Mehrwertsteuerchaos kostet Milliarden – Rechnungshof nimmt Lindner in die Pflicht
Mittlerweile 35 Milliarden Euro jährlich verschenkt der Bund aufgrund von Ausnahmen und Sonderregeln bei der Mehrwertsteuer. Zu dieser Einschätzung gelangt der Bundesrechnungshof in einem jüngst veröffentlichten Gutachten – und macht Bundesfinanzminister Christian Lindner zum Vorwurf, keine Reform anzustoßen.
Die Forderung der Rechnungsprüfer ist nicht neu: Bereits 2010 hatten sie die Bundesregierung darauf hingewiesen, dass die Vielzahl an Ausnahmen die Regelungen zur Umsatzsteuer ineffizient und unsystematisch machten. Die Corona-Pandemie habe zusätzliche Sonderregeln geschaffen, die vom 19-Prozent-Standard abwichen. Die Summe der Mindereinnahmen habe sich seither um zehn weitere auf 35 Milliarden Euro pro Jahr ausgeweitet.
Bundesfinanzministerium lässt keine Eile erkennen
Grundsätzlich fällt auf steuerpflichtige Umsätze in Deutschland eine Mehrwertsteuer von 19 Prozent an. Das Kabinett Merkel I hatte die Umsatzsteuer im Jahr 2006 von zuvor 16 Prozent auf diesen Satz angehoben. Allerdings sollen einige lebenswichtige Güter des täglichen Bedarfs einem ermäßigten Steuersatz unterliegen, um Verbraucher nicht über Gebühr zu belasten.
Der Bundesrechnungshof stellt eine diesbezügliche Notwendigkeit nicht explizit in Abrede, allerdings mahnt er an, die Ausnahmen auf den Bereich der Grundversorgung zu beschränken. Stattdessen sei der Anwendungsbereich der ermäßigten Mehrwertsteuer immer stärker ausgeweitet worden. Ein Ende der Forderungen nach weiteren Sonderregeln sei nicht in Sicht.
Längst, so der Bundesrechnungshof, gehe es nicht mehr um lebenswichtige Güter und Dienstleistungen. Vielmehr stünde immer häufiger knallharte Klientelpolitik hinter den Ermäßigungstatbeständen. In der Wirkung kämen die Vergünstigungen Subventionen gleich. Dies trage zu immer mehr Intransparenz bei. Es sei „bedenklich“, dass keine Reformanstöße vonseiten des Bundesfinanzministeriums zu verzeichnen seien, zitiert „table.media“ das noch nicht öffentlich zugängliche Gutachten.
Bundesrechnungshof bemängelt Fehlen von Systematik
Derzeit falle auf Medikamente und Babybrei eine höhere Mehrwertsteuer an als auf Hundefutter. Kunden in der Gastronomie wissen: Vor Ort konsumierte Speisen und Getränke unterliegen dem regulären Mehrwertsteuersatz. An den Stehtisch oder „to go“ mitgenommene dem ermäßigten. Sogar zwischen verschiedenen Arten von Geschirr gibt es unterschiedliche Mehrwertsteuersätze.
Auch die Bundesländer hatten in der Vergangenheit Druck in Richtung einer Reform entfaltet. Lindners Ministerium habe zu Beginn der Legislaturperiode sogar angekündigt, eine Kommission ins Leben zu rufen, in der auch die Länder Mitsprache erhalten sollten. Das Vorhaben sei jedoch in weiterer Folge auf eine interne Kommission abgespeckt und nun auf die lange Bank geschoben worden.
Wie der Bundesrechnungshof mitteilt, habe das Ministerium ihm signalisiert, es sei „für diese Legislaturperiode keine Reform der Umsatzsteuersätze geplant“. Dabei stecke ein „erhebliches Potenzial für Steuermehreinnahmen“ bereits in einer bloßen Systematisierung.
„Dringender Reformbedarf“
Nicht zum ersten Mal steht auch die FDP im Verdacht, die Mehrwertsteuer als Instrument der Wählerbindung einzusetzen. Bereits in der Zeit der schwarz-gelben Koalition war die Frage einer ermäßigten Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen ein Streitthema. Die Liberalen hatten diese gleich zu Beginn der Legislaturperiode 2009 bis 2013 durchgesetzt, später aber aufgrund starker Kritik wieder zurückgezogen.
In der Corona-Zeit wurde die Mehrwertsteuer in der Gastronomie erneut gesenkt, um der vom Lockdown gebeutelten Tourismusbranche Unterstützung zukommen zu lassen. Nun will Minister Lindner diese Ausnahmeregel verstetigen. Der Bundesrechnungshof sieht dies nicht als einen tauglichen Anwendungsfall der Ermäßigung, die eigentlich der Entlastung sozial benachteiligter Haushalte dienen soll.
Bereits 2023 hatten die Rechnungsprüfer einen Bericht über den ermäßigten Umsatzsteuersatz vorgelegt und dabei „dringenden Reformbedarf“ festgestellt. Jede einzelne Begünstigung solle, so hieß es darin, „auf systematische Schwachstellen untersucht und kritisch hinterfragt“ werden.
Bundesrechnungshof warnt: EU-Richtlinie könnte Subventionswettlauf auslösen
Der Bundesrechnungshof bezog sich dabei auf den Subventionsbericht der Bundesregierung. Dieser habe ausgewiesen, dass vier ermäßigt besteuerte Umsatzkategorien zu den zehn größten Steuervergünstigungen zählten. Im Jahr 2022 habe dies zu Steuermindereinnahmen von fast 9,4 Milliarden Euro geführt.
Auch der Rat der Europäischen Union hat eine neue Richtlinie beschlossen, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, stark ermäßigte Steuersätze und Nullsätze einzuführen. Dies mache die Lage nicht einfacher, so der Bericht. Wie bisher können die Mitgliedstaaten bis zu zwei ermäßigte Steuersätze zwischen fünf und 15 Prozent anwenden.
Dazu komme die Möglichkeit, für maximal sieben verbindlich definierte Kategorien einen stark ermäßigten Satz von unter fünf Prozent sowie den Nullsatz – die Steuerbefreiung mit Vorsteuerabzug – anzuwenden.
Der Bundesrechnungshof mahnt eine umgehende und kritische Reform an, da widrigenfalls ein weiterer Subventionswettlauf drohe, wenn immer mehr Lobbyverbände ihre Begehrlichkeiten deponierten.
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