In knapp 100 Tagen: Auswandern wird Unternehmern erschwert
Im Jahr 2020 wanderten 1.186.702 Menschen nach Deutschland ein und 996.000 aus. Der Wanderungssaldo, also der Saldo zwischen Zuzügen und Fortzügen, betrug im vergangenen Jahr +220.251 Menschen. Damit setzte sich ein Trend fort, der seit der Jahrtausendwende beobachtet werden kann: Jährlich verlassen rund eine Million Menschen Deutschland.
Viele davon sind gut ausgebildet (junge Ärzte, Wissenschaftler, Techniker) oder Führungskräfte und wandern vor allem in die Schweiz, nach Österreich und in die USA aus. Die OECD bestätigt, dass nirgendwo so viele Akademiker auswandern wie aus Deutschland. Im Schnitt sind die Auswanderer 32 Jahre alt.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Hauptpunkte sind die hohe Steuerlast und der Wunsch nach mehr Freiheit. Nach der Bundestagswahl drohen weitere Steuererhöhungen. SPD, Grüne und Linke plädieren für zusätzliche Steuern: Ganz an der Spitze ihrer Forderungen stehen die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine einmalige Vermögensabgabe und eine Erhöhung der Einkommensteuer. Letztere will die Linke teilweise auf bis zu 75 Prozent erhöhen.
Wer mit dem Gedanken spielt, Deutschland zu verlassen, sollte beachten: Ab dem 1. Januar 2022 wird die Wegzugsbesteuerung massiv verschärft.
Steuer wird sofort fällig
Am 25. Juni 2021 stimmte der Bundesrat einer neuen Formulierung im §6 des Außensteuergesetzes zu. Das Gesetz dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie (2016/1164) und beschäftigt sich mit Anti-Steuervermeidungsrichtlinien. Es wurde am 30. Juni 2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.
Die Neuregelungen gehen über das geforderte Anpassungsmaß hinaus. Es führt dazu, dass Unternehmer beim Auswandern mit erheblichen Belastungen rechnen müssen.
Betroffen ist jeder, der auswandern will, seit mindestens zehn Jahren in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist und innerhalb der letzten fünf Jahre mittel- oder unmittelbar zu mindestens einem Prozent an einer GmbH oder AG beteiligt war.
Unternehmer, die abwandern wollen, werden so behandelt, als hätten sie ihre Anteile an der GmbH oder AG verkauft. Der Staat besteuert den fiktiven Gewinn – unabhängig davon, ob diejenigen überhaupt planten, zu verkaufen.
Das Finanzamt errechnet den zu zahlenden Betrag aus der Differenz von Buch- und Verkehrswert der Firma. Dieser Betrag wird als Einkommen veranlagt und im Zuge des Teileinkünfteverfahrens besteuert. Die gleiche Regelung gilt, wenn Unternehmensanteile ins Ausland vererbt oder verschenkt werden (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG).
Diese Steuer ist sofort fällig. Zuvor galt, dass der Betrag erst gezahlt werden musste, wenn ein Unternehmer seine Anteile tatsächlich verkaufte oder aus den EU-Staaten wegzog. Eine Stundung ist mit der Neuformulierung ebenfalls nicht mehr erlaubt. Möglich bleibt eine Ratenzahlung über sieben Jahre, sofern der Auswanderer eine Sicherheitsleistung hinterlegen kann.
Die freie Mobilität der Unternehmer wird mit der Neuregelung massiv eingeschränkt. Selbst bei einem Umzug in ein anderes EU-Land und innerhalb der europäischen Wirtschaftsregion müssen Unternehmer durch die fälligen Zahlungen mit Problemen bei der Liquidität rechnen.
Beteiligt an den neuen Formulierungen waren das Bundesfinanz- und das Bundeswirtschaftsministerium.
Andere Lasten und historische Vorbilder
Ziel der Maßnahme ist, höhere Staatseinnahmen zu generieren. Auch die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, auf eine Besteuerung nach der Staatsangehörigkeit umzustellen, geht in diese Richtung. Aktuell werden die Steuern auf Basis des Hauptwohnsitzes berechnet. Mit einer Umstellung auf die Staatsangehörigkeit werden (ähnlich wie in den USA) auch diejenigen steuerpflichtig, die schon seit Jahren weggezogen sind. Nur ein Aufgeben der deutschen Staatsangehörigkeit könnte davon entbinden.
Andere Überlegungen des Bundesfinanzministeriums und einiger Parteien gehen in Richtung einer einmaligen Vermögensabgabe. Das historische Pendant dazu ist die „Lastenausgleichsabgabe“ nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland. Jeder, der damals über 5.000 Mark hatte, musste die Hälfte abgeben. Das Gesetz bezog sich insbesondere auf Immobilien, nach 1952 wurden auf alle Immobilien in Westdeutschland Zwangshypotheken eingetragen. Diese betrugen 50 Prozent des geschätzten Immobilienwertes. Über 30 Jahre mussten die Besitzer das Geld zurückzahlen.
Ein historisches Vorbild gibt es auch für die ab dem 1. Januar 2022 geltende Wegzugsbesteuerung: Die Reichsfluchtsteuer vom 8. Dezember 1931, welche mehrfach verlängert und verschärft wurde. Diejenigen, die aus Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg flüchteten, mussten 25 Prozent des Vermögens an den Staat abtreten. Wer sie nicht zahlen konnte oder wollte, erhielt die zur Auswanderung notwendigen Unterlagen nicht. Selbst diejenigen, die in Gettos oder Vernichtungslager deportiert wurden, mussten ab 1942 die Reichsfluchtsteuer zahlen.
Ein „günstiger“ Wegzug innerhalb des europäischen Wirtschaftsgebietes ist für Unternehmer daher praktisch nur noch bis zum Jahresende 2021 möglich.
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