Jetzt trifft den Kanzler der ungebremste Zorn der Wirtschaftsverbände

Bundeskanzler Olaf Scholz traf sich gestern mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft. Diese kritisieren den Kanzler und seine Regierung seit Monaten ungewöhnlich hart. Nach dem Treffen legen die Verbände nach.
Bundeskanzler Olaf Scholz (Archivbild).
Die Wirtschaft beklagt sich, dass Bundeskanzler Scholz den Ernst der Lage nicht erkennt.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 11. April 2024

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwoch an einer Klausurtagung der Spitzenverbände der Wirtschaft teilgenommen. Dass es für den Kanzler kein leichter Gang werden würde, das war schon im Vorfeld klar. Die Kritik, die Scholz in den vergangenen Monaten von der Wirtschaft entgegenschlug, war außergewöhnlich hart. 

Wirtschaft nimmt Scholz unter Dauerbeschuss

In jüngster Vergangenheit sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, der Mediengruppe Bayern, in den Reihen der DIHK-Mitgliedunternehmen gebe es viel Frust: „So was wie einen Vertrauensverlust in die Regierung. Man hat in den Betrieben das Gefühl, mit seinen Sorgen und Nöten von der Politik nicht wahrgenommen zu werden.“ Er habe vom Bundeskanzler schon mehrfach den Satz gehört, dass der Kaufmann halt jammert. „Da prallen zwei Welten aufeinander.“

Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), sagte Anfang April gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), die erste Hälfte der Regierungszeit der Ampelkoalition seien „zwei verlorene Jahre“ gewesen. Kritik übt der BDI-Präsident auch an der Kommunikation von Scholz: „Vom Kanzler hören wir zuletzt häufig das Zitat ‚Die Klage ist das Lied des Kaufmanns‘. So kann man unsere Analysen auch abkanzeln, zeigt aber, dass im Kanzleramt der Ernst der Lage offenbar unterschätzt wird.“

Jörg Dietrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), sagte im Februar, dass die Stimmung in der deutschen Wirtschaft und dem Handwerk schlecht sei, es fehle an politischer Verlässlichkeit. Die Ampelregierung müsse handeln, wo sie es selbst in der Hand habe. „Die Bürokratie liegt nicht an Russland oder Putin“, so Dietrich. 

Der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, hatte schon im Januar vor Journalisten gesagt, dass die Unternehmen das Vertrauen in die Bundesregierung verloren hätten. Den Landesverbänden der BDA „reißt mittlerweile der Geduldsfaden“, so Dulger damals. Unter anderem hatte das Portal „t-online“ darüber berichtet. 

Alles prallt am Kanzler ab

Die nicht zu übersehende Wut auf die Bundesregierung hat vor allem ihre Ursache darin, dass die Spitzenverbände seit Langem den Eindruck haben, im Kanzleramt nicht wahrgenommen zu werden. „Vor unserem letzten Treffen mit dem Bundeskanzler haben die vier Spitzenverbände der Wirtschaft ihm ein Papier mit zehn konkreten Reformideen zugesandt“, sagte Russwurm. „Antwort aus dem Kanzleramt: bisher Fehlanzeige.“ Zum geplanten Bürokratie-Entlastungsgesetz habe die Wirtschaft „442 konkrete Vorschläge unterbreitet“. Aufgenommen habe die Regierung elf.

Im Rahmen ihrer Klausurtagung in München am Mittwoch war Bundeskanzler Scholz nicht der einzige Gast bei den Wirtschaftsverbänden. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) erhielt im Vorfeld eine Einladung und traf sich kurz nach dem Kanzler mit den Vertretern der Spitzenverbände.

„Die deutsche Wirtschaft steht vor großen strukturellen Herausforderungen“, heißt es in einem veröffentlichten Pressestatement, das die Verbände schon Anfang März verbreiteten. „Bleibt das Wachstumspotenzial so niedrig wie derzeit absehbar, wird das Land die großen Herausforderungen finanziell und auch gesellschaftlich nicht stemmen können.“ Sie hatten von Scholz in einem Brandbrief Ende Januar bereits „ein Umlenken“ gefordert.

Insgesamt 90 Minuten lang soll das Gespräch zwischen der Wirtschaft und Scholz gestern gedauert haben. Auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt und Scholz‘ wirtschaftspolitischer Berater Jörg Kukies sollen laut Informationen des „Handelsblatts“ an diesem Treffen teilgenommen haben. Das Resultat scheint allerdings wenig erfreulich gewesen zu sein. „Es prallt weiter alles am Kanzler ab“, echauffierte sich einer der Wirtschaftsvertreter dem „Handelsblatt“ zufolge im Anschluss des Gesprächs.

Die Spitzenvertreter von Industrie und Wirtschaft beklagen weiter, Scholz erkenne die aktuell ernst zu nehmende Schieflage Deutschlands nicht an. Zwar habe der Kanzler inzwischen erkannt, dass es keine Option mehr sei, einfach nicht zu handeln, sagt ein Teilnehmer laut dem „Handelsblatt“. Aufgeschlossen sei Scholz gegenüber den Wirtschaftsvertretern aber trotzdem nicht aufgetreten. Es habe auch keine konkreten Zusagen an die Spitzenverbände gegeben. 

Merz „professionell aufgetreten“

Knapp fällt dementsprechend die Pressemitteilung der Verbände aus. Sie betonen lediglich, dass der Dialog mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung über Schritte zur strukturellen Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland „sehr wichtig“ sei.  

„Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft stehen auch weiterhin jederzeit für einen Dialog zur Verfügung, wie die erforderlichen Schritte konkret umsetzbar sind“, betonen sie weiter.

Euphorischer klingt das Statement nach dem Treffen mit dem CDU-Vorsitzenden Merz. Die Verbände sprechen von „großer Übereinstimmung in der Einschätzung der Handlungsnotwendigkeit und Handlungsfelder“. Die CDU habe „richtige Impulse in wichtigen Bereichen gesetzt“, betont die Presseerklärung der Wirtschaftsverbände.

Im Gegensatz zu Scholz sei Merz im Treffen „professionell aufgetreten“, schreibt das „Handelsblatt“ und nimmt Bezug auf Teilnehmer des Treffens. Schwierige Themen gab es aber auch beim Treffen mit dem Oppositionsführer im Bundestag. So kritisieren die Verbände, dass die Union das Wachstumschancengesetz zu lange im Bundesrat blockiert habe. Am Ende sei Merz aber eher als Scholz in der Lage, mit derartiger Kritik umzugehen, befinden die Wirtschaftsvertreter.

Einen öffentlichen Auftritt von Bundeskanzler Scholz mit Vertretern der Wirtschaftsverbände gab es gestern nicht. Das Gespräch sei vertraulich, hieß es im Vorfeld von einer Regierungssprecherin auf einer Pressekonferenz.



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