Ein Hauch von Provence – Familie aus Polen erobert mit Lavendel die Uckermark
Ab Mitte Juni bis Anfang August verwandeln sich ganze Landschaften in einen violett-blauen Lavendelblütenteppich. Vor allem aus der Provence sind solche Bilder nicht mehr wegzudenken. Aber auch in Deutschland machen sich hier und da Blütenfelder mit dieser magischen Anziehungskraft breit.
Ein Beispiel: der Lavendelhof Festina Lente in der Uckermark – aus dem Lateinischen übersetzt heißt das „Eile mit Weile!“ –, ein Familienbetrieb mit Leidenschaft, Innovationsgeist und viel Gespür für eine aussichtsreiche Zukunft.
Etwa 30 Kilometer vor der deutsch-polnischen Grenze liegt das verträumte Dörfchen Grimme, ein Ortsteil der brandenburgischen Stadt Brüssow, in das es vor sieben Jahren den Sicherheitsinspektor Karol Olszewski und seine Frau Joanna, eine passionierte Agraringenieurin, aus ihrer Heimat Stettin verschlagen hat.
Aufgrund eines Schicksalsschlages starteten die beiden noch einmal neu durch. Inzwischen hüten sie hier rund vier Hektar Lavendel und betreiben zudem einen Gnadenhof, auf dem Miniponys mit allem versorgt werden, was ihnen die letzten Stunden ihres Lebens versüßen kann.
Wo sich üblicherweise professionelle Fotografen, Hochzeitspaare, Yogaliebhaber, ehrenamtliche Helfer und Tagesgäste, die mit großen Doppelbussen aus Berlin anreisen, ein Stelldichein geben, habe ich mich mit dem Lavendelbauern verabredet. Als ich ankomme, sorgt mein alter violettfarbener Audi für Aufsehen. „Die Farbe passt perfekt zum Lavendel“, freut sich Karol. Mit strahlendem Lachen schüttelt er mir die Hand, erkenntlich am Sonnenhut und – wie könnte es anders sein – einem lilafarbenen T-Shirt.
Ich schaue mich um. Ein angenehmer, vollkommen unaufdringlicher Lavendelduft steigt mir vom Feld in die Nase. Ein Teil der Blütenstängel ist bereits abgeerntet. Weiter oben auf dem kleinen Hügel recken noch viele Lavendelblüten ihre Köpfe gen Himmel, um die letzten Sonnenstrahlen vor der Ernte zu erhaschen, damit die ätherischen Öle später ihre volle Wirkung in den Produkten des Hofes entfalten können.
Nach meiner zweistündigen Fahrt ganz ohne Klimaanlage sorgt eine leichte Brise bei sonnigen 37 Grad Celsius für etwas Abkühlung. Es soll nicht die einzige Erfrischung bei diesem Treffen bleiben.
Karol und ich nehmen im Schatten Platz, wo kleine und große Weidenkörbe mit Lavendelsträußen, Duftsäckchen, Ölen und anderen Produkten des Familienbetriebes bereitstehen. Dann greift er in eine graue Styroporkiste und zaubert zwei Pappbecher mit Eis heraus, hergestellt in der „Eis-Weberei“, einer Manufaktur im Nachbarort Klockow. Ein aus Lavendel gefertigtes Kaltextrakt mit einer Temperatur von minus 50 Grad Celsius gibt dem Eis die besondere Note.
Warum ausgerechnet Lavendel?
Bevor wir uns dem Genuss des Eises widmen, löchere ich Karol mit einigen Fragen. Eine der häufigsten Fragen, die er und seine Frau zu hören bekommen, ist: Warum ausgerechnet Lavendel? „Das war der Traum meiner Frau. Wir haben eine Lavendelplantage in den Masuren gesehen, aber sehr viel kleiner. Dort wurden Übernachtungen, Workshops, gutes Essen und kleine Führungen angeboten – separat für Männer und Frauen“, erklärt der Pole.
Das damals besuchte Feld umfasste 300 Pflanzen, schildert er weiter. In Brüssow haben die Olszewskis es hingegen in den vergangenen sieben Jahren auf rund 16.000 gebracht.
