (4,3 Mrd.).
Deutschland pro Kopf nur noch knapp größter Nettozahler
Auf Grundlage des Bruttonationaleinkommens (BNE) hingegen sind die Abstände geringer. Dieses setzt die absoluten Beitragssalden in Relation zu Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl der Länder. Deutschland steuere demnach, so schreibt der „Münchner Merkur“, 0,58 Prozent seines BNE netto zum EU-Haushalt bei. Die Niederlande (0,48 Prozent), Schweden (0,46) sowie Frankreich und Dänemark (je 0,43 Prozent) lägen nicht wesentlich dahinter.
Nach dieser Rechnung ist Polen nicht mehr der größte Nettoempfänger, sondern Kroatien. Dieses profitiere in Höhe von 3,08 Prozent seines BNE vom EU-Haushalt, vor Litauen (3,05), Ungarn, Bulgarien und Lettland.
Pro Kopf zahlt sogar jeder Deutsche nur 257 Euro an die EU, Dänemark liege mit 253 Euro schon fast gleichauf. Größte Profiteure nach dieser Betrachtung wären Litauen (586 Euro pro Kopf), Estland (563 Euro) und Lettland mit 478 Euro.
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