Eine Dekade des schwachen Wachstums? Das ist der größte Hemmschuh der Wirtschaft

Die deutsche Wirtschaft bleibt anfällig für Produktionsstörungen. Das ermittelte gerade eine aktuelle IW-Umfrage. Allerdings sind es nicht die Energiekosten, die der größte Hemmschuh sind.
Deutschlands Maschinenbauer blicken verhalten optimistisch in die Zukunft.
Die Wirtschaft wird sich auf eine schwache Wirtschaftsdekade einstellen müssen.Foto: Armin Weigel/dpa
Von 10. Februar 2023

Die Aussichten waren nicht gut. Viele Prognosen der letzten Monate haben für die deutsche Wirtschaft eine lange Phase schwachen Wachstums vorausgesagt, selbst wenn die befürchtete Rezession in diesem Jahr ausbleiben sollte. Immer wieder wurden diese schlechten Zukunftsaussichten mit dem Mangel an Arbeitskräften und der Energiekrise begründet. Eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt nun aber, dass die deutschen Wirtschaftsprobleme viel tiefer gehen.

Wirtschaft weiterhin sehr störanfällig

Die beiden Professoren Hubertus Bardt und Michael Grömling haben dabei aktuelle Antworten aus Betrieben ausgewertet. Die IW-Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass die Lieferengpässe, die sich in den letzten Jahren als großes Wachstumshemmnis erwiesen haben, allmählich zurückgehen. Trotzdem bleibt unsere Wirtschaft auch weiterhin anfällig für Produktionsstörungen. Überraschend dürfte sein, dass laut der Studie nicht die Energiekrise die Produktion am meisten hemmt. Neben der Energiekrise entwickelt sich der Arbeitskräftemangel immer mehr zum Hemmschuh für die Industrie.

Unterbrochene Lieferketten langsam wieder stabil

Die Entwicklungen der letzten Monate hätten durchaus positivere Zukunftsaussichten vermuten lassen. Materialengpässe waren vor allem nach Ausbruch der Corona-Pandemie ein großes Problem. Nach und nach sind die unterbrochenen Lieferketten wieder in Takt gesetzt worden und Engpässe haben sich deutlich entspannt.

Ein gutes Beispiel ist die Baubranche. Vor wenigen Monaten überschlugen sich noch die Meldungen von Lieferengpässen beim Baumaterial. Sprach man mit Bauunternehmern, so berichteten diese von leeren Regalen im Baustoffgroßhandel und sprunghaft steigenden Preisen. Vor allem Dämmmaterialien, aber auch Holz, Farben oder Metalle waren kaum noch zu bekommen. Das hat sich inzwischen verändert.

Im Gespräch mit der „Deutschen Handwerks Zeitung“ (DHZ) sagt der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) Felix Pakleppa, dass die Lieferbarkeit bei den meisten Baustoffen nun nicht mehr das Problem sei. Ein Problem bleibe aber nach wie vor der hohe Preis für das Material.

Auch der Energiepreis hat sich inzwischen etwas entspannt. Die Preise für Öl, Gas und Strom sind inzwischen von ihren Höchstständen im Sommer zurückgekommen. Eigentlich alles gute Nachrichten.

Trotzdem sollte nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus diesen Dingen nicht geschlussfolgert werden, dass die Industrie nun die Produktion wieder ungebremst hochfahren kann. Die Wirtschaft bleibt nach wie vor erheblich anfällig für Produktionsstörungen.

Fehlende Arbeitskräfte die höchste Bedeutung für Produktionsprobleme

Die IW-Konjunkturumfrage liefert die Begründung. „Fehlende Arbeitskräfte haben die mit Abstand höchste Bedeutung für Produktionsprobleme – fast 80 Prozent der deutschen Firmen leiden darunter“, sagt Hubertus Bardt, Leiter Wissenschaft beim IW.

Für energieintensive Industriezweige bleiben die momentanen Unsicherheiten am Brenn- und Kraftstoffmarkt nach wie vor eine Herausforderung. „60 Prozent der Betriebe erwarten von der unsicheren Energieversorgung und den hohen Energiepreisen gestörte Geschäftsabläufe“, heißt es in der IW-Studie. Ein weiterer Belastungsfaktor neben dem Arbeitskräftemangel und der Gaskrise ist das Thema IT-Sicherheit. Den Ökonomen zufolge bereiten im betrieblichen Alltag Cyberattacken zunehmend Probleme.

Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren bei unter einem Prozent

Die Umfrage des IW ist nicht die einzige Prognose, die der Industrie schlechte Wachstumsaussichten prognostiziert. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hat im DIW-Konjunkturbarometer aus dem Januar der Wirtschaft bescheinigt, dass es „kurzfristig mit einem blauen Auge davonkommt“. Auf die Dekade betrachtet sehen die Wirtschaftsexperten das Wachstumspotenzial aber bei unter ein Prozent pro Jahr. Das Bruttoinlandsprodukt würde mit diesen Aussichten weitaus weniger expandieren als in den vergangenen Jahrzehnten. Als Hauptgrund benennt das DIW Berlin den durch die demografische Entwicklung bedingten Rückgang der Beschäftigungszahlen. Bürokratie und die hohen Kosten würden die Situation noch verschlimmern.

Zombie-Unternehmen deutlich angestiegen

Die gerade erst erschienene „Corporate Dept Study“ der Beratungsgesellschaft FTI-Andersch lenkt den Blick noch einmal auf einen anderen Bereich, der ebenfalls unterstreicht, dass eine Rückkehr zu den Wachstumsraten vor Corona in naher Zukunft eher unwahrscheinlich ist. Die Studie weist darauf hin, dass die Zahl der „Zombie-Unternehmen“ in Deutschland deutlich gestiegen ist.

Zombie-Unternehmen werden hoch verschuldete Unternehmen bezeichnet, die aufgrund ihres unprofitablen Geschäftsbetriebs nicht in der Lage sind, die Zinsen aufgenommener Kredite zu bezahlen.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sechs Prozent der an der Börse gelisteten Unternehmen ein „Zombie“ sind, also drei Jahre in Folge nicht in der Lage waren, aus dem operativen Ergebnis heraus ihre Zinsen zu bezahlen. FTI-Andersch hatte zuvor europaweit mehr als 2.900 an der Börse gelistete Unternehmen untersucht.

Situation in Deutschland gravierender als Analyse aussagt

„Deutschland liegt bei der Anzahl der Zombie-Unternehmen an der Börse im europäischen Vergleich in der unteren Hälfte“, sagt Tim Müller, Experte der auf Restrukturierung, Business Transformation und Transaktionen spezialisierten Beratungseinheit von FTI Consulting in Deutschland und Leiter der Untersuchung. Öffentliche Unternehmen müssten aufgrund strenger Reporting-Anforderungen sehr frühzeitig über finanzielle Probleme Bericht erstatten – unmittelbare Reaktionen der Börse führen zu frühzeitigen Interventionen. Bei privaten Unternehmen, die oftmals nur einer einzelnen Familie gehörten, gebe es diese ausgeprägte Transparenz nicht. „Auf Basis unserer Beobachtungen schätzen wir die Quote an Zombie-Unternehmen im deutschen Mittelstand als höher ein“, so Müller. Aufgrund des hohen Anteils der mittelständischen Betriebe am Bruttoinlandsprodukt sei die Situation für Deutschland darum gravierender als es die Zahlen dieser Analyse vermuten ließen.

Unternehmen wird mittelfristig die Luft abgeschnürt

„Eine drohende Rezession, die gestiegenen Zinsen und die zunehmend restriktive Vergabe von Krediten werden vielen Unternehmen mittelfristig weitere Luft zum Atmen nehmen“, prognostiziert Tim Müller für die Zukunft. Weiter weist er darauf hin, dass viele Marktteilnehmer ohne staatliche Subventionen und der gesetzlichen Aussetzung der Insolvenzantragspflichten schon in den letzten Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Markt verschwunden wären.

Problematisch in diesem Zusammenhang dürfte für Deutschland sein, dass zentrale Bereiche wie der Maschinenbau und die Automobilzulieferer von diesem Phänomen besonders betroffen sind.

Bewegen uns auf einen „perfect storm“ zu

„Wir bewegen uns auf einen ‚perfect storm‘ zu“, sagt Müller und meint damit eine Kombination aus Wachstumsschwäche, steigenden Zinsen und Margendruck durch Inflation und Energiekrise.

Dass sich das Finanzierungsumfeld zunehmend schwierig gestaltet, macht auch anderen Unternehmen zu schaffen. Wie die IW Untersuchung hier belegt, breitet sich unter den Unternehmen zunehmend Pessimismus aus. Gaben im November 2022 noch gut ein Drittel der Unternehmen an, ungestört produzieren zu können, erwarten dies für das gesamte Jahr 2023 jetzt nur noch 14 Prozent der Betriebe.

Laut FTI-Andersch sind vor allem im Maschinenbau die Schulden europaweit signifikant angeschwollen. Das ist ein schlechtes Zeichen für die deutsche Wirtschaft. Europaweit verfügt diese nämlich traditionell über die stärksten Branchenunternehmen.

Gerade bei deutschen Maschinenbauern sei es in den vergangenen Jahren zu einem Investitionsstau gekommen, der nicht abgearbeitet werden konnte. Die nun stark gestiegenen Zinsen könnten viele Unternehmen nun ins Schwanken bringen. Das hätte Folgen für die Wachstumsbedingungen der deutschen Volkswirtschaft.



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