Deutschlands Infrastruktur: Investitionsdefizite gefährden den Wohlstand
Über viele Jahre war Deutschland ein Vorbild an Innovation. Forschung, Entwicklung und Infrastruktur – andere Länder schauten neidisch auf Deutschland. Das ist längst nicht mehr so: Unser Staat hat erhebliche Defizite bei den Investitionen. Das geht aus einer gerade veröffentlichten Studie des „Instituts der Wirtschaft (IW)“ in Köln hervor.
Immer mehr Menschen schämen sich für die deutsche Infrastruktur hier, so das Ergebnis der Studie. Sie empfinden, dass der Zustand dem Anspruch Europas größter Volkswirtschaft nicht gerecht wird. Marode Schulen, verspätete Züge, stockendes Internet, Funklöcher und eine Verwaltung, die oft kaum erreichbar ist – das sind alles Beispiele für den Zustand der Bundesrepublik.
Staatliche Investitionen seit Jahren falsch oder zu gering
Immer mehr deutsche Unternehmen werden von der weltweiten Konkurrenz auf vielen Gebieten abgehängt. Zuletzt zeigte das schrumpfende Bruttoinlandsprodukt, dass Deutschland dabei ist, sich aus der Spitzenklasse zu verabschieden. Zugegeben, manches mag auch nur eine gefühlte Misere zu sein. Trotzdem kann man auch ausdrücklich mit Fakten argumentieren.
Einige Gründe für die tatsächlichen Defizite liefert die IW-Studie. Die beiden Ökonomen Hubertus Bardt und Michael Grömling weisen nach, dass die staatlichen Investitionen schon seit Jahren zu gering und falsch ausgerichtet sind, um auch zukünftig einen Beitrag für den Reichtum dieses Landes zu leisten.
Zwar schreiben die Ökonomen, dass in einer Marktwirtschaft grundsätzlich die Unternehmen und ihre Beschäftigten die „Motoren des Wohlstands“ sind. Damit diese aber ihr Potenzial voll entfalten können, muss der Staat die entsprechenden Grundlagen schaffen. In einer Wissensgesellschaft ist insbesondere eine funktionierende Infrastruktur gefragt, die auf dem neuesten Stand ist.
Das ist in Deutschland leider nicht der Fall. Die deutsche Infrastruktur altert an vielen Orten erkennbar. Zwar gibt der Staat jährlich Milliarden aus. Zieht man aber den Effekt der Abnutzung von diesen Bruttoinvestitionen ab, haben Bund, Länder und Kommunen nach IW-Berechnungen seit der Jahrtausendwende keinen nennenswerten Beitrag mehr zur Steigerung der Produktivität geleistet.
„In Deutschland hat sich die Produktivitätsentwicklung seit der Jahrtausendwende abgeschwächt“, sagt Grömling. Bereits in den vergangenen beiden Dekaden fielen die Fortschritte mit durchschnittlich rund 0,9 Prozent pro Jahr merklich geringer aus als noch in den 1990er-Jahren.
Schwache Produktivität der ausbleibenden Erneuerung der Infrastruktur geschuldet
In Westdeutschland waren die Zuwächse in den vorhergehenden Dekaden nochmals deutlich höher. In ihrer Studie zu den „Wirkungen öffentlicher Investitionen auf Unternehmen in Deutschland“ argumentieren die IW-Forscher, die schwachen deutschen Produktivitätszahlen seien zum Teil der ausgebliebenen Erneuerung der Infrastruktur geschuldet. Deren Defizite hielten auch Unternehmen davon ab, hierzulande zu investieren.
Ein höherer Output pro geleisteter Arbeitsstunde, so die Definition von Produktivität, wird für Deutschland schon deshalb nötig sein, um die Effekte der Demografie auszugleichen. In den kommenden Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge immer mehr in Rente gehen. Den Unternehmen stehen daher zukünftig deutlich weniger Arbeit„nehmer“ zur Verfügung. Das bedeute, dass weniger Arbeitsstunden abgerufen werden können.
Produktivität in Deutschland muss deutlich steigen
Für die Zukunft unserer Volkswirtschaft bedeutet das, dass es uns gelingen muss, die Produktivität deutlich zu erhöhen. Anders wird sich der heutige Wohlstand kaum halten lassen. Das hätte enorme Folgen für unsere Sozialsysteme, die auf eine starke deutsche Wirtschaft angewiesen sind.
„Gerade in Zeiten des demografischen Wandels, in der ein kleiner werdender Anteil der Bevölkerung erwerbstätig ist und sich ein schnell größer werdender Teil im altersbedingten Ruhestand befindet, muss die Produktivität deutlicher ansteigen, um die zusätzliche demografische Lücke zu kompensieren“, so Grömling. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre seien alles andere als vielsprechend:
„Von der staatlichen Kapitalstockbildung kamen in Deutschland zuletzt überhaupt keine Produktivitätsimpulse mehr“, kann man in der Studie lesen. Während die Privatwirtschaft unter Kapitalstock vor allem Maschinen und Anlagen versteht, gehören zum staatlichen Kapitalstock unter anderem Schulen, Straßen und Krankenhäuser, aber auch Universitäten, Entwicklungseinrichtungen und Forschungsinstitute, aus denen nicht selten Geschäftsideen hervorgehen.
