Die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Menschen in Deutschland

Nach gut einem Jahr Krieg in der Ukraine sind die Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland spürbar. Das Leben hat sich deutlich verteuert, ein Ende der Inflation ist nicht in Sicht. Darüber hinaus stellt die große Anzahl der Flüchtlinge auch die Gemeinden vor schwierige Aufgaben.
Die hohe Inflation schmälert die Kaufkraft der Verbraucher.
Die hohe Inflation auch infolge des Ukraine-Krieges schmälert die Kaufkraft der Verbraucher.Foto: Hendrik Schmidt/dpa
Von 22. Februar 2023

Der Krieg in der Ukraine hat die deutsche Gesellschaft verändert. Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, sagte gerade erst in einem Interview mit der „Rheinischen Post“: „Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine hat jenseits des durch nichts aufzuwiegenden menschlichen Leids auch wirtschaftliche Wohlstandsverluste mit sich gebracht.“

Insgesamt geht die DIHK von rund vier Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus, das seit Kriegsbeginn bis Ende 2023 verloren gehen könnte. „Damit werden rund 160 Milliarden Euro weniger erwirtschaftet – umgerechnet etwa 2000 Euro pro Kopf“, so Adrian.

Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, prognostiziert steigende Kosten für die Wirtschaft und Wachstumsverluste durch den Krieg in der Ukraine. „Der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Explosion der Energiekosten hat Deutschland im Jahr 2022 knapp 2,5 Prozent oder 100 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung gekostet“, sagte er ebenfalls der „Rheinischen Post“.

Diese Kosten würden in den kommenden Jahren sogar noch zulegen. „Deutschland ist wirtschaftlich stärker von der Krise betroffen, weil es eine höhere Abhängigkeit von russischer Energie hatte, einen hohen Anteil an energieintensiver Industrie hat und extrem abhängig von Exporten und globalen Lieferketten ist“, so der DIW-Präsident.

„Zeitenwende“ seit gut einem Jahr deutlich zu spüren

Doch nicht nur die Wirtschaft ist enorm vom Ukraine-Krieg in Mitleidenschaft gezogen. Auch die Privathaushalte in Deutschland spüren seit einem Jahr eine Mehrbelastung. Darauf stellte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon kurz nach Kriegsbeginn die Menschen im Land ein. Drei Tage nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine – am 27. Februar – sprach der Bundeskanzler in einer viel beachteten programmatischen Rede im Bundestag von einer „Zeitenwende“.

Mit der Regierungserklärung des Kanzlers wurden unter anderem auch in der Energiepolitik gravierende Kursänderungen angekündigt: Scholz erklärte den Stopp für die Gaspipeline Nord Stream 2, noch bevor diese überhaupt ans Netz gegangen war. Weiter sprach der Kanzler von harten Sanktionen gegen Russland.

Deutsche Energiewirtschaft an Zusammenarbeit mit Russland interessiert

Scholz‘ SPD-Vorgänger im Kanzleramt, Gerhard Schröder, hatte 2005 mit dem Bau einer Ostsee-Pipeline die Öl- und Gaskooperation mit Russland begonnen. „Das ist schon ein historischer Tag“, resümierte Schröder damals nach seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Beisein der beiden hatten die Vorstandschefs der drei Energieriesen Gazprom, E.ON und BASF Verträge unterschrieben, mit denen der Bau der sogenannten „Ostsee-Pipeline“ in die Wege geleitet wurde. Schröder war damals überzeugt: „Deutschland sichert in direkter Partnerschaft mit Russland große Teile seiner Energieversorgung auf Jahrzehnte.“

Heute wird immer wieder behauptet, dass die deutsche Orientierung Deutschlands nach Russland auf die „Männerfreundschaft“ von Schröder und Putin zurückzuführen sei. Schon 2005 stellte das Onlinemagazin „Telepolis“ diese Erzählung infrage: Starke Interessen in Russland habe damals vor allem die deutsche Energiewirtschaft gehabt. Immerhin kontrolliert Moskau bis heute rund ein Drittel der weltweit bekannten Erdgasvorkommen. Und die russische Erdölförderung erreicht fast den Umfang der Produktion Saudi-Arabiens.

Auch die CDU hielt an Energiepartnerschaft fest

Den Interessen der Energiekonzerne entzog sich damals auch die CDU nicht. Schon 2005 hatte Deutschland rund ein Drittel seiner Erdölimporte und etwa 40 Prozent seiner Erdgasimporte aus Russland bezogen. Angela Merkel, damals noch CDU-Kanzlerkandidatin, befürwortete daher 2005 vor der Münchner Sicherheitskonferenz eine „strategische Partnerschaft“ mit Russland. Auch Wolfgang Schäuble, damals Außenpolitiker der CDU-Bundestagsfraktion, bestätigte laut „Telepolis“ damals in Moskau, dass auch eine CDU-geführte Bundesregierung nur leichte Modifikationen an der deutschen Politik gegenüber dem Kreml vornehmen werde. Merkel hatte in München hinzugefügt, auch die „Ostsee-Pipeline“ stoße bei ihr auf Sympathie.

