„Die nächste Blutgrätsche“: Olaf Scholz’ Industriegipfel lässt Mittelstand außen vor

Der Bundeskanzler hat kurzfristig zu einem Industriegipfel geladen, um mit Spitzen der Wirtschaft über mögliche Auswege aus der aktuellen Wirtschaftsflaute zu diskutieren. Mittelständler kommen dabei aber nicht als Gesprächspartner des Kanzlers vor. Das sorgt in der Wirtschaft für Unmut. Finanzminister Christian Lindner hat nun die Initiative ergriffen.
Olaf Scholz sprach auf dem Deutschen Arbeitgebertag 2024
Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Jahreskongress der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Archivbild). Der Mittelstand fühlt sich vom Kanzler ignoriert.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 25. Oktober 2024

Kurzfristig hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für den kommenden Dienstag einen Industriegipfel im Kanzleramt angesetzt. An diesem Tag möchte der Kanzler mit Unternehmensvertretern, Verbänden und Gewerkschaften über Wege aus der Wirtschaftsflaute sprechen. Das hatte der Kanzler in der vergangenen Woche im Bundestag bei seiner Regierungserklärung angekündigt. „Das, was dabei rauskommt, werde ich diesem Parlament vorschlagen, auch auf den Weg zu bringen, damit es vorangeht in Deutschland“, sagte Scholz damals.  

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, begrüßte kurz nach der Ankündigung den Vorstoß von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine neue industriepolitische Agenda. „Für Gespräche, wie die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode eine industriepolitische Agenda implementieren kann, ist der BDI jederzeit bereit und bringt seine Wirtschaftsexpertise mit ein“, sagte Russwurm letzte Woche den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Einladung nur an kleinen Kreis

Viele Unternehmensvertreter, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände fühlten sich durch die Ankündigung des Gipfels angesprochen. Doch offenbar haben diese keine Einladung aus dem Kanzleramt erhalten, wie die „Wirtschaftswoche“ schreibt. Wer am kommenden Dienstag dabei sein wird, ist bisher in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Vertreter des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) scheinen laut „Wirtschaftswoche“ ebenso eingeladen zu sein wie die Verbände der Auto- und Chemiekonzerne. 

Dass mit dem BDI nur ein Wirtschaftsverband eingeladen wurde, sorgt für Frust. Selbst der BDI ist mit dem Vorgehen des Kanzlers nicht glücklich. Man sehe die Gefahr, vom Kanzler „für eine Art Vorwahlkampf missbraucht zu werden“, zitiert die „Bild“ aus dem Verband.

Mittelstand „eiskalt übergangen“

Besonders sauer stößt aber auf, dass der Mittelstand von Bundeskanzler Scholz außen vor gelassen wird. Der industrielle Mittelstand, Kern der Wirtschaft, fehle komplett, beschwert sich der Bundesgeschäftsführer des Verbandes „Der Mittelstand BVMW“, Christoph Ahlhaus gegenüber „Bild“. 

Das sei „die nächste Blutgrätsche gegen die Leistungsträger in unserem Land“, so Ahlhaus weiter:

Es ist doch ein schlechter Witz, dass die kleinen und mittleren Unternehmen beim Bezahlen von Spitzensteuersätzen immer mit am Start sind, beim Wirtschaftsgipfel mit dem Bundeskanzler aber eiskalt übergangen werden.“

Auch die Familienunternehmen finden sich nicht auf der Gästeliste des Kanzlers wieder. „Wir Familienunternehmer sind nicht zu dem Gipfel eingeladen, da wir kein Industrieverband sind.“ Dies sei eine weitere Bestätigung dafür, dass die Wirtschaftspolitik der Ampel nur Symptome bekämpfen will und eine ganzheitliche Heilung des Patienten nicht in den Blick nehme, sagte Marie-Christine Ostermann, Präsidentin vom Verband der Familienunternehmer, gegenüber der „Rheinischen Post“. Es dürfe beim Industriegipfel nicht mehr um die „Subventionierung bestimmter von der Politik definierter ‚Schlüsselindustrien‘ gehen“, so Ostermann weiter. Es bedürfe insgesamt einer Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, forderte die Verbandspräsidentin. Steuern, Sozialabgaben, Energie, Bürokratie: Überall drücke der Schuh.

