Geld, Jobs, Werke: Investitionsrunde der Irritationen bei VW

Bevor alljährlich im November die Milliarden aufs Werksnetz verteilt werden, geht bei VW das große Verhandeln los. Immer wieder krachte es dabei auch zwischen Vorstand und Teilen des Aufsichtsrats.
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VW-Logo.Foto: Pugliano/Getty Images
Epoch Times22. Oktober 2021

War es eine neue Provokation? Oder ein überfälliger Weckruf? Rund um Aussagen von Vorstandschef Herbert Diess über angeblich 30.000 gefährdete Stellen brandete jüngst wieder die konzerntypische Erregungswelle bei Volkswagen auf.

Präziser gesagt: um den genauen Bezug seiner Gedanken in einer Aufsichtsratssitzung. Manche fürchten, dass Europas größter Autobauer durch Kostendruck, Chipkrise und die wachsende Marktmacht des US-Rivalen Tesla abermals viele Jobs kappen muss.

Das Management versicherte, es gebe keinerlei konkrete Pläne, erst recht keine Streichliste. Andere glauben: Diess‘ Äußerungen könnten als Testballon für mögliche weitere Sparpakete dienen – auch wegen darauffolgender Warnungen an Top-Führungskräfte, man dürfe beim Umbau der Autoindustrie nicht den Anschluss verpassen.

So oder so würde das Timing passen: In drei Wochen (12. November) sollen in Deutschlands größtem Unternehmen die Entscheidungen zu den Investitionen der kommenden fünf Jahre stehen. Der Planungsrunde zur Belegung der Werke und Verteilung der Milliarden auf einzelne Themen waren schon oft Feilschen und Finten vorausgegangen. Und natürlich geht es auch um Jobs, die an bestehenden und neuen Modellen hängen.

Tesla und Halbleiter im Hinterkopf

Diesmal ist die Gemengelage besonders delikat. Wann wieder ausreichend Halbleiter da sind, um die größtenteils weiterlaufende Kurzarbeit einzudämmen, ist unklar. Ebenso die Frage, wie groß die Folgen von Teslas „Gigafabrik“ bei Berlin für den Automarkt sein werden, quasi direkt vor der Haustür des VW-Stammsitzes Wolfsburg.

Um Wolfsburg ging es denn auch bei den neuesten Irritationen. Im September hatte Diess in einer Aufsichtsratsrunde die Zahl 30.000 genannt – wie er später betonen ließ, aber als Extremszenario, falls der Umbruch in Richtung E-Mobilität nicht so vorankomme wie erhofft.

Klar ist: Das VW-Hauptwerk ist inzwischen arg unterausgelastet, 2021 könnte hier so wenig produziert werden wie zuletzt Ende der 1950er Jahre. Aus derzeitiger Sicht dürfte es schwer sein, überhaupt die knappe halbe Million des harten Corona-Jahres 2020 noch zu schaffen.

Der Betriebsrat ist alarmiert. Er verlangt schon länger ein weiteres Elektromodell neben dem Projekt „Trinity“, das ab 2026 kommen soll – später als zunächst geplant. Womöglich hat Wolfsburg bei der ID-Reihe auch Chancen für eine Gemeinschaftsproduktion mit anderen Werken.

Selbst wenn der Vorstoß von Diess nicht als Einstimmung auf drohenden Jobabbau erscheinen sollte: Teilnehmer der Sitzung fragen sich, warum der gerade mit einem frischen Vertrag ausgestattete Chef schon wieder derart voranpreschte. Dass VW vor allem bei der Kernmarke die Kosten drücken muss, weiß eigentlich jeder.

Auf den Ende 2016 vereinbarten „Zukunftspakt“, der Kürzungen bei parallelem Aufbau neuer Beschäftigungsfelder vorsah, folgte die „Roadmap Digitale Transformation“. Ende vorigen Jahres vereinbarten Management und Betriebsrat, dass die Fixkosten der Marke VW bis 2023 um fünf Prozent sinken sollen. Gleichzeitig soll die Rendite zulegen. Die Personalausgaben werden zudem – im Rahmen schon laufender Programme – durch Vorruhestand, Altersteilzeit oder Einstellungsstopps gedrückt.

Mag sein, dass VW da angesichts von Pandemiefolgen, Teilemangel und Transformationsdruck noch einmal nachsteuern muss. Aber warum, so fragen sich einige, kommt das Reizthema in dieser Form jetzt schon wieder so schnell aufs Tapet?

