EZB vor Zinssenkung: Weichenstellung für die Eurozone erwartet
Zwei Tage vor der Sitzung des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag, 12.9., in Frankfurt am Main verdichten sich die Gerüchte um eine bevorstehende Senkung der Leitzinsen in der Eurozone. Mittlerweile gehen Fondsgesellschaften wie Vanguard und Investmentbank Goldman Sachs übereinstimmend davon aus, dass die EZB-Präsidentin eine Senkung um 25 Basispunkte verkünden wird.
Fondsgesellschaften und Banken erwarten Zinssenkung der EZB
Im Interview mit „Capital“ kündigt Vanguard-Ökonom Shaan Raithatha an:
„Die EZB wird am Donnerstag die Zinsen senken, ganz so wie es die Finanzmärkte erwarten.“
Der gleichen Erwartung gibt auch Goldman Sachs in einem Statement Ausdruck. Finanznachrichtenplattformen wie „Bloomberg“ oder der „Business Insider“ nehmen ebenfalls eine Leitzinssenkung um 0.25 Prozentpunkte vorweg. Einen solchen Schritt hatte die EZB bereits im Juni gesetzt, nachdem es zwischen Juli 2022 und September 2023 einen steilen Anstieg von 0,5 auf 4,5 Prozent gegeben hatte.
Für die USA, wo die Fed am 18.9. zusammentreten, rechnen Analysten zudem mit einem noch deutlicheren Signal in Form einer Zinssenkung um 50 Basispunkte. Der Global CIO Fixed Income bei AllianzGI, Michael Krautzberger, begründet diese Erwartung mit konjunkturellen Sorgen. Zuletzt waren zwei Arbeitsmarktberichte schlechter ausgefallen als erhofft. Daraufhin hatte es eine heftige Korrektur an den Weltbörsen gegeben.
Diese erwies sich zwar nur als kurzfristig, dennoch steigt dies- und jenseits des Atlantiks der Erwartungsdruck auf die Notenbanken, die Konjunktur nicht noch zusätzlich durch ein hohes Zinsniveau auszubremsen. Die derzeitige Zinsspanne der Fed zwischen 5,25 und 5,5 Prozent ist dabei das höchste seit 2006. Aufseiten der EZB waren die Leitzinsen zuletzt 2000 und 2007 ähnlich hoch – in beiden Fällen folgten zeitnah drastische Finanzmarktkrisen.
Inflation nähert sich Zwei-Prozent-Ziel an – Zinsniveau wirkt noch zu restriktiv
Offen bleibt, ob die erwarteten Zinssenkungen der Auftakt zu einer weiteren Serie werden und die Leitzinsen bis zum Ende des Jahres noch weitere Korrekturen nach unten erfahren. Dafür spricht, dass sich die Inflation, die man vonseiten der Notenbanken durch die drastischen Zinserhöhungen bekämpfen wollte, mittlerweile beruhigt hat.
In der Eurozone war die Teuerung im Juni 2024 bei 2,5 Prozent angelangt. Seit Oktober 2023 bewegt sie sich stabil im Zwei-Komma-Bereich und nähert sich damit dem Zwei-Prozent-Ziel an, das sie EZB langfristig für erstrebenswert hält. Im Oktober 2022 lag sie noch bei 10,6 Prozent. Analyst Krautzberger hält die derzeitigen Zinssätze angesichts dieser Entwicklung für zu restriktiv. Er geht von einer Bewegung in Richtung einer neutralen Höhe von zwei Prozent aus.
Mittlerweile geht auch Bundesbank-Chef Joachim Nagel davon aus, dass die schlimmsten Phasen der Inflation überstanden sind. Er rechnet – vorbehaltlich unerwarteter Ereignisse in der Größenordnung des Ukrainekrieges – nicht mit einer Rückkehr der Größenordnungen der vergangenen Jahre.
In den USA liegt die Teuerung derzeit noch etwas höher. Im Juli lag sie bei insgesamt 2,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat – die Kerninflation belief sich allerdings noch auf 3,2 Prozent. Sollte es trotz der erwarteten Zinssenkung im September eine Beruhigung an dieser Front geben, könnte die Fed dies als Signal für weitere Signale nach unten sehen. Es darf in diesem Kontext nicht vergessen werden, dass noch zu Beginn des Jahres Erwartungen in Richtung einer noch längeren und hartnäckigeren Inflation gegangen waren.
Liquidität und Refinanzierung im Fokus der EZB
Vorsichtiger in den Einschätzungen bezüglich des Fortgangs der Zinspolitik der EZB ist Stefan Jäger von der „Finanzmarktwelt“. Er sieht in dem am Donnerstag mutmaßlich bevorstehenden Zinsschritt vorerst nur eine Feinjustierung. Den Notenbankern sei es vorerst wichtiger, den Einlagensatz von derzeit 3,75 Prozent, den Hauptrefinanzierungssatz von 4,25 Prozent und den Spitzenrefinanzierungssatz für Notfälle von 4,5 Prozent besser aufeinander abzustimmen.
Die EZB wolle dem System überflüssige Liquidität entziehen – ein wichtiger Schritt, um einer möglichen Rückkehr der Teuerung entgegenzusteuern. Die Einlagenfazilität dient Geschäftsbanken dazu, kurzfristig nicht benötigtes Geld bei der EZB anzulegen. Zum Haupt- beziehungsweise Spitzenrefinanzierungssatz können Banken für bis zu drei Monate dort Geld leihen.
Beobachter rechnen nun damit, dass der Korridor, in dem sich die drei genannten Zinssätze bewegen, auf zwischen 3,5 und 4,0 Prozent verengt wird. Dies sei eine technische Anpassung der Zinshöhe auf die Veränderungen im Finanzsystem und in der Geldpolitik der letzten Jahre. Die Kreditaufnahme von Geschäftsbanken bei der EZB, die in der Anfangsphase der Corona-Zeit von immenser Bedeutung war, hatte anschließend kaum noch eine Rolle gespielt.
Abbau der immer stärker ausgeweiteten Bilanzsumme angestrebt
Allerdings will die EZB perspektivisch ihre Bilanzsumme wieder senken und umfangreiche Anleihebestände sowie langfristige Kredite abbauen. Seit die EZB 2015 mit großangelegten Anleihekäufen begonnen hat, habe sie – parallel zur Nullzinspolitik – über Liquidität im Überfluss verfügt. Die Tagesgeldzinsen hatten sich in dieser Zeit an den Einlagensätzen orientiert.
Bereits seit einiger Zeit reinvestiert die EZB Erlöse aus fälligen Anleihen nicht mehr. Die Hoffnung auf ein Ende der Krisenjahre veranlasst die Notenbanker dazu, Liquidität abzubauen. Längerfristig würde dies dazu führen, dass die Banken wieder verstärkt mit der Kreditaufnahme beginnen – und die Märkte volatiler werden. Die nunmehrigen Zinsschritte sollten die Entwicklung vorwegnehmen. Durch eine Verengung des Korridors soll Stabilität durch eine Minimierung von Schwankungen gewährleistet werden.
Der Schritt bewirkt eine Verringerung der Spanne zwischen den Zinssätzen, zu denen sich Banken bei der EZB Geld leihen und jenen, zu denen sie diese bei ihr parken können. Keine Bank würde im Austausch mit ihren Konkurrenten weniger als den Einlagensatz akzeptieren oder mehr als den Hauptrefinanzierungssatz für Geld bezahlen. Im Ergebnis würde sich auch die Bandbreite bezüglich der Höhe der Tagesgeldzinsen verringern.
Kreditmärkte und die Rolle der Banken: Wie sich die Zinspolitik auswirken könnte
Diese werden infolge der zu erwartenden Zinssenkungsbewegungen tendenziell wieder nach unten gehen. Dies kann schnell gehen. Der Umstand, dass Festgeld derzeit häufig schlechter verzinst ist als Tagesgeld, unterstreicht die Vermutung des Marktes, dass es mit den Zinsen dauerhaft abwärtsgeht. Ungewiss bleibt, wie schnell sich die zu erwartende Entwicklung auf das Kreditwesen insgesamt auswirken wird. Beobachter rechnen mit einer verzögerten Anpassung vonseiten der Banken – und entsprechend nur geringen unmittelbaren Auswirkungen auf die Kreditmärkte.
Es ist noch keine eindeutige Entscheidung gefallen, wie stark die EZB künftig exakt zu einer Begrenzung der Liquidität beitragen will. Derzeit ist der diesbezügliche Überschuss mit nach wie vor mehr als drei Billionen Euro nach wie vor deutlich höher als vor Corona (etwa 1,7 Billionen Euro). Allerdings senkt die Möglichkeit der Banken, sich zu günstigeren Zinsen Geld bei der EZB zu beschaffen, auch ihre eigenen Kosten für eine Kreditvergabe. Dies könnte schrittweise zu einer Belebung in diesem Bereich führen.
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