Evergrande-Auflösung kann Chinas Immobiliensektor nicht retten
Die Auflösung der Evergrande-Gruppe (恆大集團) durch ein Hongkonger Gericht könnte laut Experten als Beispiel dafür dienen, wie der überhitzte chinesische Immobilienmarkt restrukturiert werden kann und dabei die Interessen der ausländischen Gläubiger gewahrt werden können.
Der anfängliche Optimismus, dass ein Aufräumen mit dem Bauriesen Peking bei der Eindämmung der sich verschärfenden Krise hilft, weicht jedoch allmählich einem ernüchternden Realitätscheck: Die Liquidierung von Evergrande könnte das Vertrauen in Chinas Immobilien- und Kapitalmärkte weiter untergraben.
„Die Entscheidung wirkt sich negativ auf die Kreditwürdigkeit des gesamten Immobiliensektors aus, da sie die bereits fragile Stimmung unter Anlegern und auf dem Markt schwächen [und] wahrscheinlich die Entscheidungen von Käufern einer Wohnimmobilie zeitnah beeinflussen wird“, so Moody’s in einem Bericht vom 30. Januar, der der Epoch Times vorliegt.
Ferner hat Evergrande mehr Gläubiger im Inland mit höherer Forderungspriorität, was dazu führt, dass die Auszahlung von Gläubigern im Ausland nicht garantiert ist.
Aufgrund der komplizierten Organisationsstruktur von Evergrande mit mehreren Tochtergesellschaften im ganzen Land wird die Umsetzung der Anordnung des Gerichts in Hongkong daher schwieriger sein.
„Insgesamt erwarten wir, dass die Liquidation Zeit in Anspruch nehmen wird“, heißt es in der Notiz von Moody’s.
Hintergrund
Das Hongkonger Gericht hat die Liquidation angeordnet, nachdem der angeschlagene chinesische Immobilienriese und seine internationalen Gläubiger trotz 19-monatiger Verhandlungen keine Einigung über die Umstrukturierung seiner Schulden in Höhe von über 330 Milliarden US-Dollar erzielen konnten.
Evergrande, das Aushängeschild der chinesischen Immobilienkrise, geriet im Jahr 2021 in Zahlungsverzug. Damit einher gingen Ängste, dass die chinesische Wirtschaft, die immer noch unter den Folgen leidet, dadurch weiter in Schwierigkeiten geraten könnte.
Die Gesamtverbindlichkeiten des Konzerns beliefen sich Ende Juni letzten Jahres auf 2,39 Billionen Yuan (rund 333 Milliarden US-Dollar). Im Jahr 2023 meldete er in New York Konkurs an.
Einem Gerichtsdokument aus Hongkong zufolge haben ausländische Gläubiger 25 Milliarden US-Dollar Schulden. Einer von ihnen, Top Shine Global, reichte im Juni 2022 in Hongkong eine Liquidationsklage gegen Evergrande ein, um einen Teil seiner Verluste auszugleichen.
Doch auch nach monatelangem Ringen konnte sich Evergrande nicht mit den Gläubigern einigen, und sein Gründer Hui Ka-yan wurde schließlich im September letzten Jahres von den chinesischen Behörden wegen des Verdachts auf kriminelle Aktivitäten festgenommen.
„Die Liquidation von Evergrande ist daher im breiteren Kontext notwendig, um die Ungleichgewichte im chinesischen Immobiliensektor zu beseitigen“, schrieb Diana Choyleva, Gründerin und Chefvolkswirtin von Enodo Economics, in einem LinkedIn-Post.
In Anbetracht der Tatsache, dass Hongkong und einige Regionen Chinas ein gegenseitiges Abkommen über Konkurs und Umstrukturierung haben, könnte diese Entscheidung den Insolvenzverwaltern theoretisch erlauben, zu versuchen, die Kontrolle über einige Evergrande-Vermögenswerte in Festlandchina zu übernehmen.
