Energiekrise kostet jeden Bürger 2.600 Euro im Jahr – Rückkehr zum russischen Gas?

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung beziffert den durchschnittlichen Verlust jedes deutschen Bürgers durch die Energiekrise auf jährlich 2.600 Euro. Im Einklang mit der Bundesregierung sieht sie den Ukrainekrieg als den einzigen Grund für die Preisexplosion. Dennoch bleiben Zweifel.
Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream in Lubmin.
Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream in Lubmin.Foto: Stefan Sauer/dpa
Von 18. April 2024

Die Energiekrise hat Deutschland bis dato fünf Prozent seines BIP gekostet. Dies geht aus einer jüngst veröffentlichten Studie der Hans-Böckler-Stiftung im Auftrag des ARD-Magazins „Panorama“ hervor. Pro Kopf verliert jeder Deutsche dadurch im Jahr 2.600 Euro.

Wie der Studienautor, der Wirtschaftswissenschaftler Sebastian Dullien, weiter ausführt, liegt der Durchschnitt der Pro-Kopf-Verluste in der EU mit etwa 880 Euro deutlich unter diesem Wert. Während in Schweden von 1.700 Euro auszugehen ist, die der Durchschnittsverbraucher weniger in der Tasche habe, seien es in Italien lediglich 230 Euro.

Großer Industriesektor trägt zu deutscher Betroffenheit besonders stark bei

Dem NDR zufolge hatte Dullien die Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Herbst 2021 über die BIP-Entwicklung der Folgejahre herangezogen. Diese verglich er mit der aktuellen Schätzung für das Jahr 2024.

Im Kern sei, so das Ergebnis der Studie, der Ukrainekrieg der wesentliche Faktor für die Preisexplosion im deutschen Energiesektor, die Haushalte und Unternehmen belastet. Diese habe sich besonders stark bemerkbar gemacht, weil der Industriesektor in Deutschland so groß sei.

Der Bundesregierung könne man allenfalls den Vorwurf machen, zu spät in die Gasmärkte eingegriffen zu haben.

Von AfD und BSW geforderte Rückkehr zu Energiepartner Russland sinnvoll?

Die Kernaussage der Studie besteht darin, dass es keine Option für die deutsche Wirtschaft und die Verbraucher wäre, zur Energiepartnerschaft mit der Russischen Föderation zurückzukehren. Mit der AfD und dem BSW fordern zwei im Bundestag vertretene Parteien einen solchen Schritt.

Die Studie verweist unter anderem auf die Gaspreise in Österreich, die ebenfalls im Laufe der vergangenen Jahre gestiegen seien. Diese seien zurzeit sogar höher als jene in Deutschland – obwohl immer noch mehr als 80 Prozent aus Russland stammten.

Österreich Spitzenreiter bei Gaspreisen

Das „Handelsblatt“ führte die hohen Gaspreise im Nachbarland demgegenüber auf den Ausstieg von russischen Gaslieferungen zurück. Die grüne Energieministerin Leonore Gewessler hatte jüngst Pläne vorgestellt, wie die Alpenrepublik bis 2028 aus russischem Gas aussteigen könnte. Tatsache ist, dass die deutschen Gasumlagen, die seit dem 1. Januar 2024 erhoben werden, den „Gasimport über alternative Routen erschweren“, wie die österreichische Regierung dargelegt hat.

Zudem ist im Fall russischer Gaslieferungen nach Österreich über eine durch die Ukraine verlaufende Pipeline auch von einem Risikoaufschlag auszugehen, der die Preise beeinflusst. Generell ist auch ein stärker monopolisierter und von geringerem Wettbewerb geprägter Gasmarkt in Österreich ein Faktor für einen höheren Gaspreis, schreibt der „Standard“.

Strom war bereits in den 2010er-Jahren im EU-Vergleich teuer

Fest steht, dass der Krieg in der Ukraine zumindest kurzfristig zu einer Explosion der Energiepreise geführt hatte. Alles andere ist spekulativ: Wie hätte ein Unterbleiben der politischen Entscheidung Deutschlands und der EU, im Laufe der 2010er-Jahre zunehmend auf Konfrontationskurs zu Russland zu gehen, Preise und Versorgung beeinflusst? Wie hätten diese sich entwickelt, hätte man den Staatsstreich 2013 in der Ukraine nicht unterstützt?

Zu den explodierenden Preisen hatte jedenfalls der Entschluss beigetragen, einen vollständigen Bruch mit Russland in der Energieversorgung zu vollziehen. Spätestens im Augenblick der Eskalation in der Ukraine im Februar 2022 war eine Suche nach anderen Versorgern unabdingbar. Es war von da an eindeutig, dass der Kreml die Abhängigkeit von dortigen Gaslieferungen zu nutzen versuchte, um eine Preisgabe der deutschen und europäischen Parteilichkeit in der Ukraine-Politik zu erzwingen.

Was sich jedoch unabhängig von der geopolitischen Lage und der Russlandpolitik seit Mitte der 2000er-Jahre abzeichnete, war, dass die Energiekosten in Deutschland bereits zuvor im EU-Spitzenfeld gelegen hatten. Der Gaspreis blieb dabei – nicht zuletzt infolge der langfristigen Vereinbarungen der Schröder-Ära – verhältnismäßig stabil. Selbst die Ukrainekrise seit 2013 hatte zu Beginn noch keine Energiekrise ausgelöst.

