Kann die Energiewende funktionieren?

Aus internationaler Sicht ist die deutsche Energiewende ein großes Entwicklungsvorhaben – wo ist der Masterplan?
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Selbst wenn es in Deutschland künftig überall so aussieht, werden noch konventionelle Kraftwerke benötigt. Das sagt Kraftwerksexperte Klaus Hellmuth Richardt.Foto: iStock
Von 25. April 2022

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Das Fraunhofer-Institut stellte für die deutsche Energieerzeugung 2021 auf „energy-charts.info“ fest: Im Jahr 2021 wurden 478 Terawattstunden Strom erzeugt, davon 4 Prozent exportiert. Wären die Kernkraft- und Kohlekraftwerke weggefallen – wie es künftig sein soll –, dann hätten wir 40 Prozent des Stroms importieren müssen. Wäre auch noch Gas weggefallen, hätte 51 Prozent der Energie importiert werden müssen.

Die Zahlen könnten nicht wegdiskutiert werden. Klaus Hellmuth Richardt, der diese und andere Daten detailliert ausgewertet hat, warnt: „Wegen fehlendem Wind und schwacher Sonneneinstrahlung werden die Erneuerbaren niemals in der Lage sein, fossile Energien oder Kernkraftwerke vollständig zu ersetzen, egal wie viele Wind- oder Solarkraftwerke wir zubauen.“ Es wäre auch nicht möglich, in beliebigem Maße aus anderen europäischen Staaten Energie zu importieren.

Um zudem – wie es politisch angestrebt wird – auch noch fossile Heizungen, Prozesswärme und Verkehr rein elektrisch zu betreiben oder durch Wasserstoff zu ersetzen, müsste die Leistung der Kraftwerke um das Vierfache steigen. „Dies ist mit Erneuerbaren unmöglich“, stellt er fest.

Derjenige, der das sagt, ist ein ausgewiesener Experte. Richardt war 38 Jahre in der Entwicklung, der Realisierung, der Inbetriebnahme, dem Betrieb und der Modernisierung von Wasserkraft- und thermischen Kraftwerken auf der ganzen Welt tätig. Dabei umfasste seine Tätigkeit die gesamte Palette der Kraftwerkstechnik: Nuklear-, Kohle-, Öl-, Müllheiz-, Gas-, Kombi- und Solarkraftwerke.

Diese einzigartigen Erfahrungen nutzte der Ingenieur Anfang April, um die aktuelle Energie- und Kraftwerkssituation hierzulande nicht „durch die deutsche Brille“ zu analysieren.

Masterplan wie für Entwicklungsländer sinnvoll

Für Deutschland befürchtet der Fachmann einerseits eine Ideologisierung der Technik. Zum anderen sieht er das Land vor einer wichtigen Entscheidung: Geht Berlin künftig den marktwirtschaftlichen oder einen planwirtschaftlichen Weg? Falls letzteres erwünscht sei, müssten zwingend die einzelnen Veränderungsschritte geplant werden. 

Für Projekte in Entwicklungsländern ist es üblich, Masterpläne zu erstellen. Sie beinhalten, in welchen Stufen Veränderungen eingeführt werden und wann welche alten Techniken abgeschafft werden. Überwacht werden die Schritte durch diejenigen, welche die Entwicklung finanzieren, normalerweise sind das die internationalen Entwicklungsbanken. Eine Nichtbefolgung des Masterplanes oder Zweckentfremdung der Mittel führt in der Regel zum sofortigen Stopp der Finanzierung und Austausch der verantwortlichen Politiker.

Richardt fordert für die Veränderungen im Fall der deutschen Energie das gleiche Vorgehen, beginnend bei einer nationalen Masterstudie mit einem entsprechend verbindlichen Masterplan. Die Führung sollte dem Bundesrechnungshof obliegen, der kontinuierlich ein Auge auf die Finanzierung wirft und, im Gegensatz zur aktuellen Regelung, bei wesentlichen nationalen Projekten die gleichen Entscheidungsbefugnisse erhalten wie die internationalen Entwicklungsbanken.

