EZB reagiert auf Inflation: Wie weit geht die Zinswende?
Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöht die Zinsen im Euroraum weiter. Wie angekündigt wird der Leitzinssatz um 0,5 Prozent auf 3,5 Prozent angehoben. Wichtiger als der Leitzins ist im Moment der Zins, den Banken für ihre Einlagen bei der EZB bekommen. Dieser steigt von 2,5 auf nun drei Prozent. Das hat am Donnerstag der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) beschlossen.
Die Anhebung des Leitzinssatzes kam in dieser Höhe nicht überraschend. Marktbeobachter und Investoren hatten genau mit diesem Zinsschritt gerechnet. EZB-Chefin Christine Lagarde hatte diesen Schritt auch schon im Vorfeld so signalisiert.
Turbulenzen im Bankensektor haben Umfeld verändert
Allerdings herrschte zum Schluss doch eine große Unsicherheit, ob die EZB den im Vorfeld angekündigten Zinsschritt auch wirklich durchzieht. Mit der Pleite der Silicon Valley Bank und den Turbulenzen im Bankensektor hat sich das Umfeld dramatisch verändert. Daher waren im Vorfeld immer auch Stimmen laut geworden, die darauf spekulierten, dass der Zinsanstieg dieses Mal nicht so stark ausfallen würde. Die EZB ließ sich nun aber offenbar nicht beirren und fährt ihren Kurs der Inflationsbekämpfung weiter.
Seit Juli 2022 wurden die Leitzinsen um insgesamt 300 Basispunkte angehoben. Damit möchte die Zentralbank mittelfristig die Inflation auf um die zwei Prozent zurückdrängen.
EZB hat Lage im Blick
Der eingeschlagene Kurs der EZB scheint auch in den kommenden Monaten beibehalten zu werden. Zumindest legt das das Pressestatement von Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, nach der Zinsentscheidung nahe. Lagarde war sichtlich bemüht, Normalität zu suggerieren und die nervösen Finanzmärkte zu beruhigen. Die Märkte hatten darauf gehofft, dass die Zentralbank das Tempo in ihrer Zinspolitik drosseln würde. Sie erinnerten sich noch gut an den Anfang des letzten Jahres: Die Inflation war längst da. Die EZB versuchte das Problem aber lange Zeit herunterzuspielen. Erst im Juni reagierte die Bank dann mit einer ersten Zinserhöhung.
Man habe die Entwicklungen am Finanzmarkt genau im Blick, versicherte Lagarde auf der Pressekonferenz. „Der Bankensektor des Euroraums ist widerstandsfähig: Kapital- und Liquiditätspositionen sind solide“, so die EZB-Präsidentin weiter. In jedem Fall verfüge man über alle geldpolitischen Instrumente, um das Finanzsystem des Euroraums erforderlichenfalls mit Liquiditätshilfen zu unterstützen und die reibungslose Transmission der Geldpolitik aufrechtzuerhalten.
Weltwirtschaft könnte Wachstum im Euroraum dämpfen
Für die Zukunft sieht EZB-Präsidentin Lagarde durchaus Risiken. Bei den Aussichten für das Wirtschaftswachstum seien die Risiken aber insgesamt abwärtsgerichtet. Dauerhaft erhöhte Spannungen an den Finanzmärkten könnten die allgemeinen Kreditbedingungen deutlicher als erwartet verschärfen und das Vertrauen dämpfen. Der Ukraine-Krieg stelle nach wie vor ein erhebliches Abwärtsrisiko für die Wirtschaft dar. „Er könnte die Kosten für Energie und Nahrungsmittel erneut in die Höhe treiben“, so Lagarde. „Sollte sich die Weltwirtschaft deutlicher als erwartet abschwächen, könnte dies das Wachstum im Euroraum zusätzlich belasten.“
„Passen sich die Unternehmen jedoch rascher an das schwierige internationale Umfeld an, könnte dies zusammen mit dem Abklingen des Energieschocks zu einem höheren Wachstum beitragen als derzeit erwartet“, so die Prognose der EZB-Präsidentin.
Inflation für eine lange Zeit zu hoch
Abermals betonte Christine Lagarde das Ziel der Zentralbank, die Inflation mittelfristig auf zwei Prozent herunterzudrücken. Von diesem Ziel ist die EZB im Moment aber immer noch weit entfernt. Die EZB-Präsidentin betonte in ihrem Pressestatement, dass die Inflation für eine lange Zeit zu hoch bleibe. „Wir beobachten die aktuellen Marktspannungen genau und sind bereit, so zu reagieren wie erforderlich, um Preis- und Finanzstabilität im Euroraum zu wahren“, so die oberste europäische Notenbankerin.
Chefvolkswirt der Commerzbank erwartet kleinere Zinsschritte bis Sommer
Die Experten beurteilen die Entscheidung der EZB vom Donnerstag durchaus unterschiedlich. So kommentiert der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, laut dem Finanzportal „Finanzmarktwelt“ die EZB-Entscheidung zum Anheben des Leitzinssatzes durchaus zustimmend. „Die EZB hatte zwar auf ihrer Februar-Sitzung Zinserhöhungen um 50 Basispunkte angekündigt. Aber mit Blick auf die Marktturbulenzen war es nicht selbstverständlich, dass die EZB das tatsächlich tun würde – und laut Präsidentin Lagarde sogar mit einer großen Mehrheit. Dagegen hatte der Markt heute Morgen eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte nicht mehr eingepreist“, so Krämer als Reaktion auf die Zinsentscheidung.
Statt das Zinserhöhungstempo zu drosseln, habe die EZB in ihrem Kommuniqué die starken Eigenkapital- und Liquiditätspositionen der Euroraum-Banken betont. Für den Fall der Fälle habe sie rasche Liquiditätshilfen in Aussicht gestellt. „Sie bekämpft die beiden Probleme Preisstabilität und Finanzstabilität also mit zwei getrennten Instrumenten, um einen Zielkonflikt zu vermeiden“, so der Commerzbank-Chefvolkswirt.
Für diesen Kurs gäbe es auch gute Gründe. „Schließlich hat sich an dem tiefsitzenden Inflationsproblem bislang nichts geändert, zumal sich der Lohnanstieg zuletzt deutlich beschleunigt hat.“ Die EZB habe daher ihre Prognose für die Kerninflation in diesem Jahr von 4,2 auf 4,6 Prozent erhöht und erwarte für das Ende des Prognosehorizonts mit 2,2 Prozent noch immer eine Rate über ihrem Inflationsziel, auch wenn sie ihre Prognose etwas gesenkt habe.
In die Zukunft schauend, erwartet Krämer für den Sommer eine Anhebung des Einlagezinssatzes der EZB von drei Prozent auf 3,5 Prozent. Für die kommenden beiden Sitzungen der Europäischen Zentralbank erwartet der Chefvolkswirt eine Anhebung des Basiszinssatzes um jeweils 25 Basispunkte.
Degussa-Chefvolkswirt: Letzter Schritt im „Zinserhöhungszyklus“
Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa, schließt in seiner Reaktion auf die EZB-Entscheidung allerdings weitere Zinserhöhungen für die Zukunft aus. Er befürchtet, dass die Entscheidungen der EZB sich an den aktuellen Inflationsentwicklungen orientiere und nicht an der Geldmengenausweitung. Der Ökonom verweist darauf, dass die Geldmengenausweitung, nicht die aktuelle Inflation, für die künftige Inflation verantwortlich sei. „Zwar gibt es im Euroraum noch ein Geldmengenüberhang, der für Preisauftrieb sorgt. Aber dieser Geldmengenüberhang, der sich ohnehin nicht mehr aus der Welt schaffen lässt, wird bereits rasch abgebaut durch steigende Güterpreise und ein nachlassendes nominales Geldmengenwachstum“, so Polleit.
Damit würde die reale Geldmenge im Euroraum schrumpfen. Das würde Rezessionssignale für den Euroraum senden. „Das Bankenkreditwachstum ist in realer Rechnung ebenfalls im negativen Territorium, und auch das signalisiert eine massive Verschärfung der Geldpolitik, die schon jetzt die künftige Inflation stark nach unten treiben wird“, so der Degussa-Chefvolkswirt. Zudem lassen die Turbulenzen im US-Bankenmarkt dunkle Wolken aufziehen, denen sich die Banken im Euroraum nicht entziehen können. Das zeige der 20-Prozent-Rückgang der Euro-Bankaktienkurse nach Bekanntwerden der Turbulenzen am US-Bankenmarkt.
Der am Donnerstag beschlossene Zinsschritt könnte der letzte Schritt in dem „Zinserhöhungszyklus“ sein. Polleit erwartet, dass die Zinserhöhungen der letzten Ratssitzungen der EZB relativ schnell wieder rückgängig gemacht werden könnten. „Die Geldpolitik dies- und jenseits des Atlantiks ist bereits viel restriktiver, als viele Marktbeobachter und Zentralbankräte zu vermuten scheinen.“ Die reale, daher inflationsbereinigte Geldmenge schrumpfe mit sehr hohen Raten. Das zeige auf Konjunkturverlangsamung, wenn nicht gar Rezession und einen starken Abwärtsdruck auf die Güterpreisinflation.
Gedrosselte Inflationsbekämpfung erwartbar
Auch Sandra Holdsworth, Head of Rates bei Aegon AM, erwartet eine zukünftige Verlangsamung des Tempos bei den Zinserhöhungen durch die EZB. Die Zinssätze seien nun um 3,5 Prozent gegenüber ihrem Tiefstand vom letzten Sommer gestiegen, da die EZB das aktuelle Inflationsproblem in Angriff nehme. „Die EZB hat das Tempo der quantitativen Anhebung beibehalten und in ihrer Erklärung keine Hinweise dafür gegeben, dass weitere Erhöhungen wahrscheinlich sind“, so kommentiert Holdsworth die aktuelle EZB-Entscheidung.
Die Märkte fragen sich laut Sandra Holdsworth indessen, ob die Zinssätze in der Eurozone kurz vor ihrem Höchststand stehen? Bis vor einigen Wochen sei man davon ausgegangen, dass die Zinssätze am Ende bei über vier Prozent liegen würden. „Angesichts der derzeitigen Volatilität an den Märkten scheint es wahrscheinlich, dass das Tempo weiterer Erhöhungen trotz der derzeit hohen Inflation langsamer sein wird als bisher angenommen.“, so Sandra Holdsworth.
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