„Neue Grundsicherung“: CDU setzt auf Eigenverantwortung bei der Arbeitssuche statt Bürgergeld

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat angekündigt, das Bürgergeld im Fall einer Regierungsübernahme seiner Partei abzuschaffen. Mit der „Neuen Grundsicherung“ soll ein System eingeführt werden, das auf mehr Eigenverantwortung bei der Arbeitssuche und härteren Sanktionen setzt. Experten sehen jedoch zahlreiche Herausforderungen und rechtliche Hürden.
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Carsten Linnemann und Friedrich Merz (Archiv)Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 9. Dezember 2024

Der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann, will im Fall einer Regierungsübernahme seiner Partei das erst 2023 in Kraft getretene Bürgergeld abschaffen. An dessen Stelle soll eine sogenannte Neue Grundsicherung treten. Im Kern soll diese auf dem Grundsatz beruhen, dass erwerbsfähige Nichterwerbstätige nicht mehr nur bei der Arbeitssuche über das Jobcenter „mitwirken“ sollen. Stattdessen sollen ihnen die primäre Verantwortung für eine aktive Arbeitssuche zufallen.

Mitarbeiter des Jobcenters sollen demnach offenbar in erster Linie noch die Betroffenen zum regelmäßigen Rapport einbestellen – und gegebenenfalls Sanktionen aussprechen. Der Union zufolge sollen diese bis zur vollständigen Streichung der Zuwendungen reichen. Auf diese Weise will Linnemann einem Gerechtigkeitsdefizit entgegenwirken, das er unter Berufstätigen wahrnehmen will.

„Aktive Arbeitssuchepflicht“ statt bloßer „Mitwirkung“ wie beim Bürgergeld

In einem Gastbeitrag für den „Focus“ erklärt Linnemann, derzeit bezögen etwa 1,7 Millionen erwerbsfähiger Menschen Bürgergeld. Demgegenüber seien in Deutschland etwa 1,7 Millionen Stellen unbesetzt und es herrsche ein erheblicher Fachkräftemangel. Zugleich beklage mehr als die Hälfte der Deutschen, dass sich Arbeit nicht mehr lohne. Dies sei Sprengstoff für ein Gemeinwesen:

„Wer täglich arbeitet und trotzdem kaum besser dasteht als sein Nachbar, der staatliche Leistungen bezieht, verliert das Vertrauen in das System.“

Wer aktiv auf Arbeitssuche sei, sollte durch regelmäßige persönliche Kontakte mit dem Jobcenter unterstützt werden. Der Spracherwerb, wo dieser noch ausstehe, solle „am besten berufsbegleitend“ stattfinden. Schwer Vermittelbaren sollen gemeinnützige integrative Dienste beistehen.

Bereits im März des Jahres hatte Linnemann über den Begriff „Bürgergeld“ geklagt. Dieser vermittle den Eindruck, es handele sich um eine Art bedingungslosen Grundeinkommens, das jedermann zustehe. Das habe auch zur Folge, dass es eine vermeintlich hohe Zahl an sogenannten Totalverweigerern gebe. Diesen wolle man vonseiten der Union den Kampf ansagen.

IAB-Direktor zweifelt an gezeichnetem Bild vom Bürgergeld

Der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Bernd Fitzenberger, zeigt sich von Linnemanns Positionen nur bedingt überzeugt. Im gleichen Magazin äußert der Stanford-Ökonom und Leopoldina-Angehörige, dass nur wenig für einen Erfolg dieses Konzepts spreche.

Fitzenberger zieht bereits den Befund in Zweifel, dass das Bürgergeld in der breiten Bevölkerung tatsächlich als bedingungsloses Grundeinkommen wahrgenommen werde. Wer dieses beziehe und als erwerbsfähig eingeschätzt werde, habe von Beginn an eine Mitwirkungspflicht, seine Arbeitslosigkeit zu überwinden. Es lägen „keine empirischen Befunde“ vor, die Linnemanns Einschätzung stützten. Auch die Zahl der Sanktionen sei seit der Einführung des Bürgergeldes zurückgegangen.

Der Ökonom zweifelt an einer hinreichenden juristischen Fassbarkeit von Begriffen wie „Totalverweigerer“. Es gebe Einzelfälle, in denen erwerbsfähige Bezieher von Bürgergeld mehrfach Jobangebote ablehnten. In einer schlechten Wirtschaftslage sei es jedoch auch möglich, dass viele über einen bestimmten Zeitraum gar keine angeboten bekämen.

Bürgergeld komplett weg bei bloßem Meldeversäumnis?

Die meisten Sanktionen, die verhängt würden, beträfen Meldeversäumnisse. Zwar räume das Bundesverfassungsgericht einen Spielraum, was deren Höhe anbelange. Es müsse jedoch auch stets das Gebot der Verhältnismäßigkeit Beachtung finden. Eine komplette Streichung des Regelsatzes und der Unterkunftskosten scheine „durch das Verfassungsgerichtsurteil mit sehr hohen rechtlichen Hürden verbunden zu sein“.

Sanktionen seien „nicht das Allheilmittel, um Menschen sofort in Beschäftigung zu bringen“, betont Fitzenberger. Entscheidender sei eine Erhöhung der sogenannten Kontaktdichte. Allerdings scheitere diese oftmals an einer faktischen Überlastung der Jobcenter. Dies sei nicht zuletzt dann der Fall, wenn außergewöhnliche Ereignisse wie größere Fluchtbewegungen aufträten.

Gleichzeitig löse auch die Kontaktdichte nicht alle Probleme. Es gebe hunderttausende Bezieher von Bürgergeld, die in einer Maßnahme seien oder als Erwerbstätige ihr reguläres Gehalt aufstocken müssten.

„Bei ihnen könnte so ein monatlicher Pflichttermin zu einem nutzlosen Ritual werden, weil keine neuen Dinge zu besprechen sind.“

Mismatch-Problem und unterschiedliche Dynamiken

Die Rechnung Linnemanns ginge auch nicht auf, wenn dieser die Zahl der erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfänger jener der offenen Jobs gegenüberstelle. Es gebe unter den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine unterschiedliche Dynamik. Etwa die Hälfte davon sei langzeitarbeitslos, unter den Übrigen fänden jedoch viele schnell in eine Maßnahme. Es stünden aber auch einige Erwerbsfähige aus gesundheitlichen Gründen oder wegen der Betreuung von Kindern kurzfristig nicht zur Verfügung.

Zudem gebe es ein Mismatch-Problem, da einfach nicht alle Leistungsempfänger auf alle offenen Stellen passten. Neben unterschiedlichen Qualifikationsniveaus lebten nicht alle Arbeitssuchenden in der Region, in der passende Stellen frei wären. Um die Zahl der Beschäftigten zu steigern, seien nicht Maßnahmen gegen Bürgergeld-Bezieher wirksam, sondern eine Rückkehr der wirtschaftlichen Dynamik. Die Ausgaben für das Bürgergeld stiegen auch aufgrund steigender Wohnkosten:

„Das kann nur mit mehr bezahlbarem Wohnraum reduziert werden. Und dafür wird der Staat ebenfalls finanziell unterstützen müssen.“



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