Flüchtiger Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek: „Einer muss schuld sein – ich qualifiziere mich ganz ausgezeichnet dafür“
Der flüchtige Ex-Vorstand des Münchner Finanzdienstleisters Wirecard, Jan Marsalek, hat gegen ihn erhobenen Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Bilanzskandal laut einem Zeitungsbericht nicht widersprochen.
„Ich dementiere die Vorwürfe auch nicht“, zitierte das „Handelsblatt“ am Donnerstag aus einer privaten Kommunikation Marsaleks mit einem Vertrauten über den Messengerdienst Telegram. Marsalek schrieb demnach in dem Austausch am 21. Juni: „Einer muss Schuld haben, und ich bin die naheliegende Wahl.“
Auf die Frage, ob Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun vom Absturz des Dax-Unternehmens überrascht gewesen sei, textet Marsalek demnach: „Es wäre schlimm, wenn er das nicht gewesen wäre.“ Und weiter: „Es geht zunächst mal darum, die Firma, Mitarbeiter und Kunden zu schützen. Ein vereinfachter Narrativ hilft da.“
Er betonte: „Also einer muss schuld sein – und ich qualifiziere mich ganz ausgezeichnet dafür.“ Allerdings sei er gerade schwer zu erreichen, schrieb Marsalek.
Der Aufenthaltsort des ehemaligen Wirecard-Vorstands Jan Marsalek ist weiter unbekannt. Er hatte über seinen Anwalt erklären lassen, sich nicht der Justiz stellen zu wollen. Marsalek war bei Wirecard für das operative Tagesgeschäft zuständig.
Inhaftierter Manager will kooperieren
Im Bilanzskandal will einer der wichtigsten Beschuldigten mit der Staatsanwaltschaft kooperieren. Das bestätigte der Anwalt des in Untersuchungshaft sitzenden Ex-Chefs der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East am Freitag: „Mein Mandant hat sich freiwillig dem Verfahren gestellt und steht – im Gegensatz zu anderen – zu seiner individuellen Verantwortung.“
Darüber berichtete zuerst die Nachrichtenagentur Reuters. Der Strafverteidiger betonte, dass er nicht von einem Geständnis gesprochen habe.
Die Münchner Staatsanwaltschaft wiederum erklärte, dass sie die Vernehmung weder bestätigen noch Angaben dazu machen könne. Ebenfalls kooperieren will der frühere Vorstandschef Markus Braun.
Die Cardsystems Middle East spielte eine zentrale Rolle bei den mutmaßlichen Scheingeschäften, mit denen bei Wirecard die Bilanzen um 1,9 Milliarden Euro aufgebläht wurden. Wie aus der Bilanz der Konzernmuttergesellschaft Wirecard AG für das Jahr 2018 hervorgeht, meldete dieses Unternehmen den Großteil der verbuchten Gewinne.
Von den insgesamt 45 Gesellschaften gab es demnach überhaupt nur drei, die nennenswert profitabel waren: Die Cardsystems in Dubai steuerte 237 Millionen Euro bei – mutmaßlich in Gänze oder zumindest zum allergrößten Teil erdichtet.
Diese Gesellschaft ist mittlerweile aufgelöst, über sie lief das Geschäft mit einem großen Subunternehmer namens Al Alam, der angeblich Zahlungen im Auftrag von Wirecard abwickelte, aber gar keine Lizenzen der großen Kreditkartenfirmen hatte.
Das hatte die britische „Financial Times“ im vergangenen Jahr publik gemacht. Wie aus dem öffentlich einsehbaren Handelsregister von Al Alam hervorgeht, wurde das Unternehmen 2013 eingetragen, mittlerweile ist es ebenfalls aufgelöst.
Abgesehen von den mutmaßlichen Scheingewinnen der Cardsystems wurde bei Wirecard nicht allzu viel Geld verdient: Die Wirecard Technologies, die die tatsächlich existierende Bezahlplattform des Konzerns betreibt, verbuchte 2018 einen Gewinn von 129 Millionen Euro, eine irische Tochter 62 Millionen. Die übrigen Gesellschaften inklusive der Wirecard Bank machten entweder nur sehr kleine Gewinne oder schrieben Verluste.
FDP: Wesentliche Fragen im Wirecard-Skandal weiter ungeklärt
Die FDP drängt auf weitere Aufklärung. Auch nach einer Telefonkonferenz der Obleute im Finanzausschuss des Bundestages mit Staatssekretär Jörg Kukies am Donnerstagabend blieben die wesentlichen Fragen „ungeklärt“, kritisierte der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar. „Die Darstellung des Bundesfinanzministeriums bleibt an vielen Stellen widersprüchlich oder zumindest nebulös.“
So fehle eine überzeugende Begründung, „warum die Wirecard AG nicht als Finanzholding eingestuft wurde, aber aus heutiger Sicht als solche anzusehen sein soll“, erklärte Toncar.
Es sei auch nicht erklärlich, dass das Bundesfinanzministerium und die Finanzaufsicht Bafin „angeblich seit Februar 2019 offen auch in Richtung Wirecard ermittelt haben, es aber gleichzeitig zugelassen haben, dass sich die Bilanzprüfung bei der Wirecard AG über mehr als ein Jahr hinzog“.
Wenn das Bundesfinanzministerium „die Brisanz der Vorwürfe“ erkannt und richtig eingeschätzt hätte, „hätte es alles tun müssen um die Prüfung zu beschleunigen und dafür notfalls auch die gesetzlichen Grundlagen auf den Weg bringen müssen“, erklärte der FDP-Politiker. „Dass das nicht geschehen ist, stützt eher die Vermutung, dass man im Bundesfinanzministerium die Dimension des Skandals vollkommen unterschätzt hat.“
Offen bleibe auch weiterhin, was Staatssekretär Kukies bei seinem persönlichen Treffen mit Wirecard-Vorstand Markus Braun am 5. November 2019 in Bezug auf die konkret im Raum stehenden Vorwürfe gegen Wirecard besprochen habe. „Wir wissen bisher nur, dass darüber gesprochen wurde“, erklärte Toncar.
Aus seiner Sicht sei es „hoch problematisch, wenn sich der zuständige Staatssekretär mit dem Vorstandsvorsitzenden eines Unternehmens, gegen das die Finanzaufsicht wegen Marktmanipulation und falscher Bilanzen ermittelt, über ein laufendes Verfahren ohne Zeugen und ohne Protokoll unterhält“.
Die Freien Demokraten würden nun „nochmals den Versuch unternehmen, über einen umfassenden Fragenkatalog und in einer Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestages für Aufklärung zu sorgen“, fügte Toncar hinzu.
Falls sich die offenen Punkte und Widersprüche auf diesem Wege nicht ausräumen ließen, „wäre aus unserer Sicht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sinnvoll“.
Die deutsche Öffentlichkeit, insbesondere die vielen geschädigten Anleger, hätten einen Anspruch darauf, „zu erfahren, was die Aufsicht in Sachen Wirecard wirklich unternommen hat und wie die Verantwortlichkeiten sind.“
Wirecard hatte Ende Juni Insolvenz angemeldet, nachdem das Unternehmen eingestehen musste, dass in der Bilanz aufgeführte Barmittel von 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf asiatischen Bankkonten lagen, nicht auffindbar seien.
Bafin-Präsident Felix Hufeld bezeichnete die Ereignisse als eine „Schande“ für Deutschland. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat als Konsequenz aus dem Bilanzskandal eine Reform der deutschen Finanzaufsicht angekündigt. (afp/dpa)
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