Den Stein des Anstoßes gab ein schwerer Verkehrsunfall, der das Familienglück im Jahr 2014 fast zerstört hätte. Damals fuhr ein Lkw ungebremst auf das Auto des zweifachen Familienvaters auf, der als Linksabbieger wegen Gegenverkehrs an einer Kreuzung stand. Im Rückspiegel sah er das Unheil nahen. Sekunden später wurde sein Fahrzeug wie eine Ziehharmonika zusammengeschoben. Für ihn grenzt es an ein Wunder, dass er weitestgehend unbeschadet von Helfern aus dem Wrack befreit werden konnte.
Der Unfall brachte die Erkenntnis, dass Geld allein nicht glücklich macht. Nach reichlicher Überlegung schmiedete Karol mit seiner Frau einen neuen Zukunftsplan; die gesamte Familie zog an einem Strang. Da Karol schon seit Jahren seinen Sohn ständig über die Grenze zur Schule nach Deutschland brachte, lag es nahe, sich ganz in der Uckermark niederzulassen. Gesagt, getan. So wurde dem Traum vom Lavendelhof Leben eingehaucht.
Ein harter Job
Schaut man sich das lilafarbene Blütenmeer an, rückt die harte Knochenarbeit, die dahintersteckt, in weite Ferne. Wochenlang verbrachte Joanna in gebückter Haltung auf einer umgerüsteten Kartoffellegemaschine, die von Karols Traktor gezogen wurde, und brachte die Setzlinge in den Boden. Dabei musste sie peinlich genau auf den passenden Abstand und die richtige Pflanzhöhe achten. Denn Staunässe verträgt Lavendel nicht. Einmal in die Erde gebracht, bleibt die Pflanze 25 Jahre lang an ihrem Platz; so lange beträgt die Lebenszeit einer Lavendelpflanze, also ein Vierteljahrhundert.
Nach dem Setzen werden die Jungpflanzen üblicherweise im Tröpfchensystem bewässert. Im vergangenen Jahr konnte der Familienbetrieb diese aufwendige Prozedur durch eine spätere Pflanzzeit ersparen.
Während der Vegetationsperiode müssen die ständig nachwachsenden Wildkräuter immer wieder mühevoll entfernt werden. Sie dienen dem Lavendel als wertvolle Mulchschicht. Und auch die Ernte per Hand in der glühenden Sommerhitze mit gebücktem Rücken ist kein Zuckerschlecken. Jedoch hat der Aufenthalt in dem lilafarbenen Blütenmeer auch etwas Therapeutisches, denn die ätherischen Öle wirken beruhigend und entspannend aufs Gemüt.
Getrocknet werden die geernteten Lavendelsträuße auf ausrangierten Lattenrosten in dunklen Scheunen, damit sowohl die kräftige Farbe als auch der hohe Ölgehalt enthalten bleiben.
Maschinen nach Maß, Marke Eigenbau
Ohne die Hilfe von Freunden, Verwandten und ehrenamtlichen Helfern wäre die Bewirtschaftung derzeit nicht zu schaffen, erzählt Karol weiter. Denn die Maschinen für Lavendelbauern müssen maßgeschneidert und an die örtlichen Gegebenheiten angepasst sein.
Für den innovativen Polen ist das jedoch kein Problem. Ständig tüftelt er an neuen Erfindungen. Dabei profitiert er von seinen Erfahrungen aus Schiffbau, Bergbau, Chemieindustrie und seinem letzten Job als Sicherheitsinspektor für Öl- und Gasindustrie sowie seinem guten Beobachtungsvermögen.
„Ich bin wie eine Biene. Ich schaue branchenübergreifend nach der besten Lösung und füge dann alles zusammen“, sagt Karol lachend. Im nächsten Sommer soll ein Teil des Lavendels erstmals maschinell abgeerntet werden, natürlich mit einem Gerät Marke Eigenbau.
