Deutsche Wirtschaft stagniert: Kein Wachstum im laufenden Jahr prognostiziert

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung erwartet eine mäßige Expansion der deutschen Wirtschaft aufgrund abnehmender Inflation und steigender Löhne. Keine Nachricht sich auszuruhen: Der BDI forderte gerade erst, dass Deutschland sich strecken muss. Das Vertrauen in gute Rahmenbedingungen nehme zusehends ab.
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Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle erwartet für dieses Jahr kein Wirtschaftswachstum.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 23. Juni 2023

Gestern hat das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) seine Konjunkturprognose für den Sommer vorgelegt. In den kommenden Monaten erwartet das Institut, dass die deutsche Wirtschaft auf sehr mäßigem Niveau expandieren wird.

Die abnehmende Inflation und eine „erhöhte Lohndynamik“, die dazu führt, dass die Reallöhne ab der zweiten Jahreshälfte nicht mehr sinken werden, lassen die Ökonomen in Halle (an der Saale) zu ihrer zaghaft-positiven Annahme kommen. Der private Konsum, so die Prognose, könnte unter diesen Rahmenbedingungen wieder zulegen.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte in diesem Jahr trotzdem um 0,3 Prozent zurückgehen. Erst im nächsten Jahr sehen die Wirtschaftsexperten wieder ein Wachstum von 1,7 Prozent.

Energiepreise Hauptursache für Schwächeln

Besonders für die Dienstleistungsbranche global prognostizieren die Wirtschaftsforscher einen „weltweiten Aufschwung“. Für das Verarbeitende Gewerbe hingegen bleiben die Aussichten nach wie vor eingetrübt. In Europa macht das Leibniz-Institut vor allem die im „langjährigen Vergleich hohen Energiepreise“ als Hauptursache für das Schwächeln aus.

„Hohe Inflation und gestiegene Leitzinsen dämpfen die Konjunktur in den meisten Weltregionen.“, heißt es in der Prognose weiter. Allerdings gehen die Inflationsraten nach und nach zurück, und die Leitzinsen würden nur noch wenig steigen. Daher rechnen die Ökonomen damit, dass die US-Produktion ab der zweiten Jahreshälfte nur noch „in etwa stagniert“. Für den Euroraum erwartet das IWH, dass die Rezession dann „zu einem Ende kommen“ wird. Auch in China würde sich die Erholung mit einer „mäßigen Dynamik“ fortsetzen. „Insgesamt bleibt die Dynamik der Weltwirtschaft im Jahr 2023 verhalten“, so die Konjunkturprognose.

Die deutsche Wirtschaft befand sich im Winter in einer Rezession. Der Hauptgrund dafür war die Schwäche des privaten Konsums aufgrund der rückläufigen real verfügbaren Einkommen aufgrund der Inflation. Zugleich sank der Staatskonsum im ersten Quartal dieses Jahres „außergewöhnlich deutlich“, heißt es in der Prognose. Anders als das Bruttoinlandsprodukt habe die Bruttowertschöpfung – also der geschaffene Mehrwert – zu Jahresbeginn zugenommen.

Die Diskrepanz erkläre sich zum Teil aus der Schwäche des privaten Konsums, welche über geringere Umsatzsteuern das Bruttoinlandsprodukt stärker dämpft als die Wertschöpfung. In den kommenden Quartalen, so die IWH-Schätzung, dürfte der Konsum wieder zunehmen. Indikatoren sehen die Experten in der günstigen Arbeitsmarktlage, die den Menschen Arbeitsplatzsicherheit gibt. Das ermutige die Menschen wieder stärker in Konsum zu investieren.

Export wird kaum Impulse setzen

Von den Exporten erwartet die Prognose allerdings kaum Impuls. Die Weltwirtschaft bleibe träge, und wichtige deutsche Exportbranchen hätten Probleme mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit.