Potenzielle Gefahr für die chinesische Wirtschaft
Die Evergrande Group ist einer von vielen chinesischen Bauträgern, die seit 2020 aufgrund des staatlichen Drucks zur Eindämmung der steigenden Verschuldung gescheitert sind. Peking sieht sie als Gefahr für die schleppende wirtschaftliche Entwicklung Chinas an.
Berichten zufolge müssen chinesische Bauträger in diesem Jahr fällige Schulden in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar zurückzahlen, während die Finanzbehörden der lokalen Regierungen – die sogenannten Local Government Finance Vehicles – 650 Bauträgern schulden.
Das Gerichtsurteil könnte auch Folgen für andere Bauträger haben, die sich noch mitten in langwierigen Umstrukturierungsgesprächen mit Gläubigern im Ausland befinden.
Brock Silvers, Chief Investment Officer der Hongkonger Private-Equity-Gruppe Kaiyuan Capital, schrieb in einem LinkedIn-Post: „Die Anerkennung der Befugnisse des Insolvenzverwalters von Evergrande auf dem [chinesischen] Festland wäre von großer Bedeutung [und] ein echter Durchbruch. Sagen wir einfach, ich sehe das bis jetzt bislang nicht.“
Silvers ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Gerichts „eine schlechte Nachricht für alle Beteiligten und ein weiterer Schlag für das Vertrauen in die chinesischen Kapitalmärkte“ ist. Die Abwicklung sei ein mehrjähriger, sehr kostspieliger Prozess, der wahrscheinlich zu keiner nennenswerten Erholung führen wird.
Angesichts der schwachen Konjunktur in Peking, des schlechtesten Immobilienmarkts seit neun Jahren und des Aktienmarkts, der sich auf einem Fünfjahrestief befindet, könnte jeder weitere Vertrauensverlust für die Anleger die Schwierigkeiten verschärfen, mit denen Chinas Politiker bei ihren Bemühungen um eine Wiederbelebung des Wachstums bereits konfrontiert sind, meinen Experten.
Lange Talfahrt
Für die chinesischen Aktien, die im vergangenen Jahr und auch im neuen Jahr eine lange Talfahrt hinter sich hatten, sieht es nach wie vor nicht gut aus.
Nach Angaben von Bloomberg wurde der chinesische Kapitalmarkt auf seinem Höchststand im Dezember 2021 mit 13 Billionen US-Dollar bewertet, ist aber seitdem um ein Drittel geschrumpft und hat in diesem Jahr bereits mehr als eine Billion US-Dollar an Gesamtkapitalisierung eingebüßt.
Berichten zufolge hat der chinesische Vizepremier He Lifeng am 29. Januar dazu aufgerufen, börsennotierte Unternehmen stärker zu unterstützen, um die Märkte zu stabilisieren.
Unterdessen warnte Moody’s, dass Chinas langsames Wachstum und der disinflationäre Druck anhalten könnten, wenn sich die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Probleme verschlechtern. Disinflation bezeichnet eine Verminderung der Inflation, jedoch nicht ein Sinken des Preisniveaus (Deflation).
„Strukturelle wirtschaftliche Probleme und die Verlangsamung des Wachstums könnten, wenn sie nicht in den Griff zu bekommen sind, zu einer längeren disinflationären oder deflationären Phase führen“, so die Agentur in einer Kundenmitteilung.
Zu diesen strukturellen Problemen gehören Überkapazitäten in der Industrie, gedämpfte Investitionen in der Industrie, der anhaltende Abschwung im Immobiliensektor und die Herausforderungen bei der Förderung alternativer Wachstumsmotoren.
„Eine strukturelle Deflation würde die Kosten der Schuldenlast erhöhen, den Konsum und die Investitionsstimmung schwächen und die Gesamtnachfrage weiter verringern, was sich negativ auf die Kreditwürdigkeit des Staates auswirken würde“, heißt es in der Mitteilung.
Wenn Chinas Reformen diese Herausforderungen nicht angemessen angehen, könnte das Land eine anhaltende Disinflation oder sogar Deflation erleben, warnte Moody’s.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Liquidating Evergrande: Sobering Reality Hits China’s Property Sector.“ (deutsche Bearbeitung nh)
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