Wie das funktioniert, wird man dann sehen; auf jeden Fall klingt es vielversprechend, was der Pole erzählt. Genaue Details dürfen wir jedoch nicht verraten. Denn gut funktionierende Maschinen sind international bei Lavendelbauern heiß begehrt. Ein Anwalt riet dem Unternehmer von einer Patentierung seiner Erfindungen aufgrund der hohen Kosten ab. Sinnvoller sei es, nach der Erstellung des Prototyps in Produktion zu gehen und die Maschinen direkt zu vermarkten.
Dass das klappt, zeigt die bereits im Einsatz befindliche Trennungsmaschine, mit der die getrockneten Lavendelblüten von den Stängeln gebürstet werden – ebenfalls eine Erfindung von Karol. Zwei dieser Maschinen hat er bereits nachbauen lassen und an andere Lavendelbauern verkauft. Das Prinzip beruht auf einer Mischung zwischen Straßenreinigungsgerät und einer Maschine aus dem Bergbau, die zur Sortierung von Gestein eingesetzt wird, also aus zwei gänzlich unterschiedlichen Bereichen.
„Die Anfänge der Konstruktion waren eine Katastrophe“, schildert Karol. Aber nach einigen Monaten kam der Durchbruch. Inzwischen wartet der dritte Kunde auf die Lieferung dieser Maschine, deren Prototyp auf dem heimischen Hof in Brüssow überwiegend von der 70-jährigen Oma Kascha bedient wird. Sie freut sich sehr über die enorme Erleichterung. Im Vergleich zu früher, als die Blüten noch mühsam per Hand von den Stängeln gerieben werden mussten, ist dieser Vorgang jetzt binnen Sekunden pro Bündel erledigt.
Anders als andere – neue Produkte dank Erfindergeist
Aber nicht nur, was die Maschinen angeht, gehen die Olszewskis ihren eigenen Weg, sondern auch hinsichtlich der Produkte. „Ich will nicht die tausendste Destillerie sein, die ätherisches Lavendelöl herstellt. Ich schwimme immer gegen den Strom, meine Frau auch. Uns ist es wichtig, dass wir die Ersten sind, die etwas Neues auf den Markt bringen – und zwar von bester Qualität!“
So bietet Traubenkernöl die Basis von Lavendelöl, das – tropfenweise hinzugefügt – Salaten, Backwaren oder anderen Leckereien einen Hauch von Lavendel verleiht.
Mit diesen Worten wenden wir uns endlich dem Lavendeleis zu. „Eigentlich mag ich gar keinen Lavendel“, gestehe ich Karol. Denn Lavendel verband ich bislang mit einem intensiven Geruch ätherischer Öle, die industriell hergestellt wurden. Doch ich bin offen für etwas Neues.
Der erste Löffel des Sorbets schmeckt unerwartet umwerfend. Die leicht violette Farbe verdankt das Eis dem Kaltauszug. Die sanfte Note von Lavendel empfinde ich als sehr angenehm, erfrischend – und unglaublich lecker! Und obwohl das Eis schon seit über einer halben Stunde bei 27 °C im Schatten steht, ist seine Konsistenz perfekt cremig.
Was macht den Lavendel aus Brüssow so besonders?
Wirft man einen Blick auf die Karte bei Google Maps, sieht man eine graue Schattierung im Gebiet von Brüssow, obwohl dort alles grünt und blüht. Die Schattierung weist die Kalkflächen aus. Damit ist der Boden perfekt für den Anbau von Lavendel geeignet.
Auf etwa vier Hektar gedeihen verschiedene Lavendelsorten in Brüssow, darunter auch Lavandin, ein Hybrid-Lavendel, dessen Blüten größer und üppiger sind als die des echten Lavendels. Mit der Sortenvielfalt will der Familienbetrieb auch einem Raupenbefall vorbeugen, wie er im vergangenen Jahr in der französischen Provence 90 Prozent der Ernte vernichtet hat.
Chemische Dünger und Pflanzenschutzmittel kommen für die Naturliebhaber nicht infrage. Stattdessen setzen sie auf die Bodenveredlung durch Fortis-Plant, ein hochwertiges Bio-Substrat auf Siliziumbasis, das nach Karols Erfahrungen sowohl besseres Wachstum als auch um 15 bis 20 Prozent gesteigerte Ernteerträge verspricht.
