Impfstoffverträge: Steuerfinanzierte Überdosis

Nachverhandlungen: Jetzt will die Regierung angesichts von Milliardenkosten die Impfstoff-Deals auflösen. Eine Analyse.
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Corona-Impfstoff. Symbolbild.Foto: iStock
Von 4. Januar 2023

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Über 150 Millionen COVID-Impfdosen drohen zu verfallen, damit wandern gleichzeitig Milliarden an Steuergeldern in die Tonne. Aber kann die deutsche Regierung die vereinbarten Impfstoffverträge jetzt einfach aufheben?

Davon offensichtlich unbeeindruckt verplant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach derweil ein neues COVID-Budget für weitere mRNA-Einkäufe im Jahr 2023.

Milliarden Steuergelder für Millionen verfallende Impfdosen

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums befanden sich am 19. Dezember rund 151 Millionen mRNA-Injektionsdosen im Zentrallager des Bundes – davon allein 96 Millionen eingekaufte Dosen des deutschen Unternehmens BioNTech, wie „Welt“ berichtete.

Damit nicht genug. Dies ist nur eine vorläufige Inventur, besser ein Höchststand, denn schon jetzt ist klar, dass der Bestand weiter anwachsen wird. Deals mit den mRNA-Herstellern über die weitere Abnahme von rund 130 Millionen Dosen, die bis Ende 2023 geliefert werden sollen, sind bereits abgeschlossen.

Allein BioNTech, von deren Produkten noch fast 100 Millionen Dosen eingelagert sind, soll innerhalb des jetzt laufenden Jahres weitere 92,4 Millionen Dosen liefern.

Vertrauliche Pharmaverträge bis 2024

Die Verträge mit den Pharmafirmen sind bis Anfang 2024 abgeschlossen worden. Die Vereinbarungen laufen erst im kommenden Jahr aus, ließ das Gesundheitsministerium gegenüber „Welt am Sonntag“ verlautbaren. Details dürfen allerdings aus „Gründen der Vertraulichkeit“ nicht genannt werden, so das Ministerium gegenüber der Zeitung.

Auch was die Kosten angeht, hüllt sich der Bund in Schweigen. Schätzungen zufolge hat der größte Impfstoff-Deal – geschlossen von der EU mit Pfizer – ein Volumen von 35 Milliarden Euro. Dafür „sicherte“ sich die EU im Frühjahr 2021 1,8 Milliarden mRNA-Dosen.

Dubiose Deals immer noch nicht aufgeklärt

Über das Zustandekommen dieses EU-Deals sind immer noch viele Fragen offen. Immerhin ermittelt jetzt die EU-Staatsanwaltschaft gegen „Beschafferin“ Ursula von der Leyen (CDU). Bei der raschen Umsetzung der Milliardenverträge, deren Details bis zum heutigen Tag streng geheim sind, half die deutsche EU-Kommissionspräsidentin via SMS im direkten Kontakt mit Pfizer-Chef Albert Bourla nach.

Im Rahmen dieser neuen Deals war dann auch der Preis pro BioNTech-Impfdosis von zuvor 15,50 Euro auf 19,50 Euro gestiegen. Frau von der Leyen weigert sich bis dato eisern, die Protokolle zu den Chats mit Bourla offenzulegen.

All das führte dazu, dass Pfizer/BioNTech 2021 an die 37 Milliarden Dollar Umsatz meldete, die mRNA-Stoffe machten dabei bald die Hälfte der Verkaufserlöse des Pharma-Multis aus. Pfizer steht mittlerweile auf Platz eins der umsatzstärksten Pharmakonzerne weltweit und korrigierte zudem kurz vorm Jahresende 2022 seine Gewinnerwartung weiter nach oben.

Millionen Dosen Impfstoff bei nur 3.000 Impfungen pro Tag

In Deutschland warten jetzt Impfstoffe im Milliardenwert auf Impfwillige oder wahlweise auf Vernichtung. Jedenfalls braucht es Platz und Kühlraum, denn die nächsten Käufe sind schon auf dem Weg. Und es sieht nicht danach aus, als ob diese noch hinreichend Abnehmer finden. Das offenbart bereits ein kurzer Blick auf das Impfdashbord des Robert Koch-Instituts:

Unter der Rubrik „Täglich verabreichte Impfdosen“ ist dort für den 2. Januar 2023 aufgeführt, dass an diesem Tag gerade einmal dreitausend Impfdosen verabreicht wurden. Ein Vergleichswert an einem Tag vor circa einem Jahr klingt so: „Die bisher meisten Impfungen wurden am 15. Dezember 2021 mit insgesamt 1,6 Mio. Dosen durchgeführt“, heißt es auf der RKI-Website dazu.