„Alles in allem wird die Produktion in Deutschland im weiteren Jahresverlauf wieder moderat zulegen“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des IWH. „Für das Jahr 2023 insgesamt ergibt sich allerdings ein Rückgang um 0,3 Prozent, für 2024 prognostizieren wir einen Zuwachs von 1,7 Prozent.“ Für das Jahr 2023 ist mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent und für 2024 mit 2,7 Prozent zu rechnen.

Ein Risiko für die Konjunktur liegt laut dem Konjunkturbericht in der „Unsicherheit über die Höhe des Potenzialwachstums“ in Deutschland. „Nach vorliegender Prognose nimmt die Produktion ab Ende 2023 mit recht kräftigen Raten zu, sodass sich die Wirtschaft ihrer Normalauslastung nähert.“, schreiben die Ökonomen.

Allerdings herrsche verbreitet Arbeitskräftemangel, und in wichtigen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes, etwa in der Chemieindustrie, dürfte „Kapital obsolet“ geworden sein, mutmaßt die Prognose. „Es ist also nicht sicher, dass für die prognostizierte Expansion ausreichende Kapazitäten vorhanden sind.“

Deutschland fällt zurück

Die Prognose des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung deckt sich mit den Erwartungen des BDI. Dieser veranstaltete Anfang dieser Woche seinen „Tag der Industrie“. In der Verti Music Hall Berlin tauschten sich mehr als 1.000 Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft über industriepolitische Herausforderungen für den Standort Deutschland aus. Deutschland fällt zurück, so der Tenor, der von der „Zukunftskonferenz des BDI“ während der zweitägigen Veranstaltung ausging.

Eine spürbare Erholung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung werde nach Einschätzung des BDI-Präsidenten Siegfried Russwurm bestenfalls im Verlauf des kommenden Jahres einsetzen. Die Bedingungen blieben jedoch aufgrund einer Vielzahl von Herausforderungen wie der Alterung der Bevölkerung, der Inflationsbekämpfung, der weltpolitischen Spannungen in Verbindung mit höheren Kosten für Resilienz, also die Fähigkeit, die Krise zu meistern, sowie durch hohe Vorleistungen in die klimaneutrale und digitale Transformation schwierig.

Kein Wirtschaftswunder durch Energiewende

Wer glaube, die Energiewende könne zur Keimzelle eines neuen Wirtschaftswunders werden, unterschätze, dass die Investitionen zu einem großen Teil nur einen bestehenden Kapitalstock ersetzen und noch dazu größtenteils mit deutlich höheren Kosten. „Zusätzliches wirtschaftliches Wachstum bringt uns das erst einmal nicht. Ein wirtschaftlicher Aufschwung kommt nicht von allein.“, so der BDI-Präsident. Deutschland stehe vor einem Berg großer Herausforderungen. „Die Politik muss Strukturreformen systematisch anpacken“, mahnte Russwurm.

Die „Ungeduld und Unsicherheit vieler Unternehmerinnen und Unternehmer“ nehme zu. „Immer mehr deutsche Unternehmen, bis weit in den Mittelstand, beschäftigen sich damit, Teile ihrer Wertschöpfung von Deutschland abzuziehen, weil Kosten, Geschwindigkeit und Bürokratie im Vergleich einfach nicht darstellbar für sie sind“, warnte Russwurm.

Staat muss technologieoffen bleiben

Auch CDU-Chef Friedrich Merz machte gegenüber den Unternehmern am Dienstag deutlich: „Deutschland ist ein Industrieland und soll auch ein Industrieland bleiben.“ Darüber herrsche in Deutschland im Moment keineswegs Konsens. Man dürfe nicht definieren, welche Industrien man gerne weiter hätte und welche nicht. „Das ist ein gefährliches Spiel.“

Der Staat müsse die richtigen Rahmenbedingungen setzen und technologieoffen bleiben. „Wir erleben hier in Berlin zurzeit zu viel angemaßtes Wissen“, sagt Merz. „Von Regierungsmitgliedern, die heute sagen, sie wissen, welche Technologie wir in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren nutzen werden.“ Elektromobilität und Wärmepumpen könnten zwar eine Antwort sein, aber eben nicht die einzige.



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