Unter Bankern – Einblick in das undurchsichtige weltweite Finanz-System

Titelbild
Eine völlig skrupellose Geschäftswelt, die von unseren Politikern offenbar sanktioniert wird. „Solange die Musik spielt, musst du tanzen“, sagte der Chef der Universalbank Citigroup im Juli 2007, ein Jahr vor der großen Krise im September 2008.Foto: Cover Verlag Tropen
Von 19. Juni 2015

Brisant und hochaktuell: Unter Bankern – Eine Spezies wird besichtigt, so heißt die im Mai erschienene deutsche Version eines Buches von Joris Luyendijk, das als holländische Originalausgabe „Dit kann niet waarzijn“ seit ihrem Erscheinen Anfang 2015 in den Niederlanden bereits ein Bestseller wurde.  

Luyendijk entmystifiziert darin die selbst ernannten Herrscher der modernen Weltordnung und präsentiert  die schonungslose Analyse eines total verkommenen Finanzsystems, das offenbar von der politischen Führung ohnmächtig toleriert und auch benutzt wird.

Der 1971 geborene Journalist Joris Luyendijk studierte Arabistik und Politik in Amsterdam und berichtet seit dem Jahr 2011 für eine der weltbesten Tageszeitungen, „The Guardian“, von London aus über die Innenwelt des Bankwesens.

Im Mai 2011 lädt nämlich Alan Rusbridger, Chefredakteur und Herausgeber des Guardian, Joris Luyendijk dazu ein, mit speziellen Recherchen tiefer in das Geheimnis der Finanzwelt einzudringen, nachdem im September 2008 um ein Haar das Imperium der Geldjongleure zusammengebrochen wäre.

Über 200 Gespräche mit Investmentbankern, Angestellten aus Rechts- und Risikoabteilungen, Rating-Agenturen, Kontrolleuren, Headhuntern und Therapeuten hat Luyendijk geführt und dabei bislang völlig Unbekanntes ans Licht gebracht.

Dazu muss man wissen, dass ohne Rusbridger die Enthüllungen über die NSA durch Edward Snowden nicht möglich gewesen wären. Sie beide erhielten im Jahr 2014 den „Alternativen Nobelpreis“, Rusbridger „für den Aufbau einer globalen Medienorganisation, die sich verantwortlichem Journalismus im öffentlichen Interesse verschrieben hat und gegen große Widerstände illegales Handeln von Unternehmen und Staaten enthüllt.“

Eine Mailbox wird zur Recherchebox

Joris Luyendijk richtete eine spezielle Mailbox ein, verschickte Anfragen, begleitet von Garantien und Versprechungen: „Niemand wird jemals erfahren, dass wir miteinander gesprochen haben. Ich bin der Einzige, der Zugriff auf diese Mailbox hat, und weder Ihre genaue Funktion noch der Name der Bank oder des Finanzinstituts werden jemals nach außen dringen, ebenso wenig Ihre Nationalität oder ethnische Zugehörigkeit…“

Zunächst hagelte es eine Reihe von Absagen, bis der Salesmanager eines Dienstleisters im Bereich Datenmanagement bei Übernahmen und Fusionen plötzlich zusagte. Es folgten ein Finanzanwalt, der Manager einer Firma für Primary Research, der Analyst einer Private-Equity-Boutique, ein Banker aus dem Bereich Corporate Finance.

„Wir verabredeten uns inkognito, entweder bei ihnen zu Hause oder an einem Ort, wo die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Begegnung mit aktuellen oder ehemaligen Kollegen gen Null tendierte. Als ich zehn Interviews hinter mir hatte, postete ich sie auf jlbanking.blog (der Link hier zeigt ein Zwischenergebnis von 2012) zusammen mit einem Aufruf an die Insider aus der Finanzwelt, mir im Schutz der Anonymität zu erzählen, was in den Glastürmen, in denen sie arbeiten, vor sich geht. Innerhalb weniger Stunden füllte sich der Posteingang. Die ersten zehn waren allesamt Männer gewesen, jetzt meldeten sich auch Frauen. Manche hatten Berufe, von deren Existenz ich noch nie etwas gehört hatte“.

Planet Finance

Was Al-Qaida am 11. September 2001 nicht annähernd gelungen war, hätte die Finanzwelt im September 2008 beinahe geschafft: die tiefgreifende Zerstörung unserer Gesellschaft.

„Es war wichtig zu begreifen, wie der Finanzsektor funktioniert und welche Rolle er beim Crash gespielt hat. Wo stecken die Verantwortlichen? Ich verschaffte mir erst einmal einen groben Überblick, indem ich eine Karte skizzierte: Planet Finance. Der Sektor besteht aus drei sich überlappenden Kontinenten: der Vermögensverwaltung, dem Bankensystem und dem Versicherungswesen.

Hunderte Millionen Menschenleben, Autos und Reisen sind Gegenstand von Versicherungen, aber auch Schiffe, Kohlekraftwerke, Beine von Fußballspielern und Finanzprodukte.

