Kann nur ein radikaler Schritt unser Geld retten?

Der Kampf gegen die Inflation ist für die EZB die Hauptherausforderung. Mittelfristig soll die Inflationsrate auf zwei Prozent gedrückt werden. Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, glaubt nicht daran, dass niedrige Inflationsraten zurückkommen werden. Nur ein radikaler Schritt könnte das Geldsystem retten.
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Die EZB führt einen Kampf gegen die Inflation. Wie lange wird sie aber gegen den Wind segeln?Foto: DANIEL ROLAND/AFP via Getty Images
Von 27. Februar 2023

Der Kampf gegen die Inflation ist für die Europäische Zentralbank (EZB) im Moment eine der Hauptherausforderungen. Anfang Februar hatte die EZB den Leitzins um 0,5 Prozent angehoben. Das war der fünfte Zinsanstieg in Folge. Der Leitzins liegt damit nun bei drei Prozent, auf dem höchsten Stand seit Ende des Jahres 2008.

Nächste Zinserhöhung kommt vermutlich im März

Das ist aber noch nicht die letzte Leitzinserhöhung: Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der Februar-Beschlüsse am 2. Februar kündigte die EZB-Präsidentin Christine Lagarde schon einen weiteren Zinsschritt für März 2023 um 0,5 Prozent an. Im Anschluss soll dann der Erfolg der bisherigen Maßnahmen bewertet werden. Davon hängt dann ab, wie die EZB im Kampf gegen die Inflation im Euro-Raum weitermacht. Ziel bleibt nach wie vor, die Inflation mittelfristig auf zwei Prozent zu drücken.

Der Weg zu diesem Ziel ist aber noch weit. Nach Ansicht von EZB-Direktorin Isabel Schnabel unterschätzen die Finanzmärkte immer noch die Hartnäckigkeit der Inflation. Dort ginge man davon aus, dass das Ziel der zwei Prozent durch die jetzigen Maßnahmen schnell erreicht werde und es der Wirtschaft dann gut gehen würde. Schnabel, die Mitglied des sechsköpfigen Führungsteams der EZB ist, sagte Mitte Februar in einem Interview mit der Finanznachrichtenagentur „Bloomberg“ im Hinblick auf die Erwartungen der Finanzmärkte zur Inflation:

Das wäre ein sehr gutes Ergebnis, aber es besteht das Risiko, dass sich die Inflation als hartnäckiger erweist, als derzeit von den Finanzmärkten eingepreist wird.”

Falken und Tauben

Schnabel, die in der EZB für Märkte zuständig ist und zu den Falken im Direktorium zählt, deutete an, dass die Notenbanken die Inflationsaussichten wahrscheinlich nicht als zufriedenstellend beurteilen werden, wenn sie im März neue Projektionen veröffentlichen.

Falken und Tauben sind Kategorien, in die geldpolitische Entscheidungsträger innerhalb eines Zentralbankausschusses nach ihrem wahrscheinlichen Abstimmungsverhalten eingeteilt werden. Falken präferieren eine restriktive Geldpolitik, um die Inflation zu kontrollieren, wohingegen Tauben eine expansive („lockere“) Geldpolitik zur Stützung der Wirtschaft bevorzugen.

Viele Jahre waren bei der EZB Entscheidungen in der Geldpolitik eher „dowish“ – also taubenhaft – angelegt. Seit Juni des vergangenen Jahres hat sich der Wind gedreht und die Geldpolitik ist, mit der Erhöhung des Leitzinssatzes, nun eher „hawkisch“ – also falkenhaft – angelegt.

Geldpolitik restriktiv bis dauerhaft zwei Prozent erreicht sind

EZB-Direktorin Schnabel ist sich im Moment nicht sicher, ob das momentane Zinsniveau ausreicht, um das Wachstum zu bremsen. „Es ist nicht so einfach zu beurteilen, ob unsere Geldpolitik bereits restriktiv ist“, führte sie im „Bloomberg“-Interview weiter aus. Eher könnte die Risikoaversion angesichts der nachlassenden konjunkturellen Dynamik die Gesamtnachfrage geschwächt haben.

„Die Geldpolitik wird so lange restriktiv bleiben, bis wir belastbare Evidenz dafür sehen, dass die Inflation – und insbesondere die Kernrate – zeitnah und dauerhaft auf unser Ziel von zwei Prozent zurückgeht“, sagt die Direktorin. „Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Inflationsdruck von selbst verschwindet.“

Top-Ökonom Mayer glaubt nicht an Durchhaltekraft der EZB

Trotz der immer wieder von der EZB beschlossenen Zinsschritte nach oben gibt es trotzdem Zweifel daran, dass die Zeiten niedriger Inflationsraten zurückkommen könnte. Top-Ökonom Thomas Mayer äußerte diese Bedenken gerade erst in einem Interview mit dem Blog „Rene will Rendite“. Clemens Schömann-Finck, lange Jahre Finanz- und Wirtschaftsredakteur bei „FOCUS Money“ und „FOCUS online“, betreibt dieses Format. Mit dem ehemaligen Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute, Thomas Mayer, unterhielt sich Schömann-Finck darüber, was unserem Geld in Zukunft drohen könnte.