Nicht zu unterschätzen seien die Bedeutung der digitalen Netze und die Verkehrsinfrastruktur. Wenn eine Region nicht über ein schnelles Internet verfügt oder es nicht an das Straßen- oder Schienennetz angebunden ist, wird ein mittelständisches Unternehmen zweimal überlegen, ob es sich dort ansiedelt. Auch verlässliche und bezahlbare Energie wird in Zukunft ein wichtiges Standortkriterium werden.
Die Studie macht deutlich, dass je höher die Qualität des staatlichen Kapitalstocks ist, umso besser sind die Voraussetzungen für künftiges Wachstum, also dem künftigen Wohlstand. Verfällt die staatliche Infrastruktur hingegen, verdüstern sich die Aussichten auf künftige Produktivitätssteigerungen.
Investitionsstau des nächsten Jahrzehnts bei 450 Milliarden Euro
Das IW sieht in Deutschland erheblichen Nachholbedarf. „Um den ohnehin moderaten Wachstumsbeitrag des staatlichen Kapitalstocks auf dem Niveau der 1990er-Jahre konstant zu halten, hätten jährlich rund 45 Milliarden Euro mehr investiert werden müssen“, heißt es in der Studie.
Die Wissenschaftler beziffern den Investitionsstau der öffentlichen Hand bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts bei 450 Milliarden Euro. Die Corona-Pandemie und die dem Krieg in der Ukraine geschuldeten Investitionsausfälle hätten diesen Rückstand noch verschärft. Allein der Investitionsbedarf für die nicht selten schon sehr alte Infrastruktur in Deutschland sei riesig.
Als Beispiel für ihre These nennt die Studie die Erneuerung und den Ausbau des Bahnnetzes, die Entwicklung der digitalen Infrastruktur oder die Modernisierung der Energieinfrastruktur. Dazu kommen noch einmal 39 Milliarden Euro pro Jahr, die notwendig sind, um die vereinbarten Verteidigungsausgaben auf die ausgemachten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu heben.
Die Investitionen sind nicht immer klar zu identifizieren. Manchmal sind die Grenzen zu anderen Staatsausgaben fließend: „Förderprogramme zur Dekarbonisierung der Wirtschaft beispielsweise stellen zwar keine öffentliche Investition dar, sie machen aber einen Teil der privaten Investitionen überhaupt erst möglich“, schreibt die Studie.
Unternehmen warten auf Investitionen des Staates
Unter Unternehmen haben die IW-Forscher eine umfangreiche Befragung durchgeführt. Dabei kam raus, dass die Unternehmen tatsächlich auf Investitionen des Staates warten. Manchmal machen sie von diesen Investitionen auch ihre eigenen Investitionsentscheidungen abhängig. Auf einen sofortigen Produktivitätsschub hoffen sie dabei nicht. Staatliche Aufträge sind trotzdem willkommene Umsatzbringer. Sie halten die mittelfristigen Impulse aber für stärker als die kurzfristigen.
„Ein Drittel der Unternehmen sieht eine Steigerung der eigenen Investitionstätigkeit in einem durch öffentliche Investitionen verbesserten Umfeld“, lautet ein Ergebnis der Umfrage. Die Hälfte aller Firmen verspricht sich darüber hinaus eine leicht positive Wirkung staatlicher Investitionen auf die ökonomischen Bedingungen.
In Bremen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland wurde wenig investiert
In den verschiedenen Wirtschaftsbereichen treten unterschiedliche Effekte durch öffentliche Investitionen auf. Besonders Bauunternehmen und Hersteller von Investitionsgütern profitieren stärker von Staatsinvestitionen. Die Studie sieht keine großen regionalen Unterschiede. In Westdeutschland werden staatlichen Investitionen aber etwas größere Effekte auf Investitionen und Transformation zugeschrieben als in Ostdeutschland.
Die Staatsinvestitionen fallen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich aus: In Bremen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland waren die Bruttoanlageinvestitionen zuletzt besonders niedrig. Im Gegensatz dazu wurde im Norden und Osten Deutschlands im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung relativ viel investiert. Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen waren dabei führend.
Trotz der Schuldenbremse sind nach Ansicht der IW-Forscher noch nicht alle Möglichkeiten zur Finanzierung staatlicher Investitionen ausgeschöpft. Sie appellieren an die Entscheidungsträger, die negative Entwicklung zu stoppen. Wenn private Investitionen ausbleiben, weil staatliche Investitionen fehlen, kann der langfristige Verlust an Wohlstand höher sein als die aktuellen Kosten.
Es ist wichtig, dass der Staat einschließlich der Kommunen und Länder als verlässlicher Partner agiert. Zudem sind laut den Forschern die Finanzierungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Öffentlich-private-Partnerschaften (Public-Private-Partnerships), noch nicht vollständig ausgeschöpft worden.
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