Alle Interviewpartner betonten die erheblichen Unterschiede zwischen Privatkundenbanken und Investmentbanken. Diese machen den restlichen Teil der Banken aus, mit ihren Händlern bzw. Tradern im Börsengeschäft, den für Börsengänge, Fusionen und Übernahmen verantwortlichen Dealmakern, und auch den Erfindern und Entwicklern von Finanzprodukten – darunter auch diejenigen, die durch den Crash weltberühmt wurden…

[–Quants, Nerds, Händler und Dealmaker–]

Die Finanzmathematiker, die Algorithmus-Meister, bilden eine Klasse für sich und stellen sich häufig vor: „Ich bin ein Quant“. Sie sind die Priester der Finanzwelt, die Zugang zu der geheimsten Sprache des Heiligtums ihres Unternehmens haben.

„Quants berichten mir von einer ‚Bruderschaft der Nerds’ quer durch alle Ränge, Funktionen und Aktivitäten. Während Quants und Nicht-Quants miteinander klarzukommen schienen, war zwischen Händlern und Dealmakern bei Fusionen und Übernahmen das Gegenteil der Fall. Ungefähr so wie zwischen Fans rivalisierender Fußballvereine. Am Anfang meldeten sich vor allem Dealmaker für ein Interview. Das hängt damit zusammen, dass sie ein besonderer Menschenschlag seien, erläuterte ein leitender Dealmaker. ‚Leute wie wir lesen eher mal ein Qualitätsblatt wie den Guardian’.

Ein Händler, den ich mit dieser Aussage konfrontierte, fing schallend an zu lachen: ‚Wenn ich Dealmaker wäre, hätte ich auch Zeit für Interviews. Die langweilen sich, die haben nichts zu tun. Die Wirtschaft liegt am Boden. Es gibt im Moment einfach keine Fusionen und Übernahmen’“!

Wenn das Keulen beginnt – Blitzentlassungen

Das Leben der Dealmaker ist gnadenlos hart. Täglich kommt man seiner Entlassung ein Stückchen näher. Banken wie Goldman Sachs und JPMorgan feuern systematisch einen gewissen Prozentsatz ihrer Angestellten am untersten Ende der Leistungsskala – und das auch in sehr gewinnträchtigen Jahren.

Für den alljährlichen Stellenabbau wird das englische Verb to cull (keulen) benutzt. Mit demselben Wort wird das Keulen von kranken Rindern in der Landwirtschaft oder die Vernichtung überzähliger Wildtierbestände bezeichnet.

„Investmentbanker nannten eine Entlassungswelle ein ‚clean-up of bodies’ oder ‚bums on seats’ – ein Großreinemachen, bei dem Leichen oder Sesselfurzer beseitigt werden…

Einige meiner Gesprächspartner hatten sich erst allmählich an die amoralische Kultur in der Finanzwelt gewöhnen können. Die meisten allerdings sprachen von der amoralischen Logik ihrer Welt mit derselben Selbstverständlichkeit wie von der hire-and-fire-Kultur. So funktioniere die Finanzwelt nun einmal…“

Capture

Eine völlig skrupellose Geschäftswelt, die von unseren Politikern offenbar sanktioniert wird. „Solange die Musik spielt, musst du tanzen“, sagte der Chef der Universalbank Citigroup im Juli 2007, ein Jahr vor der großen Krise im September 2008.

„In den letzten Jahrzehnten wurde eine Blase nach der anderen geschaffen. Mit ausgeklügelten Finanzinstrumenten und –produkten beschafften sich Unternehmen und Regierungen Geld. Das geben sie aus, woraufhin die Ökonomen frohlocken: Sieh da, Wachstum! Vieles deutet darauf hin, dass die Welt des Geldes keiner Modernisierung oder großen Reinigungsaktion bedarf, sondern einer neuen DNA…

Wahrscheinlich ist, dass die größten politischen Parteien sich, zusammen mit vielen Aufsichtsbehörden, immer stärker mit dem Finanzsektor identifizierten und von einer Art Herdenverhalten vereinnahmt wurden. Ein Phänomen, für das der Ökonom und ehemalige Financial-Times-Kolumnist Willem Buiter den Begriff capture geprägt hat.

Bei Korruption tust du für Geld etwas, was du sonst nicht tun würdest. Capture geht einen Schritt weiter. In diesem Fall ist gar kein Geld mehr erforderlich, weil du als Politiker, Angestellter einer Aufsichtsbehörde oder Wissenschaftler zu der aufrichtigen Überzeugung gelangt bist, dass die Welt so funktioniert, wie die Banker es darstellen.“

Foto: Cover Verlag Tropen

Joris Luyendijk

Unter Bankern: Eine Spezies wird besichtigt

320 Seiten, gebunden

Verlag: Tropen; 1. Aufl. (23. Mai 2015)

ISBN-10: 3608503382

€ 19,95



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion