„Ever Given“ quer im Suezkanal – Täglich Waren von 9,6 Mrd. Dollar betroffen
Die Blockade des Suezkanals wegen des Containerschiffs „Ever Given“ könnte Tage oder gar Wochen andauern. Die Kanalbehörde erklärte offiziell, die Durchfahrt sei „temporär ausgesetzt“. Bisher stauen sich mehr als 280 Schiffe auf beiden Seiten, insgesamt warten ca. 35 Öltanker im Süden des Kanals.
Nick Sloane, der Bergungsmeister, der für die Hebung der Costa Concordia, dem 2012 an der italienischen Küste gekenterten Kreuzfahrtschiff, verantwortlich war, sagte, dass die beste Chance, das Schiff zu befreien, möglicherweise erst am Sonntag oder Montag (28./29. März) besteht, wenn die Flut ihren Höhepunkt erreicht.
Laut unbestätigten Informationen wurde die „Ever Given“ etwas zur Seite bewegt. Auf Instagram ist ein Bild zu sehen, welches zeigt, dass das Schiff nicht mehr so weit im Ufer steckt (hier weitere Bilder).
Jeden Tag fließen nach Schätzungen von Llyod’s List Waren im Wert von 9,6 Milliarden Dollar durch den Kanal. Obwohl es sich dabei lediglich um „grobe Berechnungen“ handelt, bedeute dies Werte von 400 Millionen Dollar – pro Stunde, wie Fleetmon.com titelte.
Lloyd’s List Intelligence geht bei seinen „groben Berechnungen“ davon aus, dass der westgehende Verkehr im Kanal einen Wert von etwa 5,1 Milliarden Dollar täglich hat, während der ostgehende Verkehr etwa 4,5 Milliarden Dollar wert ist.
Was die von Lloyds List errechnete Zahl von 9,6 Milliarden Dollar betrifft, so erklärte Lars Jensen, CEO von Sea Intelligence Consulting, gegenüber „Forbes“, dass dieser Wert wahrscheinlich den „Wert der Güter widerspiegelt, die jeden Tag durch den Kanal bewegt werden – und dieser Wert ist natürlich nicht verloren. Die Ladung wird einfach vorerst verzögert.“
Die Höhe des tatsächlichen Verlustes sei „viel schwieriger“ zu beurteilen: „Wenn sich die Fracht um zwei Tage verzögert, welchen Wert hat das?“ Global kommen im Schnitt durch COVID-19 „zwei von drei Schiffen nicht pünktlich an, und wenn sie sich verspäten, sind sie im Durchschnitt fünf Tage zu spät. Daher fügt sich eine zweitägige Verspätung für einige Containerschiffe im Suez jetzt einfach in diesen Kontext ein und ist sehr schwer zu quantifizieren.“
S&P Global Market Intelligence teilte Forbes mit, dass sie die Schätzung von Lloyds nicht bestätigen können und auch keine eigene Zahl erstellt haben.
Durch den Suezkanal liefen im Vorjahr mehr als eine Milliarde Tonne Fracht auf fast 19.000 Schiffen – zwölf Prozent des globalen Frachtvolumens. Etwa 30 Prozent des weltweiten Containervolumens wird durch dieses Nadelöhr verfrachtet. Ein Problem können Fertigungsteile aus China sein, die von Europa bestellt wurden und so nicht durchkommen.
Alternative Route: 17 Tage
Die deutsche Reederei Hapag-Lloyd teilte mit, von der Blockade des Kanals seien derzeit fünf Schiffe des Unternehmens betroffen. Geprüft wird demnach nun auch die Option, die Schiffe um das Kap der Guten Hoffnung umzuleiten.
Weil die wichtige Handelsroute nicht benutzt werden kann und die alternative Route um das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika sehr viel länger ist (8.000 Seemeilen, 17 Tage), stieg zeitweilig der Ölpreis, der am Donnerstag aber wieder nachgab.
Öl-Supertanker mit über 450 Meter Länge fahren auf Grund ihrer Größe nicht durch den Kanal, sondern regulär um das Kap der Guten Hoffnung. Aktuell scheint warten oder anstellen immer noch die bessere Option zu sein, als 8.000 Seemeilen Umweg (inklusive Kosten in Zeit und Treibstoff) in Kauf zunehmen.
Wochenlange Probleme erwartet
Der Eigentümer, die japanische Leasingfirma Shoei Kisen Kaisha, teilte am Donnerstag mit, es sei „extrem schwierig“, das 400 Meter lange und 59 Meter breite Schiff wieder flott zu bekommen.
Shoei Kisen Kaisha erklärt, dass das Unternehmen zusammen mit der Firma Bernhard Schulte Shipmanagement (BSM) versuche, „das Schiff wieder flott zu bekommen, aber wir stehen vor extremen Schwierigkeiten“. Die japanische Firma entschuldigte sich für den „großen Ärger“, den der Unfall verursacht hat.
„Ein gestrandeter Wal“
Die Kanalverwaltung entsandte mehrere Schlepper zur „Ever Given“, die mit ihrer Ladung auf dem Weg nach Rotterdam war, als sie im Suezkanal festlief und den Kanal in Diagonalstellung vollständig abriegelte. Ein neuer Bagger zur Unterstützung der Arbeiten sei unterwegs, hieß es am Donnerstag.
Auch ein Team der niederländischen Spezialfirma Smit Salvage machte sich auf den Weg, wie der Chef der Mutterfirma Boskalis sagte. „Das ist, könnte man sagen, ein gestrandeter Wal“, beschrieb Peter Berdowski im niederländischen Sender Nieuwsuur die Lage.
Die „Ever Given“ wieder flott zu bekommen, könne „Tage oder Wochen dauern“. Selbst anschließend erwarten Logistiker wochenlange Probleme, nicht nur in den europäischen Häfen.
Sollte es nicht gelingen, den Containerriesen mit Hilfe von Schleppern wieder flottzumachen, müsse ein Teil der Ladung mit Kränen vom Schiff geholt werden, erklärte die Firma Braemar, spezialisiert auf Dienstleistungen für die Schifffahrt. Auch Braemar geht davon aus, dass dies Tage, vielleicht Wochen dauern könnte.
Exakte Ursache unklar
Die 25 Besatzungsmitglieder der „Ever Given“ seien in Sicherheit, erklärte die Firma BSM in Singapur, die für das technische Management des Container-Schiffs verantwortlich ist. Es gebe keine Umweltverschmutzung und keinen Schaden an der Fracht.
Kapitän John Konrad, ehemaliger Supertanker-Kapitän und Betreiber des Bloggs gCaptain.com sprach in einem Video von mögliche Ursachen.
Dazu gehören neben dem Sandsturm, einschließlich plötzlich schlechter Sicht und starker Winde, auch Maschinenschäden oder Stromausfall. Möglicherweise war das Schiff zu schnell (13 statt der erlaubten acht Knoten). Wegen der Corona-Bestimmungen dürfen viele Crews in den Häfen nicht von Bord, was ebenfalls zu Fehlern auf Grund von Müdigkeit oder Stress führen kann. Die exakte Ursache bleibt abzuwarten.
Der Frachter „Ever Given“ fährt nach Informationen des Schiffsradars vesselfinder.com unter der Flagge Panamas. Er sei aus China gekommen und auf dem Weg nach Rotterdam in den Niederlanden. Nach Expertenangaben gehört er zu den größten Containerschiffen der Welt.
Die Kanalverwaltung hat in über 100 Jahren keine ähnliche Havarie gesehen. Die „CSCL Indian Ocean“ (nur unwesentlich kleiner) steckte in der Elbe immerhin fünf Tage fest. Bei einem anderen Vorfall im Suezkanal lief die 21.000 TEU OOCL Japan 2017 nach einem mechanischen Defekt auf Grund, konnte aber innerhalb weniger Stunden wieder flott gemacht werden und die Auswirkungen waren minimal.
Der 1869 eröffnete Suezkanal verkürzt die Handelsverbindung zwischen Asien und Europa.
Ägypten erzielte aus den Durchfahrtsrechten durch den Suezkanal im vergangenen Jahr einen Erlös von umgerechnet 4,2 Milliarden Euro. 2020 passierten fast 19.000 Schiffe die Wasserstraße. Der Suezkanal ist für Schiffe bis 70 Meter Breite und für einen maximalen Tiefgang von 20 Meter zugelassen.
Der Suezkanal war schon mehrfach gesperrt – etwa in der Suez-Krise 1956, nachdem Ägypten den Kanal verstaatlicht hatte und deshalb von Israel, Großbritannien und Frankreich angegriffen worden war.
Infolge des Sechs-Tage-Krieges zwischen Israel und Ägypten blockierte Kairo den Kanal von Anfang Juni 1967 bis Juni 1975. 2018 musste der Kanal nach einer Schiffskollision kurzzeitig geschlossen werden.
(Mit Material von afp/dts)
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