Hans-Paul Bürkner: „Selbstverständlich haben Manager eine moralische Verpflichtung“
Ob die Boston Consulting Group (BCG) die Nummer 1 unter den weltweiten Unternehmensberatungen ist, darüber mag sich das Unternehmen mit McKinsey uneins sein. Der Name BCG steht in jedem Fall für die absolute Elite unter den Beratern. Zu ihren Kunden zählen neben Top-Unternehmen auch zahlreiche Regierungen, die sich von BCG in Strategiefragen beraten lassen. Wir sprachen mit dem weltweiten Chef der Boston Consulting, dem Deutschen Hans-Paul Bürkner, über den Stand der aktuellen Wirtschaftskrise und mögliche Lösungsansätze, Erfolg oder Misserfolg der Globalisierung und die moralische Vorbildwirkung von Managern.
Interview mit Hans-Paul Bürkner, CEO der Boston Consulting Group
Epoch Times: Herr Bürkner, wie sehen Sie im Moment die Krise – wo stehen wir, wo gehen wir hin, besonders mit Blick auf China?
Hans-Paul Bürkner: Die Krise ist noch nicht überstanden: Momentan erleben wir noch ein stetiges Auf und Ab: Es geht ein bisschen runter und kurz darauf ziehen die Märkte wieder leicht an. Wir sollten diese Krise nutzen, um die Herausforderungen, die wir ohnehin haben, anzugehen. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir die Märkte weiter offen halten und so die Doha-Entwicklungsagenda (Doha Development Agenda) zum Erfolg führen. Protektionismus hilft uns nicht. Protektionismus macht uns alle ärmer. Das gilt für Europa, aber auch für China. Die letzten Ausschreibungen für große Windkraftanlagen wurden zum Beispiel nur für chinesische Unternehmen geöffnet. Ausländische Investoren wurden unter fadenscheinigen Gründen ausgeschlossen. Man könnte sagen, die chinesische Regierung möchte auch die Windkraftindustrie in China entwickeln. Das wird ohnehin passieren. Aber es ist nicht gut, wenn das unter solchen Spannungen geschieht, weil ein derartiges Verhalten natürlich entsprechende Reaktionen nach sich zieht.
Epoch Times: Gerade bei Doha – ist es nicht so, dass die Chinesen den Westen, stark ausgedrückt, übervorteilen? Also dass die protektionistischen Maßnahmen, die die Chinesen setzen, sehr stark sind im Vergleich zu dem, was sie vom Westen fordern?
Bürkner: Ich kenne die Forderungen nicht im Einzelnen. Ich denke aber, dass es für die gesamte Welt wichtig ist, dass Doha vorangebracht wird, um die Märkte weiter zu öffnen. Und dazu muss natürlich jeder einen Beitrag leisten. Jedes Land muss seine protektionistischen Maßnahmen zurückschrauben – ob das nun Agrarsubventionen sind oder Zugangsbeschränkungen bei bestimmten Industrien. Denn je mehr wir uns alle öffnen, desto mehr werden wir alle auch am Ende davon profitieren.
Epoch Times: Also, Sie glauben ganz stark daran, dass die Globalisierung im Moment zwar eine gewisse Delle erlebt, aber an sich ein Trend ist, der positiv zu bewerten ist.
Bürkner: Sehr positiv. Ich weiß natürlich, dass es auch kritische Stimmen gibt. Für einen Arbeiter, dessen Fabrik vielleicht geschlossen und dann nach Asien transformiert worden ist, ist die Situation natürlich nicht erfreulich. Er steht vor einer großen Herausforderung. Das ist ganz klar. Es gibt also zum Teil erhebliche Friktionen und individuelle Schicksale, die sicherlich problematisch sind. Aber wenn Sie sehen, dass in den letzten 20 bis 25 Jahren China, Indien und der Ostblock Teil der Weltwirtschaft geworden sind – das sind rund eine Milliarde Menschen und die nächste Milliarde ist bereits auf dem Weg – dann wird sich diese Entwicklung durch die Krise vielleicht etwas verzögern, aber sie wird nicht gestoppt. Und ja, das ist ein positiver Trend.
Der Lebensstandard weltweit hat sich insgesamt erhöht, wenn man sich das über die letzten 20 bis 30 Jahre ansieht. Der Anteil derer, die von ein oder zwei Dollar pro Tag leben müssen, ist gesunken. Das heißt nicht, dass es nicht auch immer wieder ein oder zwei Jahre gibt, in denen dieser Trend zum Stillstand gekommen ist, oder auch rückläufig ist; während der Krise müssen viele leiden, das gilt genauso für die chinesischen Wanderarbeiter wie für die Bauarbeiter in Indien, im Mittleren Osten, in Russland, Westeuropa oder in Nordamerika. Das ist ein wellenartiger Prozess, in dem diese Krise ihre Wirkung zeigt. Aber die Gesamtentwicklung bleibt positiv.
Epoch Times: Die Boston Consulting Group hätte für die aktuelle Krise welche Lösungsansätze?