Wenn Bauch und Herz über den Verstand siegen
Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Olszewskis staatlichen Fördermitteln und Krediten nichts abgewinnen, sondern ihre Ideen mit eigenen Mitteln umsetzen.
„Wir wollen keine Abhängigkeit“, erklärt Karol. „Wir hatten Ende 2019 eine Zusage für ein Projekt, das zu 50 oder 60 Prozent gefördert wurde. Zu Heiligabend bekamen nicht nur meine Frau und ich, sondern die ganze Familie plötzlich Bauchschmerzen mit diesem Projekt.“ Die Idee wurde verworfen, was bei dem Zuständigen der Bank zunächst für Verwirrung sorgte, da bereits alle Ampeln auf Grün standen.
Vier Monate später wurde klar, wie weise und vorausschauend die getroffene Entscheidung war. Zuerst kam Corona, dann der Lockdown.
„Auch wenn der Kopf sagt: ‚Das ist logisch, das muss man machen‘, vertrauen wir lieber auf das Herz und unser Bauchgefühl“, betont der Lavendelbauer. Hätte die Familie damals nicht auf dieses Gefühl gehört, hätte dies das Aus für ihren Betrieb bedeutet.
Doppelbusse erobern das Dorf
Bei allen glücklichen Fügungen, die das Paar erlebte, lief der Besuch der Lavendelfelder sehr schleppend an. Im Januar 2023 schickte Karol 30 E-Mails an Berliner Reisebüros und unterbreitete ihnen die Idee, Tagestouristen nach Grimme zu fahren. Nur ein Unternehmen meldete sich. „Und das ist mehr als genug“, erklärt Karol.
Aufgrund meines fragenden Blickes schildert er: „Zunächst hat die Inhaberin gesagt, dass sie vielleicht einen Bus im nächsten Jahr schicken würde – am Ende waren es acht. Für dieses Jahr haben wir schon 14 Touren vereinbart, weil die Idee so gut angenommen wurde, und im nächsten Jahr will sie 30 Termine buchen, damit stoßen wir schon an unsere Grenzen.“
Denn das bedeute, dass zwei Doppeldeckerbusse pro Woche die Lavendelfelder ansteuern werden – ein eher unübliches Bild in dem verschlafenen Örtchen, dessen Zugang nur über eine holprige Landstraße gewährt ist.
Für die Lavendelbauern sind die Bustouren mit viel Arbeit verbunden. Die Zugangsfläche muss glatt und kurz gehalten werden, damit die Führung auf dem Feld den Besuchern auch Freude bereitet. Denn die meisten von ihnen sind Senioren – und teilweise auf ihren Rollator angewiesen.
In jedem Ende liegt ein neuer Anfang
Da das alles sehr zeitaufwendig ist, hat sich Joanna schweren Herzens entschieden, den Gnadenhof aufzugeben. Neue Tiere werden nicht mehr aufgenommen. Rein wirtschaftlich gesehen lief dieses Projekt als Hobby, und zwar als ein sehr emotionales und zeitaufwendiges.
Die Lieferung von Heu, Stroh, Obst und Gemüse erfolgte hauptsächlich durch Spenden. Es gab auch Besitzer, die ihre kranken Pferde gegen Bezahlung für Kost und Logis bei den Olszewskis untergestellt haben, um sie gut versorgt zu wissen. Inklusive Inhalationen, Spritzen und alles, was die Pferde so benötigen, blieb letztlich nichts übrig – von dem ganzen Arbeitsaufwand ganz zu schweigen.
„Wenn die Pferde sterben, ist das einfach traurig. Die Tiere, die noch da sind, begleiten wir bis an ihr Ende“, fasst Karlos zusammen. „Ansonsten kümmern wir uns um Lavendel.“
„Und was sagt das Bauchgefühl dazu? Zu all dem Lavendel, den innovativen Maschinen und was mit dem Hof verbunden ist?“, will ich wissen. „Es fühlt sich wie Schmetterlinge an!“, so Karol – ein gutes Zeichen für eine blühende Zukunft.
Weitere Informationen, wie etwa zu den Besuchszeiten, findet man auf der Website: https://www.lavendelgrimme.de/
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