Mayer gibt sich in dem Interview skeptisch, dass die Maßnahmen der EZB ausreichen, um die Inflationsrate herunterzudrücken. Der Grund ist für Mayer, dass die EZB, nach seiner Ansicht, die Zinsen nicht so stark erhöhen kann, wie es eigentlich nötig wäre. Denn sie muss Rücksicht auf hochverschuldete Staaten wie Italien nehmen. Mayer vermutet außerdem, dass die EZB ihre restriktive Geldpolitik beendet, sobald es zu ersten Problemen kommt. Die Folge: Die Inflation fällt nicht mehr auf zwei Prozent zurück, sondern verharrt auf einem höheren Niveau.

Chicago-Plan: Radikaler Schritt, um Inflation zu bekämpfen

Für Thomas Mayer habe nur ein radikaler Schritt in der Geldpolitik eine Chance, die Inflation in den Griff zu bekommen. Der Ökonom bringt deshalb den sogenannten „Chicago-Plan“ ins Spiel.

Der Plan stammt aus dem Jahr 1933 und beschreibt ein damals von Ökonomen an der Universität Chicago vorgeschlagenes Maßnahmenpaket. Damit sollte damals, inmitten der Weltwirtschaftskrise, eine Währungsreform vorbereitet werden. Die Idee hinter dem „Chicago-Plan“ ist relativ simpel: Banken müssen dauerhaft Barreserven in Höhe von einhundert Prozent für die Sichtguthaben ihrer Kunden halten. Aus diesem Grunde wird der Ansatz auch „Full Reserve Banking“ oder „Einhundert-Prozent-Geld“ genannt. Geldschöpfung soll so nicht mehr durch Kreditvergabe der Privatbanken erfolgen, womit den Geschäftsbanken die Möglichkeit zur Geldschöpfung entzogen wird. Das Privatbankengeschäft würde sich entsprechend auf die Funktion als Geldvermittler konzentrieren. Banken könnten Kredite nur in Höhe der ihnen zur Verfügung gestellten Sparguthaben sowie des Zentralbankgeldes, das sie vorab von der Zentralbank erhalten, vergeben. Dieser Plan wurde damals US-Präsident Franklin Roosevelt übergeben, der sich eingehend damit auseinandersetzte. Widerstand gegen diesen Plan gab es damals von der Fachwissenschaft und den Banken, für die Kreditvergabe eine wesentliche Einkommensquelle war. Der Chicago Plan wurde letztlich nicht umgesetzt.

Der Ökonom möchte diese Idee nun wieder aufgreifen. Als guten Anlass sieht er dazu die Schaffung des digitalen Euros. An diesem arbeitet die EZB schon seit einiger Zeit. Man kann das Projekt des digitalen Euro als Gegenbewegung zu Bitcoin oder der gescheiterten Facebook-Initiative Libra verstehen, mit der privates Geld in Umlauf gebracht werden sollte. Noch ist es nicht sicher, ob er kommt – aber die Arbeiten am Digitalen Euro gehen immer weiter voran. Im Herbst 2023 soll die Entscheidung fallen. Bis Bürger den Euro aber elektronisch ausgeben können, wird es voraussichtlich noch bis zum Jahr 2026 dauern.

Der Ökonom Mayer ist eigentlich kein Befürworter des Projektes „digitaler Euro“ – zumindest nicht, wenn das Bargeld abgeschafft werden soll – wie er im Interview klarmacht, sieht er in der Einführung eine Möglichkeit, das Geldsystem neu zu verankern.

Banken könnten kein Geld mehr selber schöpfen

Wie das konkret aussehen könnte, dazu äußerte sich der Ökonom schon einmal vor drei Jahren in einem Interview mit dem „Focus“.  Das digitale Zentralbank-Geld wäre durch die Forderungen des Staates gedeckt. Der Bürger würde jährlich eine Gelddividende bekommen und diese ausgeschüttet bekommen – und nicht die Banken. „Die Banken selbst würden jetzt eigentlich dieses Zentralbank-Geld nur noch als Ersparnisse einsammeln und weiter verleihen an die Investoren. Sie würden kein Geld mehr selber schöpfen. Sie wären einfach Intermediatoren, das behaupten die Wirtschaftsbücher heute schon, aber das sind die Banken nicht“, so Mayer damals.

Die Anleihen der EZB wären nicht durch einen Schuldenschnitt zulasten der Anleger minimiert, sondern einfach aus dem Markt genommen. Die Staatsanleihen würden so in der Bilanz der Zentralbank eingefroren werden. Dank der dann geringeren Schuldenlast könnten die Notenbanken wieder eine angemessene Geldpolitik verfolgen.

Unklar, was unter der Oberfläche schlummert

Diese Idee hat der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank nun noch einmal in Zeiten der Inflation aufgegriffen. Allerdings bleibt Mayer bei der Beurteilung der Chancen seines Vorschlags auch Realist. Im Interview betont er selbst, dass sein Rückgriff auf den „Chicago-Plan“ eine Version bleiben könnte. Für die Zukunft unseres Geldsystems macht er düstere Prognosen. Seien die Zentralbanken bisher immer mit dem Wind gesegelt, müssten sie nun gegen den Wind segeln. Mayer zweifelt hier aber an dem Durchhaltevermögen der Zentralbanken, zumal jetzt auch viele strukturelle Faktoren wie der demografische Wandel für eine höhere Inflation sprächen.

Wegen der langen Niedrigzinsphase käme es nun zu „vielen Verwerfungen“. Es sei noch unklar, was alles unter der Oberfläche schlummere. Mayer ist überzeugt, dass bei Anzeichen einer neuen Finanzkrise die Zentralbanken wieder eine Wende einleiten werden und das Inflationsziel hinten anstellen. Auch deswegen glaube er nicht daran, dass das Inflationsproblem so schnell verschwinden werde.



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