Bundesrechnungshof warnte bereits 2021

Der Bundesrechnungshof legt bereits alljährlich Berichte vor, welche die Energieentwicklung beinhalten. In seinem Bericht vom 30. März 2021, dem „Bericht nach § 99 BHO zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bei Elektrizität“, rügte der Bundesrechnungshof das Wirtschaftsministerium (BMWi) für die hohen Strompreise und die ungenügende Versorgungssicherheit:

„Das BMWi muss sein Monitoring der Versorgungssicherheit bei Elektrizität in allen drei Dimensionen vervollständigen. Zahlreiche neue Beschlüsse und Pläne wirken sich erheblich auf die künftige Versorgungssicherheit aus. Dazu gehören insbesondere der Kohleausstieg sowie die Pläne zur Beseitigung von Netzengpässen und zur Wasserstoffgewinnung“, heißt es darin. 

Der Bundesrechnungshof legte 2021 auch der Bundesregierung nahe, die „daraus resultierenden Erkenntnisse und Instrumente rechtzeitig zu nutzen, um sich abzeichnenden, realen Gefahren für die Versorgungssicherheit wirksam zu begegnen. Das BMWi muss dringend aktuelle und realistische Szenarien untersuchen. Außerdem muss es ein ‚Worst-Case‘-Szenario untersuchen, in dem mehrere absehbare Risiken zusammentreffen, die die Versorgungssicherheit gefährden können.“

Mit dem ukrainisch-russischen Krieg sieht Richardt das „Worst-Case-Szenario“ eingetroffen. Doch außer dem Ausrufen der Gas-Warnstufe sei nichts passiert, kritisiert er.

Notwendig sei dringend „ein Masterplan Strom- und Industrieentwicklung, der detailliert aufführt, welche technisch-finanziellen Auswirkungen eine vorgesehene Veränderung hat (z.B. Kernkraft-/Kohleausstieg) und wie Alternativen zeitlich realisiert werden können – ohne die reibungslose Funktion unserer Volkswirtschaft zu gefährden.“

Fünf Empfehlungen

Aufgrund seiner weltweiten Erfahrungen im Energiesektor und um eine breite Diskussion anzustoßen, gibt Richardt daher fünf Denkanstöße:

1. Zunächst den Weiterbetrieb der existierenden Kern-, Gas- und Kohlekraftwerke, um die Energieversorgung zu sichern.

2. „Sofortige Veranstaltung“ eines Workshops mit bis zu 20 Experten der Energie- und Verkehrswende. Diese Runde sollte aus „ausgewiesenen Praktikern der Energieerzeugung und des Fahrzeugbaus/-vertriebs“ bestehen und alle Alternativen auf technische, finanzielle und zeitliche Machbarkeit prüfen. Dafür plant Richardt einen Zeitraum von vier Monaten ein.

3. „Erstellung der zugehörigen Masterstudie mit Zeitplan und Empfehlung“, ebenfalls binnen vier Monaten.

4. Anschließend soll die Masterstudie „bei den politischen Entscheidungsträgern unter Beteiligung aller Parteien“ vorgestellt werden, um einen gesellschaftlichen Konsens über die sachlich gebotenen Maßnahmen zu schaffen. In dieser zwei Monate andauernden Phase erfolgt eine Entscheidung über den resultierenden Masterplan.

5. Durchführung des Masterplanes „unter strikter Überwachung durch den Bundesrechnungshof“, der bei Fehlentwicklungen weisungsbefugt eingreift. „Neues darf erst dann eingeführt werden, wenn es funktioniert und finanziell machbar ist. Bis dahin muss das Alte erhalten bleiben.“

Alle Maßnahmen sollten auf ihre Sinnhaftigkeit geprüft und gegebenenfalls korrigiert werden, fordert der Kraftwerk-Experte. Neuerungen – für die er durchaus plädiert – sollten erst eingeführt werden, wenn sie ausgetestet und wirtschaftlich sind.

Weitere Informationen von Klaus H. Richardt sind in seinen Büchern „Damit die Lichter weiter brennen“ und „Grüne Volkswirtschaft“ (Verlag Tredition) zu finden.



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