Einzelhandel erwartet 16.000 Pleiten
Pandemie, Krieg in der Ukraine, explodierende Energiepreise, hohe Inflation – der Einzelhandel ist derzeit gleich von mehreren Krisen umzingelt. Das alles wirkt sich negativ auf die Konsumstimmung aus und treibt viele Einzelhändler in den Ruin.
Bereits Lockdowns und Zugangsbeschränkungen brachten viele an den Rand des Ruins, beschreibt Stefan Hertel, Sprecher des Handelsverbands Deutschland (HDE) auf Anfrage der Epoch Times. „Und jetzt kommen die schlechte Konsumstimmung und viele Unwägbarkeiten in Verbindung mit dem russischen Krieg noch oben drauf“, sagt er.
Wegen der Gaskrise winken Investoren ab
Der Konflikt in der Ukraine hat dazu geführt, dass zum Beispiel der Rettungsversuch für den Bio-Großhändler BiUno aus Gießen gescheitert ist. „Fortführung trotz aller Bemühungen wirtschaftlich nicht möglich“, lautet das Fazit auf der Seite der deutschlandweit agierenden Kanzlei Schultze & Braun am Ende der Bemühungen, einen Investor für das angeschlagene Unternehmen zu finden.
Mitte Mai hatte das Handelsunternehmen mit 85 Mitarbeitern Insolvenz anmelden müssen, nachdem ein Großkunde die Zusammenarbeit beendet hatte, berichtete die „Gießener Allgemeine“.
BiUno hatte erst zwei Jahre zuvor ein neues Logistikzentrum im Industriegebiet des Stadtteils Lützellinden bezogen. Investoren, die an einer Übernahme interessiert waren, gab es. Doch winkten die letztlich alle wegen der „Eintrübung des wirtschaftlichen Umfeldes“ durch die Erdgaskrise ab, schrieb die Zeitung Anfang August, als bei dem Unternehmen die Lichter endgültig ausgegangen waren.
Ohne Kapitalpolster geht es nicht
So wie dem Gießener Unternehmen könnte es bald vielen anderen auch gehen, sagt ein Insider aus dem Einzelhandel im Gespräch mit Epoch Times, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. „Der ganze Handel steht am Rande, wenn man nicht ein Kapitalpolster hat.“
Vieles, was derzeit geschehe, haben Fachleute bereits vor einem Jahr erwartet. Doch dann hätte der Konsum wieder angezogen. „Die Leute hatten Geld, weil sie nicht in den Urlaub fahren konnten.“ Überhaupt sei zum damaligen Zeitpunkt noch „viel Geld im System gewesen“. Jetzt komme aber „der Hammer“.
Discounter reduzieren Aktionen
Die sinkende Kaufbereitschaft der Kunden bekommen auch die Discounter zu spüren. Sie macht sich vor allem im eigentlich sehr lukrativen Non-Food-Bereich (Kleidung, Werkzeug, Elektronik und Haushaltswaren) bemerkbar.
Ab dem kommenden Jahr soll das Angebot erheblich reduziert werden, heißt es auf der Internetseite von RTL. Das Unternehmen begründet den Schritt mit großen Lieferproblemen aufgrund unterbrochener Lieferketten und der sinkenden Nachfrage bei den Kunden. Nach Angaben des „Stern“ plant auch Aldi eine Verkleinerung seines Non-Food-Angebots.
Lidl hat nach Einschätzungen des Insiders genug „Power“, ist also nicht in seiner Existenz bedroht. „Aber das sind alles Anzeichen, die auf extreme Verwerfungen hinweisen.“ Die Lieferketten seien stark beschädigt, sie bekämen ihre Aktionsware nicht zum geplanten Markttermin, sie hätten keinen Ertrag und nur noch Restbestände. Daher würden sie einfach aussteigen, was „eine krasse Nummer“ sei – da die Discounter bislang zwei, manchmal sogar drei Aktionen pro Woche hatten.
Viele Unternehmen hätten auch auf Eigenmarken gesetzt. „Da ist man im Lebensmittelbereich unterkalkuliert, weil man versucht, mit der Eigenmarke unter dem Preis der Marke zu sein“, erläutert der Fachmann weiter. Pro Artikel sind die Gewinnspannen daher klein, betragen oft nur ein paar Cent pro Artikel. „Da muss dann aber die Masse gehen. Wenn das aber nicht mehr funktioniert, weil keiner mehr was kauft, dann gibt es ein Problem“.
Rabatte und Personalabbau
Auch die Anbieter von Ökoprodukten hat die Krise erreicht. Hess Natur oder Deerberg fahren derzeit „massive Rabattaktionen“. Das spricht nach den Einschätzungen des Branchenkenners dafür, „dass noch viel Ware im Lager liegt, die sie aber nicht mit dem erwarteten Ertrag verkaufen können“.
Bei Alnatura drohe sogar ein Personalabbau, das sei ungewöhnlich für dieses Unternehmen. Anfragen von Epoch Times an Alnatura und Deerberg blieben unbeantwortet.
Auch die Investoren sind vorsichtig geworden. Private Geldgeber hätten längst den Ernst der Lage erkannt. „Sie überlegen sich sehr genau, wo sie Teile ihres Vermögens investieren“, so der Fachmann.
HDE: Die Stimmung ist angespannt
Epoch Times fragte daraufhin auch beim Handelsverband nach. Der HDE geht davon aus, dass in diesem Jahr etwa 16.000 Geschäfte schließen müssen. Zu Insolvenzen liegen dem Verband keine Zahlen vor, sagt Sprecher Stefan Hertel.
Die amtlichen Zahlen geben aber ohnehin nur einen Teil der Wahrheit wieder. „Viele Handelsunternehmen geben den Betrieb auf, ohne Insolvenz anzumelden und sperren in aller Stille das Geschäft für immer zu.“
Die Stimmung im Handel ist angespannt. „Planungen sind angesichts der großen Unsicherheiten mit Blick auf die kommenden Monate enorm schwierig“, erläutert Hertel. Es sei unklar, wie sich die Pandemie weiterentwickele und ob es in Folge von Corona-Maßnahmen in Asien erneut zu Problemen bei den Lieferketten – vor allem nach China – komme. Diese Fragen und die hohen Energiekosten führen „zu einer großen Unsicherheit in der Branche“.
Politik gefordert
Der Handelsverband geht aber davon aus, dass der Einzelhandel dank seiner „enormen Anpassungsfähigkeit“ die Krise meistern kann. „Er hat in den letzten Jahren seine große Krisenresilienz bewiesen. Auch derzeit sehen wir wieder einen großen unternehmerischen Mut und viele tolle Ideen in der Branche“, fährt Hertel fort.
Allerdings müsse die Politik auch den entsprechenden Rahmen setzen. „Da geht es dann konkret darum, beispielsweise die Stromsteuer auf das von der Europäischen Union (EU) mögliche festgelegte Minimum herabzusetzen und einen gemeinsamen Einkauf aller EU-Länder beim Gas anzugehen, um so die Kosten zumindest ein wenig zu drücken. Zudem können die Unternehmen nicht auch noch zusätzliche Belastungen stemmen, da brauchen wir ein Belastungsmoratorium. Jetzt ist definitiv nicht die Zeit, immer noch mehr draufzusatteln“, betont der Sprecher.
Wie sich die Situation für den Handel entwickelt, ist laut Hertel derzeit nicht seriös prognostizierbar. Zu groß seien die Unwägbarkeiten und Auswirkungen von Krieg und Pandemie.
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