DAX-Rekorde trotz Wirtschaftskrise: Wie lange hält der Höhenflug an?

Trotz der wirtschaftlichen Probleme in Deutschland zeigt der DAX ungewöhnlich hohe Werte, unterstützt durch eine starke globale Erholung. Im Gegensatz dazu erlebte der Nikkei einen dramatischen Rückgang wegen der Yen-Aufwertung. Der Crash an der Börse in Tokyo bleibt auch in den nächsten Monaten ein großer Unsicherheitsfaktor.
Im Dax herrscht Ausverkaufsstimmung (Archivfoto).
Während Deutschlands Wirtschaft schwächelt, zeigen die Zeichen beim DAX nach oben.Foto: Boris Roessler/dpa
Von 23. August 2024

Anfang August veröffentlichte die „Deutsche Industrie- und Handelskammer“ (DIHK) das „IHK-Energiewende-Barometer 2024“. Das Ergebnis ließ aufhorchen: Aktuell erwägen vier von zehn Industriebetrieben, ihre Produktion am Standort Deutschland wegen der Energiesituation einzuschränken oder ins Ausland zu verlagern. Bei den größten Industrieunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten denken inzwischen sogar mehr als die Hälfte darüber nach. Nach DIHK-Angaben haben rund 3.300 Unternehmen an dieser Umfrage teilgenommen. 

„Das Vertrauen der deutschen Wirtschaft in die Energiepolitik ist stark beschädigt“, fasste Anfang August der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks die Ergebnisse in einer Pressemitteilung zusammen. „Der Politik ist es bisher nicht gelungen, den Unternehmen eine Perspektive für eine zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung aufzuzeigen.“ Das gelte insbesondere für die Industrie. Dercks: „Während in den Jahren vor 2023 viele Unternehmen auch Chancen in der Energiewende für den eigenen Betrieb sahen, überwiegen zuletzt aus ihrer Sicht deutlich die Risiken.“

Beide Erhebungen machen deutlich, wie schlecht es um die Stimmung in der deutschen Wirtschaft bestellt ist. Selbstredend hätte es die Erhebungen nicht unbedingt gebraucht, um festzustellen, dass etwas mit der Wirtschaft in unserem Land nicht stimmt.

Bürokratie Haupthemmschuh für Wirtschaft

Anfang August konnte der Finanz-Blogger Mario Lochner den Portfoliomanager Dr. Andreas Beck in seiner Podcast-Reihe begrüßen. Beck gehört laut Business Insider“ zu den bekanntesten Fondsmanagern in Deutschland. 20 Jahre beriet der Mathematiker und Philosoph Banken und Vermögensverwalter, bevor er später seinen eigenen Fonds „Global Portfolio One“ gründete. Hier investiert Beck breit gestreut in über 8.800 Unternehmen. Insgesamt liegen mehr als 400 Millionen Euro in seinen Fonds.

Im Interview mit Mario Lochner verweist auch Beck auf die Erhebung der DIHK, dass vier von zehn Industrieunternehmen im Moment erwägen, ihre Produktion in Deutschland einzuschränken oder ins Ausland zu verlagern. „Wenn man bedenkt, dass möglicherweise nur die Hälfte der Unternehmen überhaupt diese Möglichkeit hat, sieht man, wie die aktuellen Rahmenbedingungen wirklich sind“, so Beck. Der Experte geht davon aus, dass von den energieintensiven Industriebetrieben praktisch alle Unternehmen über eine Verlagerung ins Ausland nachdenken. 

Die aktuellen Herausforderungen, so der Portfoliomanager, seien nicht nur durch die Ampelregierung verursacht worden; es seien hauptsächlich die „zunehmend komplizierte Regulierung und Bürokratie“. Beck betont, dass der „Mittelstand die Bürokratie nicht mehr stemmen kann“, vor allem durch die neuen „Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeitsreporting“, wie sie durch die EU-Richtlinien vorgegeben werden und den Mittelstand vor weitere bürokratische Hemmnisse stellt. 

Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verlangt seit diesem Jahr von großen Unternehmen und börsennotierten Firmen, regelmäßig umfassende Informationen über ihre Umwelt-, Sozial- und Governance-Praktiken (ESG) offenzulegen. Ziel ist es, die Transparenz zu erhöhen und Investoren sowie der Öffentlichkeit ein klareres Bild der nachhaltigen Unternehmensleistung zu vermitteln. Unternehmen müssen detaillierte Berichte zu ihren Nachhaltigkeitsstrategien, -risiken und -zielen erstellen. Die Richtlinie soll einheitliche Standards schaffen und Greenwashing verhindern. 

Dr. Andreas Beck beschreibt die Situation als hoffnungslos“ und erläutert, dass trotz politischer Versprechen zum Bürokratieabbau die Realität anders aussieht. Aktuell arbeiten 55.000 Menschen für die EU, davon allein 33.000 bei der EU-Kommission. Diese Kommission, so Beck, sehe ihre Aufgabe darin, neue Richtlinien zu entwickeln und umzusetzen. Daher sei es unrealistisch zu erwarten, dass die Bürokratie nicht weiter wächst, da täglich neue Regulierungen erdacht werden. Beck sagt weiter, dass die Bürokratie inzwischen ein „Limit“ erreicht habe, was die Bewältigung betrifft.

DAX feiert Höchstwerte

Die Probleme der deutschen Wirtschaft spiegeln sich allerdings nicht im Aktienindex DAX wider. Dieser zeigt die Wertentwicklung der 40 größten und liquidesten Unternehmen des deutschen Aktienmarkts auf. International und national gilt er als Leitindex der deutschen Wirtschaft. 

Während die Wirtschaft schwächelte, ging es für den DAX in den vergangenen Monaten nach oben. Lag er Ende Oktober 2023 noch bei 14.615 Punkte, erreichte er im Mai kurzzeitig sogar ein Allzeithoch von 18.869,36 Punkte. Inzwischen hat er sich im August um 18.500 Punkte eingependelt. Alles in allem ein Plus von mehr als 25 Prozent in wenigen Monaten.

 

Wie passen die maue Wirtschaft und die DAX-Rekorde zusammen? Der Schein trügt. Da viele Dax-Unternehmen stark exportorientiert sind, spiegelt der Index nicht nur die Entwicklungen der deutschen Wirtschaft wider, sondern auch das weltweite Geschehen. Dort haben sich die wirtschaftlichen Aussichten deutlich verbessert. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Weltwirtschaft in diesem Jahr um etwa 3,2 Prozent wachsen. Zwar ist das kein Höchstwert, aber nach dem Einbruch während der Corona-Pandemie eine deutliche Erholung. Besonders die USA verzeichnen eine positive Entwicklung, was auch den deutschen Unternehmen zugutekommt, da der US-Markt zu den wichtigsten Absatzmärkten der DAX-Konzerne gehört.

USA: Rüstungsausgaben und Konsum kurbeln Wirtschaft an

Die US-Wirtschaft hat sich im Jahr 2024 insgesamt robust entwickelt, steht jedoch vor einer Verlangsamung des Wachstums. Nach einem starken Start in das Jahr mit einem über den Erwartungen liegenden BIP-Wachstum von 2,8 Prozent im zweiten Quartal wird für das restliche Jahr laut der Denkfabrik The Conference Board ein langsameres Wachstum prognostiziert, das 2024 bei etwa 1,9 Prozent liegen könnte​.

Haupttreiber des Wachstums sind laut einer Prognose der Unternehmensberatung Deloitte Verteidigungsausgaben und eine weiterhin starke Konsumnachfrage. Jedoch wird erwartet, dass die Konsumausgaben aufgrund schwindender Ersparnisse und steigender Schulden langsamer wachsen werden​​. Außerdem belasten hohe Zinssätze den Wohnungsmarkt, was zu einem Rückgang der Hausverkäufe führt​, wie die Bank Fannie Mae prognostiziert.

Die Arbeitsmärkte bleiben stabil, aber auch hier zeigt sich eine Abschwächung im Stellenwachstum, was auf eine gedämpfte Nachfrage und den Einfluss der Zinspolitik zurückzuführen ist​. Insgesamt wird für 2024 ein moderates Wirtschaftswachstum erwartet, das jedoch von Unsicherheiten wie der Inflationsentwicklung und den Zinssätzen beeinflusst wird​, prognostiziert die Bank J.P. Morgan in einer Veröffentlichung.