Als Bundeskanzlerin setzte Merkel also weiter auf Gas und Öl aus Moskau. 2015 stieß sie eine russische Gaspartnerschaft an. Die Krim war da schon annektiert worden, ohne dass dies zu einer Politikwende in Deutschland geführt hätte. Zu diesem Zeitpunkt hatten osteuropäische Staaten, die USA und das EU-Parlament Deutschland zu einem Baustopp der Gaspipeline Nord Stream 2 aufgefordert: Russland könne die Abhängigkeit vom Gas als Waffe einsetzen. Alternativen zum Gas aus Russland – zum Beispiel Investitionen in Flüssiggasterminals – wurden nicht gesucht.

Noch 2019 sah Merkel keine Abhängigkeit von russischem Gas. Die „Welt“ berichtete über ein Treffen der sogenannten Visegrad-Staaten in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Die damals geäußerten Sorgen tat die Kanzlerin ab. Deutschland werde sich „unter gar keinen Umständen allein von Russland abhängig machen“, sagte Merkel.

Die Kanzlerin äußerte sich auch zu Bedenken im Hinblick auf das deutsch-russische Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2: Eine Abhängigkeit werde nicht eintreten, „wenn wir gleichzeitig diversifizieren“, sagte Merkel und verwies auf den geplanten Bau von Terminals für Flüssigerdgas (LNG). Zudem setze sie sich in ihren Gesprächen mit Russlands Präsident Wladimir Putin immer wieder dafür ein, „dass die Ukraine auch weiterhin Transitland sein wird für russisches Erdgas“, sagte Merkel damals.

Energie- und Lebensmittelpreise schossen in die Höhe

Mit dem Beginn des Krieges im vergangenen Jahr dann die Zeitenwende. Für die Verbraucher in Deutschland wurde schnell deutlich, was das konkret für ihren Geldbeutel bedeutete. Laut Angaben des „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) mussten Verbraucher hierzulande für Heizöl im Schnitt des vergangenen Jahres 87 Prozent mehr zahlen als 2021. Erdgas verteuerte sich um 64,8 Prozent. Die Strompreise stiegen um 20,1 Prozent. Autofahrerinnen und Autofahrer zahlten an der Tankstelle 26,8 Prozent mehr als im Vorjahresschnitt.

Die Energiepreise hatten als eine der Hauptpreistreiber auch direkte Auswirkungen auf die Verbraucherpreise. So steuerte Deutschland nach Kriegsbeginn im Februar auf die höchste Inflation seit Bestehen der Bundesrepublik zu. Im Jahresdurchschnitt 2022 lag diese bei 7,9 Prozent. Die monatliche Höchstrate wurde im Oktober mit 10,4 Prozent erreicht.

Neben den Energiepreisen waren es vor allem die Lebensmittelpreise, die überdurchschnittlich hoch anstiegen. Im Schnitt mussten Verbraucherinnen und Verbraucher im vergangenen Jahr 13,4 Prozent mehr für Nahrungsmittel zahlen als 2021. Der Trend nach oben setzte sich auch 2023 fort. Auf der Grünen Woche in Berlin hatten Christian von Boetticher, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, und Bauernpräsident Joachim Rukwied laut RND schon darauf eingestimmt.

Flüchtlinge: Gemeinden oft an Kapazitätsgrenzen

Der Krieg in der Ukraine ist auch für die Kommunen in Deutschland deutlich spürbar. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden kamen im vergangenen Jahr rund 1,1 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine nach Deutschland. Gut zwei Drittel der Menschen erreichten Deutschland zwischen März und Mai 2022. Ab dann registrierte das Bundesamt insgesamt 139.000 Fortzüge. Die Nettozuwanderung lag 2022 daher bei rund 962.000 Menschen aus der Ukraine. Das sind mehr Menschen als jene aus Syrien, Afghanistan und dem Irak in den Jahren 2014 bis 2016 zusammen (834.000). Dazu kamen aber im vergangenen Jahr noch fast 250.000 Asylsuchende aus anderen Ländern. All das führte viele Gemeinden an ihre Kapazitätsgrenzen. Sie fühlen sich von der Bundesregierung im Stich gelassen und machten gerade erst am Rande des Flüchtlingsgipfels in der vergangenen Woche ihrem Ärger Luft.

Der Bund hatte schon im November beschlossen, den Ländern für ihre Ausgaben für Ukraine-Flüchtlinge im Jahr 2023 einen Betrag von 1,5 Milliarden Euro zu überweisen. Außerdem soll es für Flüchtlinge aus anderen Ländern vom Bund eine allgemeine flüchtlingsbezogene Pauschale von 1,25 Milliarden Euro jährlich geben.

Für die Gemeinden bleibt das alles aber keine Lösung. Die Herausforderungen sind viel umfangreicher als nur das Geld. Landkreispräsident Reinhard Sager brachte es nach dem Flüchtlingsgipfel auf den Punkt: „Die Landkreise sind an den Kapazitätsgrenzen angelangt und brauchen Erleichterung. Das gilt nicht nur für die Unterbringungsmöglichkeiten, sondern längst auch für Schulen und Kindergärten. Und es betrifft auch unsere Mitarbeiter.“



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