Den Einfluss des Westens abschütteln: Ein neues Weltfinanzsystem

Wie könnte ein neues, unabhängiges Finanz- und Geldsystem jenseits von Dollar, Euro, Pfund oder Yen aussehen? Stratege Zoltan Pozsar sieht ein „Bretton Woods III“ kommen und Sergej Glaziew gibt Einblick in seine Vision von einem neuen System unter Ausschluss des Westens.
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Muldenkipper mit Kohle.Foto: iStock
Von 21. Juni 2022

Ende März waren Pläne für einen Mechanismus bekannt geworden, der Grundlage zur Etablierung eines unabhängigen Finanz- und Geldsystems auf dem eurasischen Kontinent werden soll.

Zu diesem Zweck hat die durch Russland dominierte Eurasische Wirtschaftsunion zusammen mit China erst kürzlich ein Abkommen aus der Taufe gehoben.

„Bretton Woods III“

Zoltan Pozsar sieht unsere Welt in einer großen Umbruchphase. Der Stratege der „Credit Suisse Group“, der zuvor für die Fed of New York und das amerikanische Finanzministerium arbeitete, ist überzeugt, dass gerade ein neues und verstärkt auf Rohstoffen basierendes Finanzsystem entsteht. Er bezeichnet es als „Bretton Woods III“.

Von einem solchen System würden zukünftig vor allem jene Nationen profitieren, die in einem hohen Ausmaß über eigene Rohstoffe verfügen. Russland könne eine tragende Rolle in diesem Umbruch- und Transformationsprozess spielen, weil das Land über geschätzte Rohstoffreserven im Wert von 75 Billionen US-Dollar verfügt.

Das Einfrieren der gut 600 Milliarden Euro russischer Währungsreserven hätte der Welt über Nacht vor Augen geführt, dass kein Vermögenswert – nichts und niemand – vor einer jederzeit möglichen Konfiskation sicher ist.

Das bestehende Papiergelduniversum scheine damit sein finales Stadium erreicht zu haben. Eine wachsende Anzahl an Staaten, Zentralbanken und privaten Marktakteuren sei wachgerüttelt und halte nach alternativen Anlageformen Ausschau.

Kompletter Umbau der westlich dominierten Geld- und Finanzpolitik

Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass eine zunehmend multipolare Welt nicht mehr nur auf dem Fundament eines einzigen, durch die USA und andere westliche Industrienationen dominierten Weltfinanzsystems fußen. Andere politische Kraftzentren bilden China und Russland.

Ein Vorschlag zur Etablierung eines neuen Finanz-, Wirtschafts- und Geldsystems auf dem eurasischen Kontinent entstammt der Feder von Sergej Glaziew, des einstigen Wirtschaftsberaters des russischen Machthabers Wladimir Putin.

Erwähnt sei, dass Sergej Glaziew als Minister für wirtschaftliche Integration und Makroökonomie einer der führenden Köpfe der Eurasischen Wirtschaftskommission ist. Ihm fällt eine zentrale Rolle in Bezug auf die Ausarbeitung von Finanz- und Wirtschaftsstrategien auf dem eurasischen Kontinent zu.

Gegenüber dem Online-Medium „Business-Gazeta“ erklärte Sergej Glaziew, dass die Entwicklungen, die sich heutzutage beobachten ließen, nur alle einhundert Jahre geschehen. Mitte April bestätigte er gegenüber dem geopolitischen Analysten Pepe Escobar und TheCradle.com, dass zurzeit an einem kompletten Umbau der westlich dominierten geld- und finanzpolitischen Landschaft gearbeitet wird.

Die politisch und wirtschaftlich aufstrebenden Nationen, allen voran die BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), stehen hierbei im Bunde mit den Ländern des globalen Südens, so Sergej Glaziew.

Der Wirtschaftsberater zeigt sich fest überzeugt, dass die herrschende Klasse in den USA durch das Einfrieren von gut der Hälfte der russischen Währungsreserven bei im Ausland veranlagten Zentralbanken ihre „letzte Trumpfkarte“ in der hybriden Kriegsführung gegen sein Land ausgespielt hat. Dadurch hätten Zentralbanken und Staaten den Status ihrer eigenen Währungen, allen voran den Weltreservestatus des US-Dollars, unterminiert.

Langfristige Planung für eine neue Handelswährung

Glaziew und seine Kollegen haben im „Astana Economic Forum“ schon vor mehr als zehn Jahren Veränderungen zu einem neuen globalen Weltwirtschaftssystem angestoßen. Dieses Weltwirtschaftssystem basiert auf der Emission einer synthetischen Handelswährung, die wiederum an einen Währungsindex aller an diesem Wirtschaftssystem partizipierenden Nationen gekoppelt ist.

Später wurde dieser Währungsindex durch die Aufnahme von zwanzig börsengehandelten Rohstoffen erweitert. Die auf diesem erweiterten Korb basierende Geldeinheit sei nicht nur mathematisch modelliert worden, sondern habe sich bislang auch als sehr robust und stabil erwiesen.

