Deutschland im Wirtschaftswirrwarr!

Die deutsche Wirtschaft erlebt eine Achterbahnfahrt der Erwartungen: Während der ifo-Geschäftsklimaindex Hoffnung aufkeimen lässt, deuten andere Indikatoren auf eine drohende Rezession hin. Doch inmitten dieses wirtschaftlichen Wechselspiels bleiben die Auswirkungen geopolitischer Krisen ein Unsicherheitsfaktor, der die Zukunft weiterhin infrage stellt.
Werksanlagen im Chemie- und Industriepark Zeitz. Die Produktion der Chemie- und Pharmaindustrie schrumpfte 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 6,6 Prozent.
Die Wirtschaft erlebt im Moment eine Achterbahnfahrt. Nachdem es in den letzten Monaten bergab ging, hoffen Experten nun auf einen Konjunkturaufschwung.Foto: Bodo Schackow/dpa
Von 31. Oktober 2023

In der vergangenen Woche wurden verschiedene Daten veröffentlicht, die Hoffnung geben, dass die deutsche Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs kommen könnte. Dass die Talsohle inzwischen erreicht sein könnte, gilt dabei aber nicht unbedingt als ausgemacht.

Silberstreif am Horizont

Die deutsche Wirtschaft sieht offenbar trotzdem wieder etwas positiver in die Zukunft. Das geht aus dem Geschäftsklimaindex des ifo-Instituts in München hervor. Nachdem er fünfmal in Folge gesunken ist, ging es im Oktober wieder nach oben. Er stieg von 85,8 Punkten im September auf 86,9 Punkte. Experten hatten zuvor einen Anstieg auf 86,0 Punkten erwartet.

„Die deutsche Wirtschaft sieht einen Silberstreif am Horizont“, so ifo-Präsident Clemens Fuest dazu. Laut Umfrage des ifo-Instituts zeigten sich die Unternehmen etwas zufriedener mit den laufenden Geschäften. Die Manager waren zudem weniger pessimistisch für die kommenden Monate. Allerdings fallen die Erwartungen für die einzelnen Wirtschaftssektoren recht unterschiedlich aus. So sind im verarbeitenden Gewerbe etwa die Erwartungen im Oktober gestiegen. Die aktuelle Lage wird aber schlechter bewertet. Laut ifo-Institut wird die Auftragslage in der Industrie weiterhin als schwierig eingeschätzt.

Im Dienstleistungssektor gingen die Erwartungen im Oktober nach oben. Insbesondere die Unternehmen in dieser Branche sind mit den laufenden Geschäften zufrieden. In Zukunft wird erwartet, dass sich der leichte Trend nach oben fortsetzt. Allerdings sind die Erwartungen auch weiterhin von Zweifeln geprägt.

Schlechter sieht es bei den Händlern aus – diese blicken pessimistischer auf die kommenden Monate. Insbesondere der Großhandel macht sich wenig Hoffnung auf Geschäftsverbesserungen. Die Einschätzung des Handels ist vor allem deshalb bemerkenswert, da in den kommenden Wochen das Weihnachtsgeschäft vor der Tür steht und in der Vergangenheit immer für ein Ankurbeln der Geschäfte im Handel sorgte.

Auch im Bauhauptgewerbe beurteilten die Unternehmen ihre aktuelle Geschäftslage leicht schlechter. Der Ausblick auf die kommenden Monate verbesserte sich leicht – bleibt aber pessimistisch, so das ifo.

Für den Geschäftsklimaindex antworten monatlich etwa 9.000 Unternehmen auf die Fragen des ifo-Instituts in München. Volkswirte waren über die leicht positive Einschätzung der Unternehmen überrascht. „Alles hat ein Ende, auch die Stagnation“, meint etwa Andreas Scheuerle, Chefvolkswirt der Deka Bank gegenüber der „Tagesschau“. Die Unternehmen setzten auf eine bessere Zukunft, „wenn die Kaufkraft der Konsumenten zurückkehrt und die geldpolitischen Bremseffekte an Kraft verlieren“.

Deutlich skeptischer bewertet Thoma Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, den jüngsten ifo-Geschäftsklimaindex. Für ihn ist „das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer derzeit weder Fisch noch Fleisch“. Das passe derzeit auch gut zur wirtschaftlichen Entwicklung, „die deutsche Wirtschaft befindet sich seit rund zwei Jahren zwischen magerem Wachstum und Rezession“.

Einkaufsmanagerindex: Wirtschaft kommt nicht in Schwung

Darauf, dass die momentan verhalten positive Stimmung in der Wirtschaft eine Eintagsfliege sein könnte, deutet der Einkaufsmanagerindex hin, ein weiterer wichtiger Indikator. Dieser wird monatlich vom Finanzdienstleister S&P global erstellt und befragt rund 800 Unternehmen. Er blickt dabei auf die gesamte Privatwirtschaft, also sowohl Dienstleistungs- als auch Gewerbesektor.

Der in der vergangenen Woche für den Oktober veröffentlichte Index kommt zum Ergebnis, dass die deutsche Wirtschaft einfach nicht in Schwung kommt. Im Gegenteil: Der Index fiel im Oktober um 0,6 Punkte und liegt nun bei 45,8 Punkten. Das Barometer entfernt sich damit weiter deutlich von der Schwelle von 50 Zählern – das ist der Wert, ab dem der Index erwartenden Wachstum signalisiert. Daher stehen die Zeichen in Deutschland weiter auf wirtschaftliche Rezession. Das sehen auch Wirtschaftsexperten so.

„Deutschland startet in das letzte Quartal denkbar schlecht“, sagte Chefvolkswirt Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank (HCOB) gegenüber dem „Handelsblatt“. „Vieles deutet darauf hin, dass sich Deutschland mitten in einer Rezession befindet.“ Nachdem sich die Auftragslage in der Industrieproduktion in den vergangenen Wochen verbessert hatte, konnte die Talfahrt gestoppt werden. Anders bei den Dienstleistern: Dort schrumpft inzwischen wieder die Auftragslage, obwohl sie im Vormonat noch gewachsen war. Dort sank auch die Beschäftigung den zweiten Monat in Folge. Die Kosten ziehen im Servicesektor dagegen an.

„Die gestiegenen Energiepreise und der hohe Lohndruck sind höchstwahrscheinlich der Grund für diese Entwicklung“, sagte de la Rubia. „Die Unternehmen schaffen es immer noch, einen Teil dieser steigenden Kosten auf die Kunden abzuwälzen.“

Mit einem Bein in der Rezession

Die Bundesbank sieht Deutschland im neuesten Monatsbericht mit einem Bein in der Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im zurückliegenden dritten Quartal „etwas geschrumpft sein“, heißt es im Bericht. Das bestätigt auch die am letzten Montag veröffentlichte Schätzung des Statistischen Bundesamtes. So ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Zeitraum zwischen Juli und September um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zurückgegangen.

Das ist ein kleinerer Rückgang, als ursprünglich prognostiziert wurde. Noch Ende September hatten die führenden Wirtschaftsinstitute in einer gemeinsamen Konjunkturprognose ein Minus von 0,4 Prozent geschätzt. „Zur Berechnung des dritten Quartals wurden die aktuellsten Informationen verwendet, die zum großen Teil in der Gemeinschaftsdiagnose der Institute noch nicht enthalten waren“, sagte Arne Ackermann vom Statistischen Bundesamt dem „Handelsblatt“.

Hoffnung für den kranken Mann?

Die Zahlen der unterschiedlichen Institutionen sprechen eine deutliche Sprache: Deutschland ist der „kranke Mann Europas“ und in Sachen Wirtschaftswachstum im europäischen Vergleich Schlusslicht. Im kommenden Jahr, so kündigen Wirtschaftsexperten an, könne es Besserung geben. „Ab Herbst dürfte es langsam wieder aufwärtsgehen“, schreibt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser in einem Gastbeitrag für den „Merkur“. Die Institute prognostizieren für das vierte Quartal ein Wachstum von 0,2 Prozent. 2024 soll das Wachstum dann quartalsweise bei 0,5 bis 0,6 Prozent liegen. Über das Gesamtjahr soll ein Plus von 1,3 Prozent stehen. 2025 wird ein Wachstum für die deutsche Wirtschaft von 1,5 Prozent erwartet.

Entwicklung der momentanen Krisen ist entscheidend

Alle positiven Zukunftserwartungen haben allerdings eine große Unbekannte: Durch Krisen kann eine kurzfristige Genesung der deutschen Wirtschaft gebremst werden. Das haben die letzten Jahre immer wieder gezeigt. Auch der seit Anfang Oktober laufende Konflikt im Nahen Osten hat das Zeug für eine Wachstumsbremse.

Das gab es schon einmal in den 1970er-Jahren. Damals verhängten die arabischen Ölförderstaaten ein Ölembargo. Daraufhin explodierten die Erdölpreise. Das ist bislang noch nicht passiert. Seit Ausbruch des Konflikts sind sie allerdings um knapp 10 Prozent gestiegen. Aber die weitere Entwicklung ist unsicher und hängt maßgeblich von dem ab, was in Zukunft passiert.



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