Lebensmittel-Einzelhandel: Kommt die vereinbarte Lohnerhöhung?
Der Handelsverband Deutschland (HDE) und der Gewerkschaft verdi diskutieren derzeit über Lohnerhöhungen und Kurzarbeit während der Corona-Pandemie im Einzelhandel. Unmittelbar davon betroffen ist auch der noch boomende Lebensmittelhandel.
Beide Parteien sehen Mitglieder in existenziell bedrohenden Notlagen
Ab Frühling sollte eigentlich eine Lohnerhöhung im Einzelhandel kommen. Vereinbart haben dies HDE und ver.di im Jahr 2019. Doch nun möchte der HDE die Lohnerhöhung für Unternehmen in Not verschieben.
„Es geht hierbei lediglich um eine Notoperation, um bedrohte Unternehmen zu retten“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Dies sei eine „unkomplizierte und auch schnelle Möglichkeit“ gegen akute Liquiditätsprobleme vorzugehen. Doch Unternehmen ohne finanzielle Not müssten den erhöhten Lohn „selbstverständlich“ an die Mitarbeiter zahlen.
Ver.di ist gegen eine Verschiebung der Regelung, da die Gewerkschaft den „existenziellen Schutz der Beschäftigten im Einzelhandel sicherstellen“ möchte. Tarifverträge seien „ein verlässlicher Sicherheitsanker für Beschäftigte und Unternehmen“. Sollte der HDE seiner tarifpolitischen Verantwortung nicht nachkommen, plant ver.di Tarifverträge direkt mit den Unternehmen abschließen.
Zur Kurzarbeit forderte Ver.di, dass die Aufstockung des staatlichen Kurzarbeitergelds pauschal im Tarifvertrag geregelt werden sollte. Das sei notwendig, denn das niedrigere Kurzarbeitergeld mit 60 oder 67 Prozent „stürze viele Einzelhandelsbeschäftigte in existenzbedrohende Notlagen.“ Unternehmen bekämen die Sozialabgaben „zu 100 Prozent ersetzt“ und die „Bundesregierung investiere Milliarden in Einzelhandelsunternehmen“, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise aufzufangen. Mitarbeiter dürften nicht „im Regen“ stehen gelassen werden.
Der HDE befürwortet hingegen „passgenaue und flexible Lösungen“ anhand betrieblicher Lösungen. Andernfalls könnten gerade Unternehmen, deren Geschäfte geschlossen sind, überfordert sein. Oftmals gäbe es Umsatzausfälle bis zu 100 Prozent. Insbesondere im „Non-Food-Bereich“ seien Unternehmen über ihre „wirtschaftliche Existenz“ besorgt. Es gelte jetzt, gemeinsam möglichst viele Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten.
Beide wiesen auf bereits erfolgte Betriebsvereinbarungen zur Aufstockung von Kurzarbeitergeld hin. Ver.di nannte die Beispiel „Primark, H&M, Zara, Walbusch oder Fielmann“. HDE ergänzte, dass der Lebensmittel-Einzelhandel im Übrigen freiwillig „zusätzliche Prämien“ an seine Mitarbeiter zahle, um das erhöhte Risiko aufgrund der Corona-Pandemie zu vergüten.
Umsatzsteigerung wegen Hortungskäufen
Und momentan boomt der Lebensmittel-Einzelhandel noch, besagte kürzlich eine Studie des GfK. Danach steigerte der Lebensmittel-Einzelhandel seinen Umsatz zwischen dem 24.2. und 11.3. im Vergleich zum Vorjahr um zwölf bis 16 Prozent. Drogeriemärkte machten zum Beispiel ein Plus von 12 Prozent, Food-Vollsortimenter legten um 16 Prozent zu.
Dieser Trend wird … unter Umständen in den Folgemonaten anhalten“, sagte der Autor der Studie, Dr. Robert Kecskes.
Der Zuwachs sei vor allem auf Hortungskäufe in der neunten Kalenderwoche (24. Februar bis 1. März) zurückzuführen. Einzelne Produktkategorien erreichten dabei unter anderem folgenden Zuwachs:
- Hautdesinfektionsmittel (+569 Prozent), Hygiene/Sanitärreiniger (+189 Prozent), Feuchtreinigungstücher (+154 Prozent), Seife fest/flüssig (+111 Prozent), Haushaltshandschuhe (+108 Prozent), Toilettenpapier trocken (+71 Prozent) und
- Getreidemehl (+126 Prozent), Reis (+112 Prozent), Fertiggerichte in Dosen (+106 Prozent), Suppen/Eintöpfe flüssig (+89 Prozent), Teigwaren (+72 Prozent).