Im Jahr 2005 lag der Gaspreis für Privathaushalte in Deutschland bei einem Gasverbrauch von 20.000 Kilowattstunden bei 1.079 Euro. Im Jahr 2019 lag er mit 1.212 Euro nur unwesentlich darüber. In den dazwischenliegenden Jahren stieg er nie über 1.433 Euro – das war der vorübergehende Höchstpreis im Jahr 2008.

Wenn Ukrainekrieg Auslöser der Energiekrise ist: Was hat den Strompreis getrieben?

Im Jahr 2022 musste der 20.000-Kilowattstunden-Haushalt 3.205 Euro für Gas bezahlen. Im Jahr danach ging der Preis auf 2.613 Euro zurück – und damit fast auf das Doppelte des vorherigen Rekordwerts. Auch der auf der Grundlage bisheriger Zahlen für 2024 zu erwartende Durchschnittspreis liegt mit 2.033 Euro über dem Standard der 2000er- und 2010er-Jahre.

Die Entwicklung des Gaspreises ist jedoch nicht der einzige Faktor, der die deutschen Energiepreise getrieben hat. Anders als die zwischen Schröder-Ära und Ukrainekrieg 2022 stabile Lage auf dem Gasmarkt kannte der Strompreis seit Beginn der 2010er-Jahre nur eine Richtung – nämlich deutlich aufwärts.

Den Verivox-Vergleichsdaten zufolge lag der durchschnittliche Strompreis bei einem Jahresverbrauch von 4.000 Kilowattstunden im August 2005 bei 18,69 Cent. Mit bereits 28,24 Cent erreichte er im Mai 2013 ein Zwischenhoch, seither fiel er nie wieder unter 27 Cent.

Selbst wenn man den Ausbruch in einem Bereich jenseits der 40 Cent ab Januar 2022 kausal dem Ukrainekrieg zuschreibt, war insgesamt bereits seit Mitte der 2010er-Jahre ein spürbarer Anstieg der Energiepreise insgesamt zu verzeichnen.

Mit Russland hatte die Strompreisentwicklung allenfalls indirekt etwas zu tun, wie RWE-Chef Markus Krebber andeutete. Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte ihre ambitionierte und von einem abrupten Atomausstieg begleitete Energiewende über die günstige Versorgung via Nord Stream abfedern.

Dullien: Russland wäre „kein verlässlicher Energiepartner mehr“

Der Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge ist der Ausbruch der Energiepreise hingegen lediglich ein vorübergehender Transformationsschock gewesen. Mittlerweile sei aufgrund neuer Lieferanten wieder eine Normalisierung eingetreten – wenn auch auf noch höherem Preisniveau.

Professor Dullien warnt nun vor Forderungen, wie sie die AfD und das BSW aufstellen, die Energiepartnerschaft mit Russland aus der Schröder-Ära zu erneuern. Dies könne dem Standort schaden, weil „Russland kein verlässlicher Partner für Gaslieferungen“ mehr sei. Sollte Deutschland wieder größere Mengen Gas aus Russland importieren, könne dies sogar Unternehmen dazu veranlassen, nicht mehr in Deutschland zu investieren.

Die These, wonach Russland kein verlässlicher Energiepartner sei, kann sich unterdessen maximal auf die Eskalationssituation des Jahres 2022 stützen. Zuvor hatte selbst der Kalte Krieg keine Beeinträchtigung der Lieferbeziehungen zur Folge gehabt. Der Beginn der Energiepartnerschaft mit der damaligen Sowjetunion datiert auf den Erdgas-Röhren-Vertrag vom 1. Februar 1970.

Auf Anfrage der Hans-Böckler-Stiftung erklärten sowohl die AfD als auch das BSW, an ihrer Position zur Wiederaufnahme der Energiebeziehungen zu Russland festhalten zu wollen.

Ignorieren von Marktgesetzen als Beitrag zur Energiekrise?

RWE-Chef Krebber befürchtet unterdessen das Ausbleiben einer dauerhaften Erholung von der Energiekrise. Gegenüber der „Financial Times“ erklärte er am Mittwoch, die Gaspreise in Kontinentaleuropa würden „jetzt strukturell höher“ bleiben, „weil wir letztlich von LNG-Importen abhängig sind“.

An den energieintensiven Branchen werde diese Entwicklung nicht spurlos vorübergehen. Die Gaspreise seien zwar gegenüber den Rekordwerten von 2022 um etwa 90 Prozent eingebrochen. Der Rohstoffpreisagentur Argus zufolge liegen sie jedoch immer noch um zwei Drittel höher als zum Vergleichszeitpunkt des Jahres 2019, schreibt der „Focus“. Viel besser werde es auch nicht werden, meint Krebber, und dies habe Konsequenzen:

Wir werden eine leichte Erholung sehen, aber ich denke, wir werden einen erheblichen Nachfrageschwund in den energieintensiven Industrien erleben.“

In Summe zeigt sich das schlichte Marktgesetz, dass eine Verknappung des Angebots und der Umstieg von vorhandenen günstigen auf erst zu erschließende kostspieligere Alternativen unweigerlich Preissteigerungen zur Folge haben. Dies sieht RWE-Chef Krebber auch mit Blick auf Merkels Atomausstieg:

„Wenn man genau weiß, was man abschalten will, muss man sofort darüber nachdenken, wie man die neue Technologie in den Boden bekommt.“



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion