Deutschlands einziges freies Kaufhaus: „Ein wendiger Kreuzer zwischen Schlachtschiffen“
Für viele Einzelhändler und Unternehmen scheint das Schicksal besiegelt. Die Herzen der Innenstädte sterben langsam, aber sicher aus. Was sich seit Jahrzehnten in Richtung eines unaufhaltsamen Niedergangs bewegt, wird nun durch die Pandemie, die explodierenden Energiepreise und die Inflation beschleunigt.
Während die großen Kaufhäuser Deutschlands reihum in die Insolvenz gehen, von Ketten übernommen werden oder anderweitig dem Untergang geweiht sind, scheint eines sich noch hartnäckig über Wasser zu halten: Udo Kellmann führt mit seinem LöwenCenter Deutschlands einziges freies Kaufhaus. Wie viele andere wird auch er vom Schicksal gebeutelt. Dennoch existiert sein Warenhaus in Bergisch-Gladbach immer noch. Was macht er anders, als die anderen?
„Durchhalten, bis die anderen weg sind“
Während „einige Branchen fast komplett leer ausgingen“, sei das LöwenCenter „einigermaßen gut durchkommen, weil es zu den Unternehmen gehört, die von den Überbrückungshilfen tatsächlich profitieren konnten“, schildert der Unternehmer. Jetzt würden die Energiepreise aber vielen „das Genick brechen“, ist er überzeugt. Bestes Beispiel sei Galeria Karstadt Kaufhof, das aktuell zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren ein Insolvenzverfahren in Eigenregie eingeleitet hat.
Alles begann vor einem Vierteljahrhundert. Gemeinsam mit einem Geschäftspartner kaufte Kellmann sein Kaufhaus vor 25 Jahren dem Unternehmen Hertie ab und machte daraus das LöwenCenter.
Bis zur Übernahme durch Karstadt 1994 war Hertie einer der führenden Warenhauskonzerne im Land. „Alle namhaften Kaufhof Ketten in Deutschland, angefangen von Karstadt, Quelle, Kaufhof, Hertie – sind insolvent gegangen, haben teilweise wieder mit neuem Konzept aufgemacht. Leffers, Appelrath Cüpper und wie sie alle heißen: Alle weg! Und da werden jetzt noch ein paar sterben“, ist sich Kellmann sicher.
Unterkriegen lässt sich der Geschäftsmann davon allerdings nicht. Seine Devise lautet:
So lange durchhalten, bis die anderen weg sind, damit der Kuchen für die verbleibenden wieder größer wird.“
Ein wendiger Kreuzer zwischen großen Schlachtschiffen
Wie die anderen Kaufhäuser auch, sei das LöwenCenter, das einen jährlichen Umsatz von 16 Millionen Euro macht, kein klassisches Warenhaus mehr wie noch vor 40 Jahren. Es könnten einfach nicht mehr tausendfach alle Produkte querbeet unter einem Dach angeboten werden, wie etwa Tapeten, Bohrmaschinen und Teppichböden, so Kellmann. Als das Haus damals von Hertie abgekauft wurde, strukturierte man gleich um. So errichtete man in Zusammenarbeit mit Intersport eine große Fachsportabteilung. 90 Prozent der Einzelhandelsflächen betreibt der Geschäftsmann nun mit eigenen Firmen, wie etwa Schreibwaren, Damen- und Herrenmode, Heimtextilien und Spielwaren. Lediglich die Bereiche Schmuck, Zeitschriften/Tabak und Lotto und das Fitnesscenter wurden an Dritte vermietet.
Im Unterschied zur Konkurrenz bringt das LöwenCenter also einen klaren Vorteil mit sich. Als Einzelkämpfer sei man nun mal wesentlich flexibler und habe keine immensen Overhead-Kosten, so Kellmann. „Diese Zentralen mit den vielen Direktoren und den Protzbauten wie Karstadt und Kaufhof müssen ja alle finanziert werden. Das müssen die Damen und Herren in den Kaufhäusern mitbezahlen.“ Diese Kaufhäuser müssten stets einen „sechs bis teilweise siebenstelligen Betrag“ an die Zentrale abführen.
Er selber habe aber keine Zentrale, so Kellmann. „Ich muss niemanden fragen und kann Dinge auf dem Weg zur Toilette entscheiden, die in so einem Kaufhauskonzern monatelang diskutiert und in den Fachausschüssen gemacht werden. Das ist natürlich von Vorteil“, erklärt der 64-Jährige und bringt zur Veranschaulichung eine Metapher:
Ich betrachte mich als einen kleinen schnellen Kreuzer zwischen den großen Schlachtschiffen. Da kommt man viel besser durch und man wird nicht so leicht getroffen.“
Doch getroffen?
Kann sich so ein „wendiger kleiner Kreuzer“ angesichts der drohenden Energiepreis-Explosion völlig unbeschadet zwischen den wogenden Wellen durchmanövrieren? „Wir haben Glück, oder vielleicht ist es auch Können: Ich habe vor zwei Jahren den Gaspreis bis Ende 2025 festgeschrieben, zu einem exorbitant niedrigen Preis, den ich mich gar nicht traue zu erwähnen“, beichtet Kellmann. Er traut sich dann aber doch: „Ich bin für 2 Cent die Kilowattstunde eingestiegen, zahle im Moment 4 Cent.“
Würde er jetzt einen neuen Vertrag abschließen, müsste er 40 Cent bezahlen. Seine Heizkosten würden dann von 45.000 Euro jährlich auf rund 450.000 Euro springen – sich also verzehnfachen. „Das ist natürlich nicht mehr zu erwirtschaften. Man kann es auch nicht mehr in einem anderen Bereich einsparen.“
Bei den Stromkosten allerdings sei ihm das Glück ein wenig abhanden gekommen – man sei an den Leipziger Börsenpreis gekoppelt: „Die Stromkosten haben sich binnen einiger Monate verdreifacht. Das sind mal eben Mehrkosten von 200.000 Euro im Jahr.“
Des Kreuzers Leck
Leidet das Unternehmen aktuell an der Inflation? Die Sortimentsbereiche Textilien und Sport seien von der Inflation noch nicht so schlimm betroffen wie Lebensmittel mit deutlich mehr als 20 Prozent, winkt Kellmann ab. Durch Corona seien bei den Lieferanten noch große Lager vorhanden. „Das kommt erst mit einem Zeitverzug von anderthalb Jahren. Es wird also Mitte nächsten Jahres anfangen“, prognostiziert er.
Die Achillesferse des LöwenCenters ist dann doch schnell gefunden: Das Ausbleiben der Kunden sei die größte Belastung. Knapp eine Million Besucher habe Kellmanns Kaufhaus pro Jahr. Rund 600.000 davon greifen zum Portemonnaie.
„Wir verkaufen ja nicht an Multimillionäre, denen der Strom und die Energiepreise egal sind, sondern an Menschen wie du und ich. Und die müssen ja alle rechnen. Wenn sie sehen, dass die Heizkosten-Vorauszahlung von 200 Euro auf 500 Euro angehoben worden ist, fehlen ihnen 300 Euro im frei verfügbaren Einkommen.“
Das ließe sich selbstverständlich nicht bei den Lebensmitteln einsparen, „außer man hat jetzt noch Notreserven, so wie ich, wo man mal drei Monate ohne Essen auskommt“, verrät der Unternehmer. Auf ein T-Shirt und Pullover ließe sich eben gut und gerne verzichten, denn fast jeder habe schließlich den Schrank daheim voll, weiß Kellmann. „Wenn es nicht die Mode gäbe und die Frauen, würden wir Kaufhäuser im Textilbereich schon lange alle pleite sein.“
Mit dem Mangel an Kunden geht jedoch eine Schließung der Kassenstände im eigenen Kaufhaus einher. Insgesamt 24 Kassenstände seien betroffen – mittlerweile gebe es auf insgesamt 6.500 Quadratmetern Kaufhausfläche nur noch vier Kassen.
Selbstverständlich blieb es nicht nur dabei, auch Mitarbeiter mussten reduziert werden. „Das Haus ist 1976 von Hertie mit über 600 Mitarbeitern eröffnet worden. Wir haben jetzt noch ein Zehntel davon und kommen trotzdem klar. Das ist überall so. Das KaDeWe hatte mal 5.000 Mitarbeiter.“
Die Schließung der Kassenstände und die Reduzierung der Arbeitskräfte habe allerdings nicht erst mit Corona angefangen, sondern „durch Wirtschaftssysteme“ schon lange vorher.
Kurz erklärt: Der Untergang des „Schlachtschiffs“ Karstadt
Einen weiteren Grund, wieso das LöwenCenter bislang den Kopf über Wasser halten kann, erläutert Kellmann am Beispiel von Karstadt.
„Ich kannte den früheren Manager von Karstadt, Herrn Dr. Deuss. Er wurde von Frau Schickedanz rausgedrängt, weil er ihre marode Quelle-Kette nicht kaufen wollte. Sie hat sich daraufhin einen willigen Helfershelfer gesucht – Herrn Middelhoff. Das war der Untergang von Karstadt. Middelhoff hat alle eigenen Kaufhäuser im Laufe der Jahre verkauft. Damit hat er stille Reserven gehoben, hat die Bilanzen geschönt, musste dann aber horrende Mieten zahlen.“
Würde man ein Kaufhaus für 20 Millionen verkaufen, aber 3 Millionen Miete im Jahr zahlen, rechne sich das auf Dauer nicht, so Kellmann. „Dann haben Sie im ersten Jahr einen Gewinn von 20 Millionen, wenn das Ding abgeschrieben wurde. Aber die Mieten fressen sie natürlich auf. Und das war das Problem bei Karstadt.“
Im Unterschied zu Karstadt besitzt Kellmann die Immobilie selber und kann „die Mieten deswegen auch adäquat anpassen, wenn es den eigenen Geschäften schlechter geht.“
Die Konkurrenz – Ein „Flaggschiff“ namens Amazon
Neben einigen Mitbewerbern – „Einkaufszentren, die hier mal überall aus dem Boden geschossen sind“ – sei der größte Wettstreiter des LöwenCenters das Internet. Zu Zeiten des Lockdowns durch die Pandemie, als Kellmann 40 Prozent seiner Kundschaft nicht mehr ins Haus lassen durfte, „weil die nicht geimpft oder nicht dreimal geimpft waren“, war online-shopping für viele der einzige Ausweg.
„Ich bestelle auch bei Amazon, alles, was ich nicht bei mir im Kaufhaus bekomme. Amazon ist eine super Sache. Du klickst das Ding an, am nächsten Tag bringt es dir schon der Postbote bis vor die Haustür. Und es ist noch billiger, als wenn du es im Laden kaufst. Super Sache.“
Allerdings müsse man eine Chancengleichheit herstellen, sagt Kellmann bestimmt:
Amazon und Ebay sollten genauso besteuert werden wie wir auch.“
Das sei Aufgabe der Politik. Während Amazon etwa 1,8 Prozent Steuern in Irland zahle, zahlt Kellmann 40 Prozent „mit allem Drum und Dran“. „Das ist nicht gerecht. Die Politik versagt da seit Jahren. Vor allem die Europäische Union, denn Irland gehört zur Europäischen Union.“
Werbung in sozialen Medien und Schnelligkeit
Um mit dem Internet-Giganten mitschwimmen zu können und den Kopf weiterhin über Wasser zu halten, habe man nun seit letztem Jahr das Internet-Marketing verstärkt, so der Geschäftsmann. Er arbeite nun mit einer Werbeagentur zusammen. Das war nicht immer so.
„Ich war früher mit Werbung nie so spendabel. Die ersten zehn Jahre nach meinem Studium habe ich bei Woolworth gearbeitet. Damals war Woolworth noch eine ‚Cash-Kuh‘, die hohe Gewinne einbrachte. Das hat ganz ohne Werbung super funktioniert. Erst als sie mit Werbung angefangen haben, gingen sie pleite, weil sie von den Kosten aufgefressen wurden.“
Er fokussiere sich jetzt auf die Werbung in den sozialen Medien. „Wir versuchen alles. Wie gesagt, wir sind da wesentlich reaktionsschneller. Wenn irgendein Produkt kommt, wo in den anderen Kaufhäusern monatelang überlegt wird, ob man es bewerben soll oder nicht, kann ich das ad hoc entscheiden.“
„Augen zu und durch“
Mit Krisensituationen und Herausforderungen des Lebens gehe Kellmann fast schon „wie ein Stoiker“ um. In früheren Jahren habe er sich immer fürchterlich aufgeregt, wenn er mal Geld verloren habe oder Umsätze liegengelassen wurden. Mittlerweile habe er sich ein dickes Fell zugelegt:
Man muss einen langen Atem haben und sich nicht immer ins Bockshorn jagen lassen. Also Augen zu und durch.“
Jungen Unternehmen, die überlegen, ein neues Warenhaus zu gründen, rät er: „Macht was anderes. Ein neues Warenhaus zu gründen ist die dümmste Idee, die man dieser Tage haben kann.“ Habe man ein Kaufhaus, das mehr oder weniger abbezahlt ist, könne man damit noch die nächsten zehn, fünfzehn Jahre gute Erträge erwirtschaften, so Kellmann. „Aber zur jetzigen Zeit im stationären Handel ein neues Kaufhaus zu gründen – da kann man das Geld gleich verbrennen.“
Davon, dass harte Zeiten widerstandsfähige Menschen hervorbringen, ist er überzeugt. „Tough times never last, but tough people do“ („Harte Zeiten sind nie von Dauer, zähe Menschen schon”) ist das Motto auf Kellmanns Facebook-Profil.
Man dürfe nicht einknicken, sich nicht einschüchtern lassen und den Politikern nicht auf den Leim gehen, sondern alles hinterfragen, betont der Unternehmer.„Früher war das Wort ‚Querdenken‘ positiv konnotiert. Heute ist es ein Schimpfwort. ‚Querdenker‘ wird mit Spinner gleichgesetzt. Nur die Leute werden als gut betrachtet, die angepasst sind und mit dem Strom schwimmen. Aber wie heißt es so schön: Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom.“
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