Dow Jones weniger schwankend als DAX

Die moderaten Aussichten der US-Wirtschaft haben offenbar den Aktienindex Dow Jones beflügelt. Bis August 2024 zeigte der Index eine insgesamt positive Entwicklung, unterstützt durch starke Unternehmensgewinne und eine stabile Wirtschaftslage. Im Vergleich zu 2023, als der Dow Jones unter der Unsicherheit hoher Zinssätze und hoher Inflation litt, war das Jahr bis jetzt von stabileren Bedingungen geprägt. Trotz gelegentlicher Volatilität aufgrund geopolitischer Risiken konnte der Index eine Aufwärtsbewegung verzeichnen. Lag er im Juli des vergangenen Jahres bei 35.559 Punkten, ist er zwölf Monate später auf 40.843 Punkte geklettert. 

Der DAX zeigte laut dem Performance-Index der Deutschen Börse im gleichen Zeitraum tendenziell eine höhere Volatilität, also Schwankungen, im Vergleich zum Dow Jones. Die wirtschaftlichen Herausforderungen in Europa, insbesondere in Deutschland, trugen zu dieser Volatilität bei.

Anders liegt der Sachverhalt beim japanischen Nikkei. Hier wird sich der 5. August dieses Jahres sicherlich manchem Anleger prägend ins Gedächtnis einbrennen. Die zuletzt beschlossene Zinserhöhung der japanischen Zentralbank Bank of Japan (BoJ) hatte die Märkte in heftige Turbulenzen gestürzt. 

Größter Tagesverlust seit 37 Jahren

Besonders betroffen waren Anleger des sogenannten „Yen Carry Trade“, die sich Yen zu niedrigen Zinsen leihen und in ausländische Vermögenswerte investieren. Die plötzliche Aufwertung des Yen machte diese Kredite erheblich teurer, was weltweit zu einem massiven Schuldenabbau führte, unter anderem durch den Verkauf von Kryptowährungen. Der gesamte Kryptosektor erlebte einen starken Rückgang, der an den Corona-Crash 2020 erinnerte, bevor es zu einer teilweisen Erholung kam.

Der Aktienindex Nikkei stürzte am 5. August um 13 Prozent von 35.910 Punkten auf 31.458 Punkte ab. Das war der größte Tagesverlust seit 37 Jahren. 

„Der rasante Anstieg des Yen setzt die japanischen Aktien unter Abwärtsdruck, führt aber auch zu einer Auflösung eines bedeutenden Carry Trades, bei dem sich die Anleger mit Yen-Krediten verschuldet hatten, um andere Vermögenswerte, vor allem US-Tech-Aktien, zu kaufen“, zitierte damals das Finanzportal MarketScreener  den Finanzanalyst Kyle Rodda.

„Wir erleben im Grunde einen massiven Schuldenabbau, da die Anleger Vermögenswerte verkaufen, um ihre Verluste zu finanzieren“, zitiert das Portal den Finanzanalysten Rodda weiter. 

Für Entwarnung zu früh

Die Bank of Japan (BOJ) wird ihren Leitzins in diesem Jahr nicht weiter anheben, wie das ehemalige Vorstandsmitglied der Zentralbank, Makoto Sakurai, Mitte August gegenüber „Bloomberg“ (hinter Bezahlschranke) erklärte. Sakurai bezweifelt sogar weitere Erhöhungen bis März nächsten Jahres. Damit möchte die Zentralbank die Märkte erst einmal beruhigen. 

Inzwischen hat sich der Nikkei stabilisiert und lag zum Schluss bei 38.211 Punkten. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass der Crash noch Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben kann. Im Nachgang könnte der Absturz zu globaler Marktvolatilität führen, die Nachfrage nach deutschen Exporten nach Japan dämpfen und Währungsrisiken verstärken. Alle diese Faktoren könnten die wirtschaftliche Stabilität und das Wachstum in Deutschland beeinträchtigen. Für Entwarnung ist es also noch zu früh.  



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