Ein historisches Urteil zum EZB-Anleihenkaufprogramm
Das Bundesverfassungsgericht hat es gewagt: Nach einem jahrelangen Rechtsstreit hat das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) einen kräftigen Dämpfer verpasst und sich offen gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestellt. Die konkreten Folgen dieser Entscheidung sind allerdings noch nicht genau absehbar. Ein Überblick über ein historisches Urteil mitten in der Corona-Krise:
WORÜBER MUSSTE DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT ENTSCHEIDEN?
Das Zweite Senat des Verfassungsgerichts mit Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle an der Spitze beschäftigte sich bereits seit Jahren mit dem EZB-Anleihenkaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme), in dessen Rahmen die EZB bis Ende 2018 bereits 2,6 Billionen Euro in die Finanzmärkte pumpte. Die Verfassungsrichter urteilten aber nicht über das aktuelle Notprogramm der EZB in der Corona-Krise.
Kritiker werteten das Vorgehen der Währungshüter beim PSPP-Programm als indirekte Haushaltsfinanzierung hochverschuldeter Staaten. Zudem ging es in dem Verfahren darum, ob die EZB ihre Kompetenzen überschreitet. Im Jahr 2017 rief das Verfassungsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an und machte bereits damals seine eigenen Zweifel an dem Programm deutlich. Der EuGH erklärte aber im Dezember 2018 das Vorgehen der EZB für rechtens. Im vergangenen Jahr verhandelte das Verfassungsgericht schließlich zwei Tage über das umstrittene Anleihenkaufprogramm.
WAS BESAGT DAS KARLSRUHER URTEIL?
Das Verfassungsgericht hält das Vorgehen der EZB bei dem Anleihenkaufprogramm teilweise für verfassungswidrig. Es gab deshalb den Klagen weitgehend statt, die unter anderem vom früheren CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und dem AfD-Mitgründer Bernd Lucke erhoben worden waren. Entscheidend war aus Sicht der Karlsruher Richter, dass die EZB mit ihren Beschlüssen außerhalb ihrer Kompetenzen in der Währungspolitik handelte. Die Zentralbank hätte demnach die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen genauer prüfen müssen.
Diese hätten „erhebliche ökonomische Auswirkungen auf nahezu alle Bürger“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Gemeint war damit unter anderem, dass eine extrem niedrige Zinsen Sparer hart treffen. Auch die Folgen für Mieter oder Immobilienbesitzer müssen nach Überzeugung des Gerichts beachtet werden. Daraus folgt für die Richter, dass die EZB zwischen den Zielen des Programms und den wirtschaftlichen Auswirkungen abwägen muss. Eine solche Abwägung habe es aber „soweit ersichtlich“ nicht gegeben, sagte Voßkuhle.
Bundesregierung und Bundestag verletzten dem Urteil zufolge die Rechte der Kläger, weil sie nicht dagegen vorgingen. Einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung in den Eurostaaten stellte das Gericht aber nicht fest.
WIESO HAT SICH DAS VERFASSUNGSGERICHT ÜBER DEN EUGH HINWEGGESETZT?
Grundsätzlich wacht der Gerichtshof in Luxemburg über das Europarecht. Das zweifelt das Verfassungsgericht auch in keinster Weise an. Das Gericht sei sich bewusst, dass EuGH-Entscheidungen „nur in absoluten Ausnahmefällen die Gefolgschaft versagt bleiben darf“, sagte Voßkuhle. Beim EZB-Anleihenkaufprogramm sahen die deutschen Richter aber eine Grenze überschritten. Die Auffassung des Gerichtshofs verkenne „in offensichtlicher Weise Bedeutung und Tragweite des bei der Kompetenzverteilung zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“, machte Voßkuhle die Position des deutschen Verfassungsgerichts klar.
Damit suchte das Gericht den offenen Konflikt mit den Luxemburger Kollegen, über den schon seit Jahren in Karlsruhe spekuliert wurde. Die historische Dimension des Verfahrens hob auch Voßkuhle hervor: „Erstmals in seiner Geschichte stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt sind.“
WELCHE PRAKTISCHEN FOLGEN HAT DAS URTEIL?
Die Bundesregierung muss sich nun zunächst dafür einsetzen, dass die EZB die Verhältnismäßigkeit des Programms prüft. Nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten ist es der Bundesbank untersagt, an der Umsetzung mitzuwirken – außer der EZB-Rat legt nachvollziehbar dar, dass die Maßnahmen doch verhältnismäßig sind. Es ist also längst nicht gesagt, dass die Anleihenkäufe nicht weitergehen. (afp)
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