Mehr verdienen, aber weniger im Geldbeutel: Inflation schädigt Lohnerhöhungen
Ein deutliches Ost-West-Gefälle bei der Aufwärtsentwicklung der Nominallöhne weist der diesjährige Sozialbericht der europäischen Gewerkschaften „Benchmarking Europe 2024“ aus. Während es in Italien, Dänemark und Schweden im Vorjahr nicht einmal zu einem Plus von vier Prozent gereicht hatte, legten die Löhne in Rumänien um 15 Prozent zu. Tatsächlichen Nutzen hatten die Begünstigten davon jedoch nicht immer: Die Inflation sorgte für zum Teil erheblich niedrigere Reallöhne – eine Entwicklung, die sich auch in Deutschland zeigte.
Gewerkschaften sehen beim Nominallohn Fortschritte in EU-weiter Lohnangleichung
Der Bericht wird seit 2001 Jahr für Jahr vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut (EGI) und dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) herausgegeben. Er zielt darauf ab, Wissenslücken im Bereich Arbeit und Soziales zu schließen und einen umfassenden Überblick über Entwicklungen zu bieten, die Arbeitnehmer in Mitgliedstaaten der EU betreffen.
Nach Rumänien befanden sich Ungarn (plus 14,2 Prozent) und Bulgarien (plus 12,6 Prozent) am oberen Ende bei den Nominallohnzuwächsen. Generell handelte es sich bei den zehn Erstplatzierten um ehemalige Ostblockstaaten oder solche, die aus dem Zerfall Jugoslawiens hervorgegangen waren.
Obwohl die betroffenen Länder nach ihrem EU-Beitritt von einem deutlich geringeren Niveau ausgegangen waren, zeigt sich aus Sicht der Gewerkschaften darin ein Aufholprozess. Damit werde zumindest im Nominallohnbereich ein Schritt hin zur Verwirklichung der Lohnkonvergenz gesetzt. Diese zählt – vergleichbar mit der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ in Deutschland – zu den langfristigen sozialen Zielen der EU.
Ungarn und Tschechen verlieren trotz hoher Lohnzuwächse an Kaufkraft
Tatsächlich finanziell besser ging es den meisten Osteuropäern 2023 trotzdem nicht. Dies lag an der hohen Inflation, die sich vor allem in den Bereichen auswirkte, die den Alltag der Menschen am stärksten betreffen.
Der reale Lohnzuwachs in Rumänien betrug unter Berücksichtigung dieses Faktors nur 4,5 Prozent. Immerhin ist das noch das EU-weit höchste Plus vor Belgien mit 4,3 Prozent (nominal 6,9). Besonders schlimm erwischte es jedoch Ungarn und Tschechen. Trotz eines nominalen Lohnplus von 14,2 beziehungsweise 8,3 Prozent büßten Arbeitnehmer in beiden Ländern real an Kaufkraft ein. Die Reallohnverluste betrugen jeweils 3,8 Prozent.
Ebenfalls Reallohnverluste zu verzeichnen hatten Polen, die Slowakei, Italien, Schweden, Malta, Irland und Deutschland. Hier beliefen sich die Reallohnverluste auf 0,9 Prozent – trotz nominal 5,9 Prozent Zuwachs. Mit diesem überdurchschnittlichen Verlust trug das Land auch dazu bei, dass alle EU-Staaten zusammen bei einem nominalen Lohnplus von 5,9 auf ein Reallohnminus von 0,7 Prozent kamen.
Europas Gewerkschaften setzten in der Inflation auf eine „solidarische Tarifpolitik“
Die Gewerkschaften selbst zogen eine positive Bilanz mit Blick auf ihre Verhandlungsstärke. Mit 2,94 Prozent im Jahr 2022 und 4,48 Prozent im Vorjahr stiegen die Tariflöhne in der Eurozone jeweils am stärksten sei Beginn der 2010er-Jahre. Bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von 5,4 Prozent im Vorjahr sei dies jedoch nur ein schwacher Trost.
In der Tarifpolitik setzten die Gewerkschaften auf einen „solidarischen“ Ansatz, der dem Umstand Rechnung tragen wollte, dass Geringverdiener am stärksten von der Inflation betroffen seien. Aus diesem Grund peilte man überproportionale Lohnerhöhungen für die unteren Lohngruppen an.
In vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, setzte man auf eine kombinierte Strategie aus regelmäßigen Lohnerhöhungen und Einmalzahlungen zum Inflationsausgleich. Die Ampelregierung hatte eine solche unterstützt, indem sie Prämien dieser Art bis 3.000 Euro von der Steuer- und Sozialversicherungspflicht ausnahm.
ÖGB hatte Einmalzahlungen von vornherein abgelehnt
Obwohl es sich dabei um eine Form der solidarischen Lohnpolitik handele, schrecken die Gewerkschaften davor zurück, daraus ein dauerhaftes Modell machen zu wollen. Zwar kommen die Einmalzahlungen Geringverdienern am meisten zugute, kompensieren den Kaufkraftverlust unmittelbar und tragen weniger stark zur Inflation bei. Immerhin haben sie keine dauerhafte Wirkung auf die Lohnskala.
Genau das ist langfristig aus Arbeitnehmersicht jedoch das Problem daran, weil sie längerfristig die Lohnentwicklung drücken. Tarifpolitikexperte Reinhard Bispinck sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem „vergifteten Kelch“. Bereits ab dem zweiten Jahr hätte eine entsprechende direkt tarifwirksame Lohnerhöhung anstelle der Einmalzahlung das Jahreseinkommen der Beschäftigten erhöht.
Der ÖGB hat dieser Einschätzung in Österreich Rechnung getragen und ausschließlich auf höhere prozentuale Erhöhungen mit direkter Tarifwirkung gesetzt. Mit einem nominalen Lohnplus von 8,3 Prozent hatte Österreich im Vorjahr das höchste Ergebnis eines Nichtreformstaats aufgewiesen. Real hat jedoch auch dort die Inflation zugeschlagen: Die Kaufkraft der Löhne stieg nur um 0,3 Prozent.
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