Ende der Pandemie bedeutet kein Ende der Impfung

Was die Impfbereitschaft der deutschen Bevölkerung angeht, ist das Ende der Pandemie deutlich abzulesen. Bei Gesundheitsminister Lauterbach hingegen weniger. „Ich gehe davon aus, dass der Bundesgesundheitsminister alle Hebel in Bewegung setzt, um die bereits bestellten Impfstoffe wieder abzubestellen“, sagte der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) gegenüber „Welt am Sonntag“. Es stelle sich die Frage, so Kubicki, warum der Impfstoff überhaupt in einem solchen Umfang bestellt wurde: „Schließlich reden wir hier über Milliardenbeträge, die den Steuerzahler belasten.“ Man habe es erneut mit einer „unglaublichen Fehlkalkulation“ des Ministeriums zu tun.

Abhilfe durch neue Virusvarianten?

Sofern sich die Corona-Situation samt Injektionsbereitschaft nicht grundlegend verschlechtert, wird ein Großteil der bis Ende 2023 verfügbaren rund 280 Millionen Impfdosen in Deutschland verfallen. Mutmaßlich könnte hier allenfalls eine neue Coronavariante in Verbindung mit einer neuen Impfkampagne den Bedarf wieder ankurbeln und die mRNA-Hamsterkäufe im Nachhinein legitimieren.

Aktuell richtet sich die Aufmerksamkeit auf eine neue Coronavariante in den USA, gerade erst wurde Variante XBB.1.5 bekannt. Experten gehen von einer hohen Ansteckung, aber nicht von schweren Verläufen aus.

Die Interpretation von Herrn Lauterbach dazu auf Twitter: „Diese jetzt in den US stärker beobachtete Corona-Variante, XBB.1.5, zeigt, dass immer noch neue gefährlichere Varianten kommen. Nicht nur aus China. Variantenmonitoring bleibt wichtig und muss ausgebaut werden.“ Der Gesundheitsminister fordert in einem weiteren Tweet, das müsse beobachtet werden.

„Nach Treu und Glauben“: Anpassung der Pharmaverträge

Ein Sprecher des deutschen Gesundheitsministeriums erklärte jetzt gegenüber der „Welt“, dass die Bundesregierung bezüglich Nachverhandlungen im Austausch mit der EU-Kommission und den Impfstoffherstellern stehe. Die Verhandlungen würden nach dem „Prinzip von Treu und Glauben“ geführt werden. Nach diesem Rechtsgrundsatz nimmt ein Vertragspartner Rücksicht auf die berechtigten Interessen des anderen.

Nachverhandlungen um zehn Milliarden

Zeitnah – noch Anfang des Jahres – soll ein Treffen der EU-Gesundheitsminister und Vertretern der Pharmafirmen sowie der EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides (Dimokratikos Synagermos) stattfinden. Bei diesen Nachverhandlungen gehe es um etwa zehn Milliarden Euro.

Während der Bund der Steuerzahler die deutsche Regierung dafür lobt, dass sie sich „kritische Gedanken über Tauglichkeit und Richtigkeit eines Vorgangs mache im Sinne von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“, moniert der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge: „Vor einem Jahr stürzte sich Minister Lauterbach in einen milliardenschweren Impfstoff-Kaufrausch, der bis heute beispiellos ist. (…) Damals sprach er von einem angeblichen Impfstoffmangel, der bis heute nie eingetreten ist. Im Gegenteil.“ Jetzt folge daraus die massenweise Vernichtung der mRNA-Stoffe.

Die SPD-Gesundheitsexpertin Heike Baehrens verteidigte das Vorgehen ihres Parteikollegen Lauterbach. Eine Vorhersage über den Pandemieverlauf sei „schlicht nicht möglich“ gewesen.

Gerade erst Milliarden versenkt – schon ein neues Budget zum Ausgeben

Gesundheitsminister Lauterbach hat derweil schon die nächsten Mega-Budgets in Planung: Im vierten Corona-Jahr steht ein 60 Millionen Euro schwerer Etat für Corona-PR, Aufklärungskampagnen genannt, zur Verfügung. Zusätzlich darf der Minister im Jahr 2023 fast drei Milliarden Euro für neue COVID-19-Impfstoffe ausgeben, trotz der allein bis Ende 2022 fast 80 Millionen übrig gebliebenen Dosen.

Auch in Anbetracht dieser Fakten geht Lauterbachs Ministerium immer noch davon aus, so „Business Insider“, dass auch 2023 die Notwendigkeit bestehe, „umfassend über die mit Corona verbundene Gesundheitsgefährdung zu informieren und sie dazu zu motivieren, die Impfangebote zu nutzen…“„“.



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