Dabei gab es einen V-förmigen Verlauf, der innerhalb der gemessenen drei Wochen in der mittleren Woche zu einem Einbruch führte, doch insgesamt gesehen weit über den Vorjahreswerten lag. Der Einbruch sei auf Hortungskäufe vom 24. Februar bis 1. März zurückzuführen, die durch mediale Berichterstattung ausgelöst wurden. Die Entwicklung sah so aus:
GfK geht allerdings davon aus, dass der „Trading-Up“-Effekt in den kommenden Monaten abflachen wird.
Neben Hamsterkäufen war auch die Stilllegung des öffentlichen Lebens maßgeblich, die den Außer-Haus-Konsum in den häuslichen Bereich verlagerte. Dazu zählen zum Beispiel Getränke wie Bier, Cola, Kaffee. Hier stieg der Verbrauch linear an. Die Auswertungen basieren auf POS-Daten (Point of Sale).
Konsumklimaindex zeigt Verunsicherung der Menschen
Der „GfK Konsumklimaindex zeigt … deutlich, dass die Menschen tief verunsichert sind“, sagte GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl. GfK ermittelte für den Monat April einen Index von 2,7 Punkten. Im März betrug der Wert noch 8,3.
Zwar war der Index im Mai 2009, dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise, mit 2,6 Punkten noch etwas niedriger. Aber: „Ein so starker Rückgang ist seit Beginn der Erstellung des Konsumbarometers 1994 beispiellos“, so Bürkl weiter.
Die wesentlichen Parameter sind unter anderem die Einkommenserwartung, die Anschaffungsneigung und die Konsumneigung. Die Einkommenserwartung sank um 3,4 Punkte auf 27,8 Punkte – der niedrigste Wert seit sieben Jahren. Die Konsumneigung fiel um 22,2 Punkte auf 31,4 Punkte. Ähnliche Zahlen gab es zuletzt Januar 2007, als die Mehrwertsteuer erhöht wurde. Damals kam es zu einem Rückgang von 60,5 Punkten.
Die Konjunkturerwartung verlor 20,4 Punkte und beläuft sich auf minus 19,2 Punkte. Nur im August 2012 war der Wert mit minus 20 Punkten noch niedriger. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Wert um 27 Punkte gefallen.
Menschen seien in ihrem Lebensglück momentan direkt im physischen und psychischen Wohlbefinden betroffen (zum Beispiel Verlust Arbeitsplatz/Gespartes), was die Indizes belegen.
Die GfK befragt monatlich rund 2.000 Verbraucher zu Konjunkturerwartung, Einkommenserwartung und Anschaffungsneigung, für den Monat April entspricht das der Zeit vom 4. bis 16. März, also bevor Geschäfte schlossen und die Produktion gestoppt wurde.
Lebensgewohnheiten werden sich verändern
Damit sei „die These eines fundamental veränderten Konsumverhaltens“ nach der Corona-Pandemie „nicht allzu gewagt“.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich nach überstandener Viruskrise das sozio-kulturelle Werte- und das soziale Interaktionssystem im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit grundlegend gewandelt haben wird“, schreibt der Autor der Studie.
Das Institut rechnet damit, dass „ein erstarktes lokales Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht.“
Andererseits „werden sehr viele Haushalte in prekäre Situationen geraten und auf öffentliche Hilfe angewiesen sein.“ Darauf müsse sich der Lebensmittel-Einzelhandel „in angemessenen Schritten“ vorbereiten.
Für das Jahr 2020 revidiert GfK seine bisherige Konsumprognose von einem Prozent und rechnet stattdessen mit einer Rezession. Doch die Schwere der Rezession hänge davon ab, wann wieder Normalität in der Wirtschaft einkehre. „Eine seriöse Konsumprognose kann sicherlich erst dann erfolgen, wenn absehbar ist, wie lange die Corona-Schutzmaßnahmen anhalten werden.“
(mit Material von AFP und dpa)
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