Bereits in seinem im Jahr 2016 erschienenen Buch mit dem Titel „The Last World War: the US to Move and Lose“ sprach Sergej Glaziew die Schaffung einer internationalen Koalition an, um sich dem Einfluss der politischen und finanziellen Macht der herrschenden Klasse in den USA zu entziehen. Gemessen an den Gesetzen der langfristigen Wirtschaftsentwicklung wäre sowohl ein Krieg als auch eine Niederlage der zuvor dominierenden Wirtschaftsmacht unvermeidbar.

Die USA stünden demnach am Scheidepunkt, während sich eine Auflösung des dollarbasierten Weltwirtschaftssystems am Horizont abzeichne. Sowohl China als auch Indien hätten bewiesen, dass eine Kombination eines zentralplanerischen mit einem marktbasierten Wirtschaftssystem die Zukunft sein könnten.

Wie soll der Übergang erfolgen?

Immer mehr Nationen auf der Welt seien bereit, sich einer neuen wirtschaftlichen Weltordnung anzuschließen. Im ersten Schritt haben die partizipierenden Staaten begonnen, flankiert durch nationale Währungsswaps, im Handel wieder verstärkt ihre nationalen Währungen samt ihrer eigenen Abwicklungssysteme zu nutzen.

Diese Phase gehe bereits ihrem Ende entgegen, so Glaziew. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein souveräner Staat damit fortfahren wird, seine finanziellen Reserven noch länger in großem Umfang in Form von US-Dollars, Euros, Pfund oder Yen zu halten, sinkt. Diese vormals akzeptablen Währungen werden nun durch jeweils nationale Währungen und Gold ersetzt.

In einem zweiten Schritt wird es zu neuen Preisfestsetzungsmechanismen an den Weltmärkten unter Ausschluss des US-Dollars kommen.

Es sei aus aktueller Sicht nicht damit zu rechnen, dass der chinesische Yuan / Renminbi – aufgrund von dessen Inkonvertibilität und eines nach wie vor beschränkten Zugangs zu den Kapitalmärkten in China – den Staffelstab einer Weltreservewährung vom US-Dollar übernehmen wird. Auch eine Nutzung von Gold in Form eines Preisreferenzmechanismus ist aufgrund von dessen Problemen im alltäglichen Zahlungsverkehr beschränkt.

Die dritte und finale Phase sieht daher die Schaffung einer neuen und auf einem internationalen Abkommen beruhenden Digitalwährung vor. Deren Prinzipien basierten auf Transparenz, Fairness und Effizienz. Eine solche Digitalwährung ließe sich durch einen Pool an nationalen Währungsreserven der BRICS-Staaten unterlegen. Allen an einem solchen System interessierten Nationen werde es freistehen, sich daran zu beteiligen.

Das Gewicht einer jeden nationalen Währung in diesem Währungskorb wird proportional zur Wirtschaftsleistung sein und auf der jeweiligen Kaufkraftparität eines jeden teilnehmenden Landes beruhen. Auch der Anteil am globalen Handel sowie die Größe eines Landes und deren Bevölkerungsumfang soll eine Rolle spielen. Dieser Währungskorb lasse sich durch börsengehandelte Rohstoffe wie Gold und andere Edelmetalle, wichtige Basismetalle, fossile Brennstoffe wie auch Agrarrohstoffe, darunter Getreide, Zucker und Wasser, ergänzen.

Basierend auf einer auszuarbeitenden Formel wird die neue synthetische Währung an alle an diesem neuen System partizipierenden Nationen emittiert, um durch diese im internationalen Handel zum Einsatz gebracht zu werden.

Lockmittel: Schulden auf US-Dollarbasis spielen keine Rolle

Nationale Währungen würden in den einzelnen Ländern mit dem Zweck einer Kreditvergabe zum Einsatz kommen. Auf diese Weise könnten innerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen notwendige Investitionen und Industrieaktivitäten finanziert werden. Auch staatliche Vermögensreserven würden auf jeweils nationalen Währungen basieren.

Der eingeleitete Transformationsprozess hin zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung kann durch eine systematische Ablehnung einer Bezahlung von Schuldenobligationen in Form von US-Dollars, Euros, Pfund und Yen begleitet werden.

Sergej Glaziew gibt explizit zu, dass die Länder des globalen Südens in vollem Maße an dem neu entstehenden Weltwirtschaftssystem teilhaben könnten – weil die auf Basis des US-Dollars, des Euros, des Pfunds und des Yens angehäuften Schuldenobligationen keine Rolle spielen sollen.

Selbst wenn Nationen einen Zahlungsausfall in diesen Währungen erklären sollten, würden solche Ereignisse keinerlei Einfluss auf deren zukünftige Kreditbonität in der neuen Finanz- und Wirtschaftsordnung zeitigen. Dies würde selbst im Fall einer potenziellen Verstaatlichung von bestimmten Industriezweigen gelten.

Es gehe primär darum, den Einfluss des Westens abzuschütteln, da die Zentralbanken der Nationen nach wie vor durch westliche Institutionen angeleitet und kontrolliert sowie zu selbstmörderischen Strategien durch den Internationalen Währungsfonds gezwungen würden.

Roman Baudzus studierte Wirtschaftsinformatik und nach verschiedenen Tätigkeiten in der Marketing-, Technologie- und Softwarebranche sowie einer Reihe von Auslandsaufenthalten gründete der Wirtschafts- und Afrika-Kenner im Jahr 2004 sein eigenes Unternehmen. Schon seit vielen Jahren lebt er in Afrika.



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