Betriebsrat fordert Klarstellung bei Arbeitsplätzen

Hier die Macher, dort die Blockierer – diese Konfliktlinie zwischen dem Vorstand und Teilen des Kontrollgremiums war lange die gängige Erzählung in Wolfsburg. Gerade wenn heikle Entscheidungen vorbereitet werden mussten. Nach dem Wechsel des langjährigen Betriebsratschefs Bernd Osterloh in den Vorstand der Nutzfahrzeug-Tochter Traton im Mai sowie der von Diess forcierten, eigenen Vertragsverlängerung im Juli dachten manche, es werde nun etwas ruhiger und harmonischer.

Weit gefehlt, könnte man meinen. Osterlohs Nachfolgerin Daniela Cavallo hatte zwar angekündigt, genauso entschieden für die Belange der Belegschaft einzutreten. Und Diess hatte erklärt, sich auf die Zusammenarbeit mit ihr zu freuen. Nun verlautete aus Konzernkreisen jedoch, es habe ausgerechnet vor dem Durchrechnen möglicher Sparziele keine Abstimmung mit der Mitarbeitervertretung gegeben. Danach noch das Poltern im Aufsichtsrat – also alles beim Alten? „Es gibt keine Gedankenspiele über irgendeinen Arbeitsplatzabbau“, stellte Cavallo klar – und forderte Diess ebenso zu einer Klarstellung auf.

Das Wort Vertrauensbruch will offiziell niemand in den Mund nehmen. Doch alle Beteiligten wissen, dass für VW in den nächsten Jahren sehr viel auf dem Spiel steht und deshalb alle an einem Strang ziehen sollten. Diess ist bekannt für seine ruppige Art, mit der er selbst kokettiert. Der Einschätzung vieler Branchenexperten, kaum jemand sei bei der Zukunftsplanung auch inhaltlich so mutig wie er, tut das aber keinen Abbruch. In der Industrie ist sein Umsteuern hoch angesehen.

„Ich habe, wenn ich an Wolfsburg denke, nicht den Abbau von Arbeitsplätzen im Kopf“, sagte er intern. „Mir geht es darum, wie wir miteinander arbeiten. Wir brauchen eine neue Denkweise.“ Dabei müsse sich auch Wolfsburg strecken. In einem VW-Papier an die potenziellen Koalitionäre im Bund heißt es: „Wir wollen unseren Beitrag leisten, dass Europa bis 2050 treibhausgasneutral wird.“ Um den Bedarf an mehr Agilität lasse sich nicht herumreden, so Diess. In der Sache völlig unstrittig, sagt jemand aus der Eigentümerschaft. Unabgesprochenes Vorgehen werde man aber nicht mittragen. „Damit käme er nicht durch.“

Wie schmerzhaft die Umwälzungen in der deutschen Kernbranche werden könnten, wissen längst auch die VW-Beschäftigten. Zu den wiederholten Ränkespielen gibt es aber teils Kopfschütteln. Man habe gedacht, die ständige Nabelschau an der Spitze werde jetzt einmal aufhören, sagt einer. Stattdessen sollten sich die Chefs doch bitte um die akuten Probleme kümmern – Stichwort Bänderstopp durch fehlende Halbleiter. VW hat zwar seit Monaten eine Taskforce, die noch möglichst viele Chips auftreiben soll. Aber auch Cavallo wird hier zusehends nervös.

„Von der Führung eines Weltkonzerns darf man schon erwarten, in der Lage zu sein, den Einkauf so zu organisieren, dass verlässlich Autos gebaut werden“, sagte die neue Betriebsratschefin „Zeit online“. Aus der Leitung sei noch kein Plan erkennbar, „wie diese Krise gemanagt werden kann. Im ersten Halbjahr machen wir einen Rekordgewinn, und jetzt wird über den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen spekuliert.“

Ob manche Markenzahlen im dritten Quartal womöglich rot ausfallen, zeigen die nächsten Wochen. Nicht gerade hilfreich erscheint da aus der Perspektive der Wolfsburger Werker, dass Diess wieder mal als wenig nahbar erscheint. Eine Einladung zur nächsten Betriebsversammlung in der Zentrale am 4. November habe er abgesagt. Grund: ein Termin bei US-Investoren. (dpa/oz)



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