„Realitätsverweigerung“ und „fatales Signal“

Auch die ehemalige Verbandschefin der Jungunternehmer, Sarna Röser, meldet sich mit einem Post auf LinkedIn zu Wort:

Der geplante Industriegipfel von Olaf Scholz ist ein Schlag ins Gesicht für den deutschen Mittelstand. Statt KMUs und Familienunternehmen eine Stimme zu geben, dominieren Großindustrien die Gästeliste.“

Dabei seien es gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die 99 Prozent unserer Wirtschaft ausmachen und Millionen Arbeitsplätze sichern, so Röser. „Vertreter von Handwerkskammern, Bäckereien, Zulieferer, lokale Bauunternehmen? Fehlanzeige.“

Und Röser weiter: 

Ich empfinde es als Realitätsverweigerung und ein fatales Signal, dass gerade die Leistungsträger unseres Landes hier nicht mit einbezogen werden. Von dem wenig vielversprechenden Programm mal ganz abgesehen. Hier sind konkrete Maßnahmen, die zur Lösung unserer wirtschaftlichen Probleme beitragen, bislang nicht zu sehen.”

Ignoriert fühlt sich auch das Handwerk. Der Präsident des „Zentralverbandes des Deutschen Handwerks“ (ZDH), Jörg Dittrich, sagte gegenüber der „Bild“:

 Die Standortprobleme sind massiv und betreffen die gesamte deutsche Wirtschaft. 99 Prozent sind kleine und mittlere Unternehmen. Mit einem verengten Blick auf die Industrie wird die Politik die Wachstumsschwäche nicht überwinden.“

Obwohl es in den vergangenen Tagen zu massiver Kritik am Industriegipfel gekommen ist, hat sich der Kanzler bisher nicht öffentlich geäußert. Eine Anfrage der „Wirtschaftswoche“, nach welchen Kriterien die Gäste ausgewählt wurden, blieb unbeantwortet. In einer Regierungspressekonferenz erwähnte Sprecher Steffen Hebestreit lediglich einen „kleinen, ausgewählten Kreis“ der Teilnehmer. Und Hebestreit setzt wolkig hinzu: „Je nach Verlauf des Gespräches sind weitere Treffen denkbar (…).“

Das ist „Schaufensterpolitik“

Kritik am Gipfel des Kanzlers kommt aber auch aus der Politik. Kurz nach der Ankündigung des Gipfels durch den Kanzler gab sich sein Finanzminister, Christian Lindner (FDP) gegenüber der „Rheinischen Post“ skeptisch. Er habe keine Erkenntnisse, was sich Scholz genau erhoffe und vorschlagen wolle. Das werde nun zu diskutieren sein.

Auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner sieht die Initiative von Scholz skeptisch. Gegenüber der „Bild“ sagte die Politikerin: 

Das ist kein Gipfel. Das ist Schaufensterpolitik. Kritiker werden erst gar nicht mehr eingeladen.“

Eine „Wirtschaftswende“ gelinge so nicht, ist das Fazit der CDU-Politikerin. 

Lindner lädt zum „Gegengipfel“

Inzwischen hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) offenbar die Initiative ergriffen. Wie „Bild“ in seiner Freitagsausgabe berichtet, plant Lindner jetzt einen eigenen Gipfel. Eingeladen sind die Präsidenten von vier Wirtschaftsverbänden, die nicht am Industriegipfel bei Scholz teilnehmen dürfen. 

Eine Einladung erhielten demnach der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, und die Präsidentin des Verbandes der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann. 

Bei dem Gespräch sollen erklärtermaßen Maßnahmen erörtert werden, die die gesamte Wirtschaft entlasten sollen. Die Ergebnisse sollen auch mit Scholz diskutiert werden und in das von Scholz angekündigte Wachstumspaket einfließen.



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