Bürkner: Wir arbeiten natürlich überwiegend mit Unternehmen zusammen, zum Teil auch mit Regierungen. Der Ansatz für die einzelnen Unternehmen heißt: Wettbewerbsfähigkeit erhalten und steigern. Das heißt, das gesamte Aktivitätenportfolio zunächst einmal grundlegend zu überprüfen: Was ist wichtig, was nicht. Effizienz weiter zu steigern, neue Produkte zu entwickeln; in R&D (Research & Development), also in Forschung und Entwicklung zu investieren und auch die globalen Wertschöpfungsketten zu optimieren und anzupassen an die neuen Verhältnisse. Das heißt nicht, dass man jetzt alles nach China verlagert oder nach Indien, oder wohin auch immer. Sondern dass man sich für jedes Produkt und jede Dienstleistung die relevanten Elemente der Wertschöpfungskette anschaut und sich fragt, wo welcher Teil am besten aufgehoben ist. Und natürlich gilt es auch, Alternativen zu haben und Logistikprobleme im Auge zu behalten. Wenn Sie zum Beispiel auf kurzfristige Lieferungen angewiesen sind, dann macht es natürlich keinen Sinn, die Produktion Tausende Kilometer weit weg zu verlagern und von Häfen abhängig zu sein, die ständig verstopft sind. Das muss man alles mit berücksichtigen.
Epoch Times: Wie sehen Sie den Shareholder-Value-Ansatz. Fredmund Malik aus St. Gallen steht ihm ja sehr kritisch gegenüber und sagt: Europa hat jetzt einen Vorteil, weil hier der Shareholder-Value-Ansatz nicht so im Vordergrund steht. Wie sehen Sie das, wird es in Zukunft auch eine Abkehr geben von dem reinen Fokus auf Betriebsergebnis und Umsatz?
Bürkner: Es geht letztendlich darum, Wert zu schaffen, und zwar mittel- und langfristig und nicht nur kurzfristig den Aktienkurs zu steigern. Sie können Ihre Zukunft aufs Spiel setzen, indem Sie massiv Kosten senken, nicht mehr in Forschung und Entwicklung oder in neue Produkte investieren. Das würde aber den Investoren bestimmt auffallen, und ich denke, dass der Gedanke des langfristigen Wirtschaftens von extremer Bedeutung ist. Natürlich heißt erfolgreiches Wirtschaften, für die Ziele der Investoren zu wirtschaften. Wer aber langfristig erfolgreich sein möchte, muss ebenso für die eigenen Mitarbeiter wirtschaften und für die Gesellschaft, in der er arbeitet. Starke Unternehmen, erfolgreiche Unternehmen schaffen Wert für alle Beteiligten.
Epoch Times: Wie definieren Sie ein starkes Unternehmen?
Bürkner: Sicherlich ein Unternehmen, das auch hohe Gewinne erwirtschaftet, das wächst und zunehmend Marktanteile gewinnt und daraufhin wieder reinvestiert und weiteres Wachstum, weitere Produktivität bringt. Das ist ein „Virtuous Circle“. Im Deutschen gibt es nur den Teufelskreis. Den „Virtuous Circle“ (eine mögliche Übersetzung wäre „Tugendkreis“) gibt es nicht (lacht). Diesen „Virtuous Circle“ muss man in Gang halten. Denn daraus entstehen Arbeitsplätze, und davon profitiert auch die Gesellschaft, in der man lebt. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, welche Bedeutung bestimmte Unternehmen für ihre Stadt haben, in der sie sich natürlich auch stärker gesellschaftlich engagieren als anderswo – etwa im Bereich Bildung, Ausbildung oder Community Development. In Deutschland ist das etwa Stuttgart mit Daimler, Porsche und Bosch. Oder München mit Siemens, BMW oder MAN. Von diesen erfolgreichen Clustern leben Städte und sie profitieren von dem Erfolg der Unternehmen vor Ort. Nicht nur durch höhere Gewerbesteuereinnahmen und das Steueraufkommen, sondern auch durch das starke Engagement der Unternehmen vor Ort.
Epoch Times: Ja das ist klar.
Bürkner: Wenn es darum geht, kurzfristig Gewinn zu maximieren auf Kosten der Zukunft, dann ist das nie gut. Das war nicht gut, das ist nicht gut, und das wird auch nie gut sein. Es gibt sicherlich Activist Shareholders, die versuchen, das Management dazu zu bringen, den Aktienkurs kurzfristig zu maximieren, indem sie Unternehmensteile verkaufen oder Kapazitäten abgeben oder schließen. Das kann mittel- oder langfristig gut sein, es kann aber auch so sein, dass es wirklich nur um kurzfristige Optimierung geht – und in dem Sinn ist Shareholder-Value negativ zu bewerten.
Epoch Times: Gibt es eine moralische Verpflichtung von Managern?
Bürkner: Selbstverständlich haben Manager eine moralische Verpflichtung gegenüber den Menschen, mit denen sie arbeiten, und gegenüber der Gesellschaft, in der sie arbeiten. Führungskräfte müssen sich dieser Verpflichtung in besonderer Weise bewusst sein. Eine Führungsposition kann jemand nur dann auf Dauer innehaben, wenn er oder sie Vorbild für andere ist – insbesondere auch in moralischen Fragen.
Epoch Times: Wie schätzen Sie die derzeitige wirtschaftliche Lage der USA ein?
Bürkner: Die USA befinden sich auf dem Weg der Besserung. Wir werden in diesem und im nächsten Jahr Wachstumsraten von etwa 3 Prozent erleben und auch einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit.
Epoch Times: Welche Unternehmen werden gestärkt aus der Krise gehen?
Bürkner: Gestärkt aus der Krise gehen Unternehmen, die konsequent daran arbeiten, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, etwa indem sie sich auf Geschäftsbereiche konzentrieren, in denen sie herausragende Leistungen anbieten können. Gemeint sind Unternehmen, die ihre Effizienz stetig verbessern und aktiv die Industrielandschaft gestalten.
Das Gespräch führte Florian Godovits
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