Früherer Chefökonom der Deutschen Bank: „Der Euro hat Krebs!“
Prof. Thomas Mayer ist nicht nur ein Ausnahmewissenschaftler, er ist der maßgebliche Finanzökonom Deutschlands. Als Spitzenmanager in herausgehobenen Positionen an den internationalen Finanzmärkten war er in London und New York tätig, neben anderen für den Internationalen Währungsfonds, für Goldman Sachs und für Salomon Brothers.
Bis 2012 war Mayer Chefökonom der Deutschen Bank. 2014 baute er für Flossbach von Storch in Köln das gleichnamige Research Institute auf, als dessen Gründungsdirektor er seitdem fungiert. Mayers Institut hat den Vermögenspreisindex installiert, eine Skala, welche die seit 2008 kräftig wachsende Assetpreis-Inflation akribisch vermisst. Der Flossbach-von-Storch-Vermögenspreisindex ist heute aus keiner makroökonomischen Analyse mehr wegzudenken.
Im Interview mit Benjamin Mudlack und Georg Habenicht fiel der Satz: „Der Euro hat Krebs“. Wie geht es weiter mit dem Euro, welche Lösungsmöglichkeiten gibt es und welche Defizite weist das heutige Geldsystem auf?
Habenicht: Herr Prof. Mayer, hat der Euro eine Lungenentzündung? Oder nur einen Schnupfen?
Ich würde eher sagen, er hat Krebs. Das ist keine Krankheit, die sich schnell entwickelt, sondern langsam. Aber den Patienten am Ende doch umbringt. Der Punkt ist halt der, dass der Euro ein enormes politisches Projekt ist. Da wurde so viel politisches Kapital investiert, das kann man nicht abschreiben. Die Politik ist nicht fähig abzuschreiben.
Die Politik versucht, den Status quo zu verteidigen und zu erhalten. Und wenn er gar nicht mehr zu halten ist, versucht sie ihn abzustützen. Mit Hilfskonstrukten. Das haben wir gesehen in der Eurokrise, nach der Eurokrise und das sehen wir jetzt eigentlich wieder.
Und das geht so lange weiter, bis das Ding überhaupt nicht mehr zu halten sein wird. Aber das kann noch lange dauern. Denn die Politik ist ja auch sehr erfinderisch, wie wir gesehen haben.
Mudlack: Weiß die EZB überhaupt, wieviel Geld in Umlauf ist?
Sie sollte es wissen. Aber die EZB schaut nicht mehr drauf. Anfangs hat der damalige Chefvolkswirt Otmar Issing noch eine gewisse Orientierung an der Geldmenge von der Bundesbank in die EZB hinübergetragen. Es gab einen Referenzwert für die M3. Dieser Referenzwert geriet dann über die Zeit in Vergessenheit und wurde in der Nach-Issing-Zeit überhaupt nicht mehr beachtet.
Der Punkt ist nicht der, dass in der Finanzkrise Geld geschaffen worden ist. Das hat gar nicht so gut geklappt übrigens. Da wurde sehr viel Zentralbankgeld geschaffen, aber die Banken absorbierten das Zentralbankgeld als Betriebsmittel. Das ist wie ein Motor, der Ölverlust hat. Das hat sich erst geändert mit dem Beginn des Quantitive Easing 2015. Es war die erste Stufe der Rakete, die gezündet wurde.
Die Europäische Zentralbank hat die Geschäftsbanken quasi abgelöst als Gelderzeuger. Vorher hatten die Geschäftsbanken Kredite an Private vergeben, das war der klassische Fall, Gelderzeugung durch Kredit, also Bilanzverlängerung. Diese Veranstaltung war der EZB allerdings zu schlapp.
Deswegen ging die EZB ab 2015 daher, Staatsanleihen selber zu kaufen, nach dem Muster des Quantitative Easing, das zurückgeht auf die Bank von Japan Anfang der 90er Jahre.
Das funktioniert so: Die EZB gibt einen Kaufauftrag an eine Geschäftsbank, weil die EZB als Zentralbank zu fein ist, da immer selbst mitzumischen. Die Geschäftsbank wirbt eine Staatsanleihe ein und sagt, ich hab hier einen Käufer, der zahlt Dir jeden Preis. Du kannst Deine Anleihe also zu einem tollen Preis loswerden, kein anderer Käufer zahlt Dir so viel.
Dann wandert die Anleihe über die Geschäftsbank zur Zentralbank, die EZB in dem Fall. Die Zentralbank zahlt anschließend dafür, dass sie Zentrabankgeld in die Geschäftsbank einbringt, und zwar aus dem Nichts geschöpft. Jetzt hat die Geschäftsbank ein Zentralbankguthaben bei der EZB und dagegen schafft sie jetzt eine Sichteinlage, die sie dem Verkäufer der Anleihe gibt.
Dazu kam die Pandemie und man dachte: Um Gottes willen, das sackt ja alles ab. Und wenn die Wirtschaft runtergeht, dann muss ja Deflation kommen. Dann drehte man in Europa diesen Quantitive Easing Apparat noch einmal um mehrere Stufen hoch, die Amerikaner fingen ebenfalls wieder an. So wurde ein enormer Geldüberhang geschaffen, den man nicht auf den Radarschirm hatte.
Die Orientierung an der Geldmenge ist verloren gegangen. Anfang 2021 sagte sogar Jerome Powell, der Chef der US-amerikanischen Notenbank Fed, das müsse man vergessen, das sei alles nicht mehr so wichtig, das sei kalter Kaffee von früher.
Damit kam dieser Geld-Tsunami. Obwohl der Mainstream immer noch behauptet, wir würden an einer Abfolge von Zufallsschocks leiden – Pandemie, Lockdowns, der Ukrainekrieg. Eigentlich steht hinter der Inflation dieser Geld-Tsunami. Das hat die Fed, aber auch die EZB, komplett verpasst.
Habenicht: Hatte die EZB den Geld-Tsunami vielleicht deshalb nicht auf dem Radarschirm, weil sie den Prozess der Geldvermehrung durch Geschäftsbanken, den Sie ja wiederholt analysiert haben, nicht richtig verstanden haben?
Ich glaube nicht, dass sie das durchblickt haben! Also zumindest nicht auf der Ebene, wo die Entscheidungen getroffen werden, also dem Zentralbankrat. Doch das ist nicht untypisch für neukeynesianische Ökonomen.
Zum ganzen Interview geht es hier:
Aus dem Inhalt:
00:00 Der Euro hat Krebs
01:50 Die Geldmenge der EZB
05:27 Kaufkraftstabilität – das ehemalige Mandat der EZB
09:23 Verstehen Zentralbanker das Geldsystem?
14:45 Bellen die Zentralbanken den falschen Baum hoch?
16:22 „Das Inflationsgespenst“ von Thomas Mayer
20:19 EZB und FED haben komplett versagt
24:41 Falsche Anreize durch Nullzinspolitik
30:17 Modellprognosen taugen nichts!
33:52 Trennung von Staat und Geld?
39:38 Rettung des Euros möglich?
50:24 Was erwartet uns?
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