Der Wiederaufbaufonds, bei dem eigentlich alles noch unklar ist – erster Auftrag an EU-Kommission
Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs einigten sich bei ihrem Video-Gipfel am Donnerstag unter anderem über die Vorgehensweise zum Wiederaufbaufonds. Es sind zunächst noch viele Fragen offen.
Die EU-Staaten haben daher der EU-Kommission einen Auftrag zur tieferen Analyse und Konzeption erteilt, damit die EU-Staats- und Regierungschefs weitere Entscheidungen treffen können. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich nach dem Gipfel in einer Videoansprache.
Zum einen solle die EU-Kommission analysieren, „welche Wirtschaftssektoren vorrangig betroffen sein werden und was man daraus lernen kann, auch für die Ausgestaltung des Wiederaufbaufonds“, sagte Merkel. Darüber soll die Kommission die „Architektur“ eines Wiederaufbaufonds konzipieren, wobei auch der mittelfristige Finanzbedarf ermittelt werden solle, so Merkel weiter. Das Konzept soll in der zweiten oder dritten Mai-Woche vorgelegt werden.
Finanzhilfen von ein paar hundert Milliarden bis zwei Billionen Euro
Merkel wies darauf hin, dass die Staaten im Hinblick auf das „Wie“ und „Wieviel“ der Unterstützung zwar unterschiedliche Meinungen hätten, doch alle seien sich einig, dass „es nicht [nur] um 50 Milliarden geht“. Die Frage eines Teilnehmers in der anschließenden Pressekonferenz, nach dessen Informationen Finanzhilfen über eine Billion Euro in Rede stünden, bestätigte sie nicht, widerlegte sie aber auch nicht.
Doch die einzelnen Staaten haben unterschiedliche Vorstellungen über die Hilfspakete. Spanien und Italien halten 1,5 Billionen Euro für nötig, Frankreich eine Billion Euro. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron erwähnte nach der Sitzung außerdem, dass „mindestens fünf bis zehn Prozent“ der Wirtschaftsleistung der EU nötig seien, wie „Reuters“ berichtete. Andere Mitgliedstaaten rechnen eher mit ein paar hundert Milliarden oder wollen sich gar nicht festlegen.
Aus der EU-Kommission sind Zahlen zwischen einer bis zwei Billionen Euro zu hören. Eurogruppen-Chef Mário Centeno glaubt, es sei „zu früh“, um eine Zahl festzulegen, da die Pandemie noch nicht vorüber sei.
Modalitäten der Auszahlung: Kredite oder Transferzahlungen
Zur Debatte steht auch, ob es angesichts der hohen Schuldenstände in einigen EU-Staaten überhaupt um Kredite gehen kann. Als Gegenargument wird angeführt, dass die Lage so prekär werden könnte, dass manchen Ländern nur noch mit Geld geholfen werden kann, das nicht zurückgezahlt werden muss.
Italien, Spanien und Frankreich plädieren für nicht rückzahlbare Transferzahlungen in Form von Zuschüssen oder Subventionen. Nördliche Länder hingegen bevorzugen nur Kredite.
Man müsse „in der Tat ein Gleichgewicht zwischen Zuschüssen und Darlehen finden“, sagte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, nach dem Gipfel. Das müsse man noch diskutieren. Und weiter: „Heute ist es zu früh, dabei ins Detail zu gehen“.
Finanzierung des Fonds offen
Unterschiedliche Meinungen gibt es auch zur Finanzierung des Wiederaufbaufonds. Insgesamt neun Länder, unter anderem Frankreich, Italien und Spanien sprachen sich bislang für eine Finanzierung in Form von „Corona-Bonds“ aus. Die Länder nennen günstige Zinssätze als Vorteil, weil finanziell starke Länder mit an Bord wären.
Gegen die Corona-Bonds plädierten bislang neben Merkel unter anderem auch die Niederlande, Österreich und Finnland. Die Staaten sorgen sich, dass Schulden dauerhaft vergemeinschaftet werden und die Länder für ausfallende Kredite zum Beispiel von Italien und Spanien gerade stehen müssten. Merkel erwähnte dies in der Videoansprache noch einmal direkt. „Es geht nicht, dass die Schulden vergemeinschaftet werden, wie ich es heute auch im Deutschen Bundestag gesagt habe. Das habe ich genauso auch in der Videokonferenz wiederholt“, sagte sie.
Insider rechnen mit Entscheid im Sommer
Die bisherigen Überlegungen sehen vor, den Wiederaufbaufonds bei der Finanzierung an das EU-Budget anzudocken. Im Gespräch ist, dass die EU-Kommission selbst Geld für den Fonds an den Finanzmärkten aufnimmt und den Mitgliedstaaten zur Verfügung stellt. Dies wäre über den EU-Haushalt für die Zeit von 2021 bis 2027 möglich. Einem internen Papier der EU-Kommission zufolge könnte die Kommission 320 Milliarden Euro am Finanzmarkt aufnehmen, wie „Reuters“ berichtete. Danach plane die Kommission, das Geld an Regierungen in Europa teilweise als direkten Zuschuss weiter zu reichen.
Merkel ergänzte, dass Deutschland jedenfalls für eine begrenzte Zeit „deutlich höhere Beiträge“ in den EU-Haushalt zahlen müsse.
EU-Insider rechnen im Sommer mit endgültigen Beschlüssen, berichtet „Reuters“ weiter. Der Entscheid soll zusammen mit der Finanzplanung der EU für die Jahre 2021 bis 2027 erfolgen.
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, erwähnte, dass die Wirtschaftsleistung in der Eurozone im Jahr 2020 um bis zu 15 Prozent einbrechen könnte. Sie wies die Staats- und Regierungschefs darauf hin, hinlänglich auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu reagieren. Es gebe ein Risiko, „zu wenig und zu spät zu handeln“.
Hilfspaket im Volumen von 500 Milliarden gilt ab 1. Juni
Die EU-Finanzminister hatten sich vor zwei Wochen außerdem auf ein Hilfspaket von rund 500 Milliarden Euro verständigt. Der Gipfel beschloss am Donnerstag, dass die Gelder nun ab dem 1. Juni bereitstehen sollen.
Dazu müsse der Bundestag im Mai noch einen Beschluss fassen, sagte Merkel. Das Paket umfasst Förderkredite für kleine und mittelständische Unternehmen, Kreditlinien aus dem Rettungsfonds ESM für Regierungen und ein europäisches Kurzarbeitergeld nach deutschem Vorbild.
(Mit Material von AFP)
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